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Ein Abend mit Barry Lancet: Wie Jim Brodie und Japantown entstanden

Ein Abend mit Barry Lancet: Wie Jim Brodie und Japantown entstanden

Im Januar hatte ich die Gelegenheit, einen Vortragsabend von Barry Lancet zu besuchen. Sein Titel Japantown war ein Weihnachtsgeschenk an mich und kaum hatte ich es in der Hand, entdeckte ich die Ankündigung für eben diesen Autorenabend. Nach den vorhergegangenen Zufällen nun noch dieser? Keine Frage, das musste ich möglich machen!

Wettermäßig geriet es nicht sehr einladend. Die Zuhörer hatten sich durch schneidend kalten Wind und Regen gekämpft, um ein bisschen mehr über die Entstehung von Japantown zu erfahren (Spoiler: es war’s wert). Lancet ist ein lebhafter Erzähler und nutzte die Zeit vor seinem Vortrag bereits aus, um aus dem Nähkästchen zu plaudern.

Wer vor dem eigentlich Beginn da war, konnte die Ohren spitzen: Japantown dürfte eine eher ungewöhnliche Entstehungsgeschichte haben, denn Lancet arbeitete zur der Zeit, als er die Idee hatte, Vollzeit in einem Verlag. Vollzeit in Japan bedeutet gut und gerne 60 Wochenstunden Anwesenheit am Arbeitsplatz, manchmal etwas mehr, zuzüglich der morgendlichen und abendlichen Pendelei mit Zügen und Bussen. Sitzplätze sind kaum zu bekommen und Lancet entwickelte infolgedessen eine Methode, um sein Werk im Stehen zu schreiben, meist noch dazu mit einer Hand am Haltegriff. Daraus zieht er seinen Nutzen bis heute, denn er könne einfach überall schreiben, erzählte er.

Eine mysteriöse Anziehungskraft

Barry Lancet verschlug es eher zufällig nach Japan. Das New Yorker Verlagswesen wollte er meiden und war eigentlich auf der Suche nach einem passenden Job in Europa. Ein zufälliger Besuch in Japan ließ ihn aufhorchen: Seinerzeit gab es im Land eine boomende Verlagskultur und Tokyo wanderte -wenn vorläufig auch an letzter Stelle- auf die Liste potenzieller Arbeitsorte. Nachdem sich Städte wie Paris oder London wider Erwarten nicht als die ursprünglichen Traumziele herausgestellt hatten, versuchte Lancet sein Glück irgendwann in Tokyo. Und er blieb.

Für den Verlag Kodansha entwickelte und produzierte er unter anderem Sachbücher, Bildbände oder Kunstbücher. Für ihn, der zu Arbeitsbeginn kein Japanisch konnte und auch sonst wenig vom Gastland wusste, ein Glücksfall, erinnert er sich: „Das Verlegen solcher Bücher bedeutete in meinem Fall, viel über die Kultur des Landes zu lernen. Wenn man so will, habe ich mich selbst in Landeskunde unterrichtet.“

Etwas Besonderes an Japan ist für ihn die rätselhafte Anziehungskraft, die das Land auf seine Besucher ausübr und auf die er seine Zuhörer nebenher testete. Wie sich herausstellte, waren sich diejenigen unter ihnen, die nur für einen begrenzten Zeitraum im Land leben, allesamt sicher, dass sie es sehr vermissen werden. „Jeder der gehen muss, will zurückkehren; einige kommen und gehen nie wieder weg,“ berichtete er über seine Erfahrungen. „Es ist ein Phänomen, das ich von keinem anderen Land in diesem Ausmaß kenne.“ Damit liegt ein Ziel seiner Bücher offen: Lancet will genau diesen besonderen Reiz in seinen Geschichten transportieren.

Vom Klassiker zu Krimis

Lancet war zu Beginn seiner Zeit in Japan eher Leser von Klassikern und zeitgenössische Literatur. Durch die Pendelei kam er auf Krimis. „Wenn man nach einem langen Arbeitstag lange in der Bahn steht, ist unterhaltsamere Lektüre schon besser,“ meinte er. Dadurch lernte er das Genre kennen, mit dem sich Jahre später das Konzept seiner Buchidee umsetzen ließ: „Ich wollte ein Gefühl für Japan vermitteln und gleichzeitig eine spannende Geschichte erzählen. Der kulturelle Kontext und die Geschichte müssen zusammen passen. Mit Krimis, denke ich, lassen sich diese beiden Themen gut verflechten,“ beschreibt er seine Beweggründe. Das ist auch ein Grund dafür, dass sein Jim Brodie Antiquitätenhändler ist. Mit Hilfe dieses Berufs konnte Lancet die japanische Kultur einbringen. über den Job von Brodies Vater, der eine Ermittlungsfirma hat, kommt der Sinn für Detektivarbeit zu Brodie.

