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Schreibblockade adé: Sucht ihr den perfekten Text oder schreibt ihr schon?

Schreibblockade adé: Sucht ihr den perfekten Text oder schreibt ihr schon?

Teil 4 der litcamp-Session: Das Finale

Im vierten Teil der Serie über Schreibprobleme kommt es zum großen Showdown. Zunächst schauen wir beim Perfektionismus vorbei und sehen ein, dass er uns nicht beim Schreiben helfen wird. Danach geht es der Schreibblockade endgültig an den Kragen! Ihr werdet schon sehen …

Es soll perfekt sein?

Ein sinnvolles Anliegen. Schließlich will man seinen Lesern etwas Vernünftiges bieten. Dennoch birgt es eine Gefahr, wenn man zuviel des Guten will: Eine absolut sichere Möglichkeit, um sich beim Schreiben zu quälen, ist nämlich Perfektionismus. Wahlweise schraubt man ewig an denselben Sätzen oder klopft ganze Passagen in die Tonne und muss noch einmal tippen. Für den Perfektionisten sieht das Ganze danach dummerweise aber immer noch nicht besser aus. Der Eine will klingen will Tillman Spreckelsen oder Simone Buchholz und es funktioniert nicht. Weil man eben nicht Buchholz ist. Der Andere will einen so richtig großen Wurf schaffen. Er hat vielleicht großartige Texte gelesen und sucht den Anschluss. Also setzt er sich, damit der Wurf wirklich schön groß wird, eine richtig hohe Messlatte und ist mit nichts zufrieden, was er zu Papier bringt. In der Regel, und das schätze ich auf krumme 98 Prozent, klappt das nicht. Alle beide dürften ziemlich frustriert den Schreibtisch verlassen.

Stimmen kopieren ist schwer. Das gleich vorweg. Manchmal greife ich in einer Rezension den Tonfall eines Autors auf. Das klappt … aber nur für diesen einen Text und als Resonanz auf das Original. Der nächste Text klingt wieder nach mir. Eine fremde Stimme durchzuhalten, ist extrem schwer und daher sollte man es nicht versuchen. Als Schreibübung mag es in Ordnung sein, für das regelmäßige Schreiben mit Publikationsziel ist es Gift. Findet also besser eure eigene Erzählstimme. Diese entwickelt sich mit der Zeit – das werdet ihr ganz sicher merken, wenn ihr ältere Texte anschaut. Vielleicht besitzt ihr tatsächlich eine markante Eigenart und eines Tages werden vielleicht Leute von euren Texten sagen, es sei „ganz typisch“. Aber erzwingt es nicht. Der Schreibstil ist ein Entwicklungsprozess wie alles andere auch, was wir tun. Wenn ihr euch beim Schreiben treu bleibt, klingen die Texte hinterher besser, sozusagen wie aus einem Guss, oder, um es ein bisschen modern zu machen: „organisch“.

An dieser Stelle ein Zusatztipp für Menschen, die irgendetwas extern redigieren lassen (ein Tipp, der nicht im Vortag vorkam): Schaut euch gut an, ob ihr Korrekturen genau so übernehmen wollt wie sie angeboten werden. Ich kenne aus eigener Erfahrung Menschen, die ein Auge für Fehler und Ergänzungen haben, aber einen völlig anderen Schreibstil einbringen. Ich empfehle ausdrücklich nicht, solche Korrekturen deshalb abzulehnen (ganz wichtig!). Überflüssige Wörter bleiben überflüssig, eine falsche Wortwahl bleibt falsch, kritisierte Formulierungen solltet ihr euch ernsthaft anschauen. Aber wenn beispielsweise ein Korrektor gerne Sätze macht, die neun Zeilen lang sind, ihr aber nicht länger als eineinhalb Zeilen für einen Satz braucht, klingt der verbesserte Text hinterher nicht besonders schön, weil es Brüche im Stil erzeugt. Einem professionellen Lektor passiert das zwar nicht, aber die meisten, die das hier lesen, haben vermutlich keinen und arbeiten mit der Familie oder Freunden zusammen. Speziell den Neun-Zeilen-Fall hatte ich selbst erlebt und meinen damaligen Sparringsparter in den Wahnsinn getrieben, weil ich seinen Input zwar komplett übernommen, aber zuvor allesamt zerkleinert und an meinen Stil angepasst hatte.