Am Ende ist bei Japantown ein Buch herausgekommen, das als Krimi anfängt und als Thriller endet, meint Lancet: „Wie in einem Krimi gibt es zu Beginn einen Mord und einen Hinweis. Ein ganz klassisches Puzzle.“ Zwar ging Lancet mit einer Grundidee an sein Buch, beim Schreiben entwickelte sich die Szenerie oftmals aber anders als zunächst gedacht. „Jemand tat etwas, daraus entwickelte sich eine passende Reaktion, das wiederum führte zu etwas Bestimmtem und ich merkte, dass meine Figuren schlussendlich an einem ganz anderen Punkt angekommen waren, als ich angenommen hatte. Nun, da musste ich für die Fortsetzung eben etwas anderes einfallen lassen, denn ich merkte, dass diese unvorhergesehene Handlung sehr stimmig war,“ verriet er über seine Arbeit. Zu den Autoren, die festgelegten Routen folgen, will Lancet bewusst nicht gehören. „Die Dinge laufen lassen, offen lassen, das mag ich.“

Einige Leser würden Japantown sogar als Noir einstufen, erzählte Lancet. „Das finde ich eine spannende Rückmeldung, denn so hatte ich das gar nicht angelegt. Ich denke eher, dass die Schattenseiten der Gesellschaft ganz automatisch ein Teil von Krimis oder Thrillern sind. Man kommt in diesem Genre gar nicht drum herum, versteckte und dunkle Seiten zu beschreiben.“ Gerade deshalb versteht er den Antiquitätenhändler Brodie als schönes Gegengewicht in seiner Handlung.

Die Wunder der dicken Verträge

Japantown - das Buch signiert von Barry Lancet

Einen sehr speziellen Stellenwert nahmen ungewöhnlich dicke Verträge in Lancets Bericht ein. Noch vor der Erstveröffentlichung von Japantown erhielt Lancet durch seinen Agenten eine ungewohnte Anfrage: „Das Buch war noch nicht einmal auf dem Markt und dann zeigte ein gewisser J.J. Abrams Interesse an den Filmrechten. Das verblüffte mich total. Ich hatte keine Ahnung, wer das war und fragte meinen Agenten ‚Was meinst du, soll ich?‘ Und der nickte ganz trocken und sagte ‚Ja, das solltest du wirklich‘.“

Der Agent stürzte sich in langwierige Verhandlungen und Lancet wundert sich noch heute über all die Rechte und Optionen, die die Anwälte von Hollywood für ihre Studios sichern wollen. Im Verlagswesen scheint es deutlich gesitteter zuzugehen. Der wichtigste Vertrag, und Lancets Erzählung zufolge der am härtesten umkämpfte Teil, ist der für seinen Beraterstatus. „Dafür hat mein Agent wirklich gekämpft, denn der war mir ausgesprochen wichtig,“ betonte er. „Ich will, dass die ganzen japanischen Details stimmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine chinesische Vase in einer japanischen Szenerie auftaucht. Sowas darf einfach nicht passieren.“

Inzwischen sitzen die ersten Screenwriter im Auftrag von Abrams und Warner Bros. an der Arbeit und Lancet ließ sich auf eine kleine Diskussion mit dem Publikum ein: Wer soll Hauptrolle im Fernsehen spielen? Eine eindeutige Antwort darauf ließ sich allerdings nicht finden. Nicht zuletzt, weil sich jeder ein anderes Bild von Brodie macht. Ganz offensichtlich stellt Lancet diese Frage öfter und stellt jedes Mal nette Diskrepanzen fest. Ich kann aber verraten, dass die Zuhörer unter den genannten Namen Keanu Reeves deutlich vor Ryan Gosling und Christian Bale platzierten.

Was begeistert an Jim Brodie?

Ein großes „Warum“ nahm Lancet zu seiner ersten Begegnung mit den Verantwortlichen bei Warner Bros. mit. „Ich freue mich natürlich riesig darüber, dass mein Buch verfilmt wird. Und trotzdem fragte ich mich, warum ausgerechnet Brodie die Aufmerksamkeit von Hollywood auf sich gezogen hat, noch dazu lange bevor das Buch auf dem Markt war und Leserstimmen dazu da waren,“ fasst er seine Empfindungen zusammen. Und die Filmleute verrieten ihm, dass die Figur des Jim Brodie die Faszination ausmache. Seine Art, die Welt zu sehen, sei breiter, differenzierter, anders. Als Kenner zweier Kulturen sehe er Dinge, die andere nicht erkennen würden, erklärten sie und daraus ließe sich eine spannende Filmhandlung entwickeln.

Für das erste Buch benötigte Lancet noch einige Jahre. Das Schreiben im Stehen war nur ein Grund dafür. Er entwickelte seine Charaktere, wollte den richtigen Tonfall treffen und dafür hat er sich Zeit gelassen. Das zweite Buch entstand schon deutlich flotter in nur rund 10 Monaten. Für diejenigen, die Lancet bereits kennen oder diejenigen, die Lust auf die Bücher von ihm bekommen haben, gibt es gute Nachrichten: Ein dritter Band ist unter dem Titel Pacific Burn beim US-amerikanischen Verlagshaus Simon & Schuter für März 2016 angekündigt und Lancet verriet, dass er einen vierten Band bereits begonnen hat.

Die Idee, Barry Lancet nicht für eine Lesung, sondern einen Vortrag einzuladen, hat sich als Treffer erwiesen: Es war eine ausgesprochen unterhaltsame Stunde, mit Hintergrundinformationen und Anekdoten voll gepackt. Mal ehrlich: Lesen können wir das Buch selber, oder? Lancet als Redner zu erleben hat mir auf diese Weise sogar noch mehr Lust auf das Buch gemacht und ich habe bei der Gelegenheit gleich noch viel Interessantes über die Verlagsarbeit, das Bücher machen und Japan erfahren. Vielen Dank, Barry Lancet!


Die Titel

Japan Town (2013) — dt.: Japantown (2014), Heyne
Tokyo Kill (2014) — dt.: Tokio Kill (2015), Heyne
Pacific Burn (2016)
The spy across the table (2017)


Fotos: Barry Lancet, Bettina Schnerr

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