Erst schreiben, dann redigieren

Außerdem kann ich euch noch in einer anderen Hinsicht beruhigen: Gute Texte entstehen nie beim ersten Mal. Eine andere, eine erzwungene Erwartungshaltung kann da nur ein Killer sein. Texte gehen auch dann nicht nach nur einem Wurf raus, wenn man unter Druck schreibt und (wie ich das auch schon gemacht habe) für eine Messezeitung tagtäglich die News von den Ständen innert weniger Stunden für den kommenden Tag druckreif machen muss. Auch dann wird ein Artikel korrigiert und nachträglich angepasst, werden krumme Sätze umformuliert. Erst recht gilt das für alle anderen Texte, für die mehr Zeit zur Verfügung steht! Erst schreiben, dann redigieren. Selbst ein Journalist, der für eine Reportage einen Pulitzer-Preis bekommen hat, würde einzelne Sätze dieses preisgekrönten Prachtstücks ein halbes Jahr später anders formulieren. Aber er weiß: Der Text war zu dem Zeitpunkt, als er entstanden war, genau in dieser Form „gut zum Druck“. Genau diese Information steckt in diesem Tweet:

https://twitter.com/jelimuki/status/741582232138186753

Was macht man aber nun, wenn man während des Schreibens merkt, dass Fehler auftauchen? Wie hält man die Balance zwischen Flow und Korrektur? Einer meiner Tricks für kleinere Fehler ist es, die Stelle oder die Passage zu markieren und später dorthin gezielt zurückzukehren. Schreibe ich über XXX und mir fällt die korrekte Schreibweise jenes Begriffes oder jenes Namens nicht ein, schreibe ich eben XXX hin, finde ich die XXX hinterher schnell wieder, schlage nach und korrigiere das. Im Zweifelsfall ist es schlimmer, einen schlüssigen Gedankengang oder einen funktionierenden Schreibfluss zu verlieren als einen Begriff wie „Weiner Wurstschen“ stehen zu lassen. Ebenso gut wie XXX funktionieren Farbmarkierungen oder Unterstreichungen. Hier hilft die Autokorrektur der Textverarbeitungsprogramme ebenfalls weiter. Die farbigen Wellenlinien lassen Rechtschreibfehler schnell ins Auge fallen. Wen das beim Schreiben stört, stellt die Funktion hinterher ein und prüft, was angefallen ist.

Was ich persönlich nicht stehen lassen kann, sind logische Fehler, wenn ausgerechnet darauf der weitere Textverlauf basiert. Ist da eine Macke drin, stimmt ganz schnell der Rest des Textes nicht mehr. Doch wenn ihr zehn Mal „also“ in nur sieben Zeilen unterbringt, reicht es, das bei der Korrektur zu verbessern. Seien wir doch ehrlich: Solche Füllsel stellen wir während des Schreibens gar nicht automatisch fest, oder? Genau das ist der Grund, warum jeder Text ein bisschen liegen bleiben muss, bevor wir ihn uns für das Redigieren vorknöpfen: Wir würden sonst gar keine Macken sehen, weil wir den Text viel zu gut kennen. Mit etwas Distanz sehen wir all diese „also“ und holprige Satzübergänge und können sie ausbessern. Da kam dieser Tweet ein paar Tage nach dem Literaturcamp gerade richtig:

Eine andere Möglichkeit, sich zu lockern, ist das Warmschreiben. Schreibt einfach etwas anderes, bevor ihr mit dem Text loslegt. Das kann eine klassische Schreibübung sein, aber auch simple Mails erfüllen oft schon diesen Zweck. Der Kopf wird auf den Schreibmodus eingestimmt. Ihr könnt euch dazu auch in bereits bestehende Passagen einlesen oder sie überarbeiten. Dann wird der richtige Tonfall wieder präsent. Macht euch nichts draus, wenn das notwendig ist; es sagt nichts über die Qualitäten eines Texters oder Autors aus.

Mehr Shruggle!

Mit dem Vortrag (und seiner Textfassung) möchte ich Menschen mit Schreibproblemen zwei zentrale Aspekte mit auf dem Weg geben. Lasst mich am besten gleich mit der Tür ins Haus fallen:

Vergesst die Schreibblockade! Wie die vorigen Abschnitte zeigen, ist der Begriff „Schreibblockade“ nichts anderes ein schicker Sammelbegriff für konkrete Einzelprobleme. Je besser man ein Schreibproblem definieren kann, umso besser und schneller bekommt man es auch in den Griff. Ich sage konsequenterweise:

Die Schreibblockade gibt es nicht

Es handelt sich immer wieder um andere Probleme und es sind oft genug gar keine da. Auch das muss man sich bewusst machen: Wieviel man geschafft hat, ohne dass es nennenswerte Schwierigkeiten gab! Wer immer wieder von Schreibblockaden spricht, verschafft sich im dümmsten Fall eine „self fulfilling prophecy“, ein Angstmonster, das mit jeder Verwendung des Schlagwortes angefüttert wird. So einem Mythos anzuhängen, ist für die tägliche Arbeit am Schreibtisch ganz sicher keine Hilfe.

Das zweite wichtige Element ist: Es gehört dazu! Nehmen wir das Beispiel einer Schneiderin. Die hat nette und weniger nette Auftraggeber (das haben Journalisten, Texter und Autoren mitunter auch). Es gibt einfache Produkte wie Kissen und Schlüsselbänder, es gibt komplexe wie die Reißverschlüsse an den Jeans (versucht doch einmal, alle Nähte zu finden …). Es gibt unterschiedlich aufwändige Stoffe, Einstellungen an der Maschine und variantenreiche Garne und Nähfüße. Nähte müssen manchmal auch aufgetrennt werden oder Stofflagen verrutschen gegeneinander. Aber: Keiner redet von einer Nähblockade. Warum? Weil solche Widrigkeiten einfach zur Aufgabe gehören. Sie passieren manchmal, nicht immer, sie sind am Ende immer lösbar. Die Schneiderin hat mit der Zeit immer mehr Erfahrung und versteht das drölfzigste Auftrennen einer Naht irgendwann nicht mehr so, als wollte ihr jemand boshaft den Spaß an der Sache nehmen.

Geht an das Schreiben heran wie die Schneiderin; verändert eure Perpektive. Sie hat Probleme mit Textilien, die Texter haben ihre mit Buchstaben. Wer schreibt, sollte nicht erwarten, dass alles reibungslos läuft – ebenso wenig wie bei jeder anderen Tätigkeit. „Schreibblockaden“ sind nichts anderes als tätigkeitsspezifische Schwierigkeiten. Ihr tut euch wahrhaftig einen großen Gefallen, wenn ihr sie so sehen könnt.

Auf was ich im Vortrag nicht eingegangen bin, sind Tools und Apps, die das Schreiben erleichtern sollen. Ich denke, dass sie – wenn überhaupt – erst den zweiten Schritt ausmachen. Wer eine großartige Kamera hat, macht nicht zwingend auch großartige Fotos. Auch zu einer Profiausstattung gehören Handwerk und Knowhow. Mit Texten ist es ebenso (und ein erklecklicher Teil der „Schreibblockade“-Problematik liegt meiner Meinung nach darin, dass das Schreiben zu sehr mystifiziert wird und zu wenig als Handwerk und Arbeit gesehen wird). Ein Tool unterstützt, ist aber für den Text ansonsten nicht verantwortlich. Es nutzt erst dann, wenn man sein konkretes Problem definiert hat. Ein Tool etwa, das euch lautstark verwarnt, wenn die Pausen zu lang werden, hilft nicht, wenn zunächst ein Konzept fehlt. Setzt solche Hilfsmittel also erst ein, wenn ihr das Problem kennt und sucht dann eines, was zu eurem Problem passt. Ich bin aber überzeugt davon, dass ihr die meisten Ansätze ohne Tools schaffen könnt!

Das wichtigste, was ich euch mit auf den Weg geben kann, steckt in der letzten Folie: Der Shruggle ¯\_(ツ )_/¯

Wenn es beim nächsten Mal harzt und knarzt, dann macht es einfach so: Verzichtet auf den seufzenden Tweet über eure „Schreibblockade“. Die habt ihr ja gar nicht. Versucht zur Abwechslung einen Tweet zu dem Problem zu schreiben, das ihr wirklich habt: „Wie finde ich bloß eine passable Überschrift“, „nervige Bauarbeiten vor der Tür“, „unfassbar viele Fremdwörter in meinem Quellenmaterial“, „dämliche Relativitätstheorie“, „mehr als genug Tippfehler heute“, „ich kann meinen eigenen Kram nicht mehr lesen“ … Ihr wisst, was ich meine. Zuckt einmal mit den Schultern, trinkt einen Kaffee und dann macht ihr weiter. Und denkt immer dran, dass ihr mit jedem Stückchen Text mehr Routine bekommt — mehr Routine bedeutet mehr Gelassenheit und mehr Knowhow.

Ich wünsche euch viel Spaß und Erfolg dabei!


Hier alle Links zu den vier Teilen der Session:
Teil 1: Bringt euer Umfeld in Ordnung!
Teil 2: Vom Umgang mit Leere und Masse
Teil 3: Nutzt die Automatismen von Denkprozessen aus
Teil 4: Sucht ihr den perfekten Text oder schreibt ihr schon? Das Finale
Vortragsfolien bei slideshare


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Über Schreibblockaden machte sich auch Frank Raki Gedanken. In seinem Blog Against All Orcs berichtet er darüber, dass sich langwierige Probleme irgendwann in der Psyche abbilden:

Wusstest du, dass eine Schreibblockade sich in deinen Körper verschieben und da weiter ihr Unwesen treiben kann – obwohl du die eigentliche Ursache deiner Schreibblockade womöglich längst beseitigt hast?

Was dabei herauskommen kann, ist als somatoforme Störung bekannt und Raki stellt mit dem so genannten Focusing (entwickelt vom Psychotherapeuten Eugene Gendlin) eine Technik vor, die den Gefühlsballast abwerfen hilft.

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