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Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Intermezzo X

Intermezzo X

Friedrich Ani – All die unbewohnten Zimmer

Scheinbar wahllos schießt ein Mann von seinem Fenster aus auf Passanten. Zufällig in der Nähe und deshalb zuerst am Tatort ist Fariza Nasri, deren Energie geradezu Purzelbäume schlägt. Dem Fall hilft das leider nicht. Es gibt auf Grund der „Energie“ dicken Stunk, den ihr Vorgesetzter Polonius Fischer gerade so eindämmen kann.

Ein Polizist stirbt bei einem Einsatz und Jakob Franck, Kommissar im Ruhestand, übermittelt die Nachricht. Er erlebt einen Vater, der Franck noch nicht einmal die Nachricht glauben will. Statt Trauer serviert er Franck einen frustrierten Monolog über die Schlechtigkeit der Welt.

Tabor Süden, Spezialist für Vermisstenfälle, hat sich zurückgezogen. Ein bisschen heruntergekommen alles um ihn herum, aber Süden ist zufrieden. Er lässt sich mit Ach und Krach von seiner früheren Arbeitgeberin überreden, einen Mann in München zu suchen.

Das Besondere an diesem Buch ist die Zusammenarbeit mehrerer Kommisssare, die Friedrich Ani in zuvor getrennten Serien ermitteln ließ. Sie kennen untereinander nicht, haben vielleicht einmal voneinander gehört. Ihre Welten bleiben auch hier zunächst getrennt. Jede Figur macht das, was sie am besten kann. Erst allmählich führt er die Figuren zusammen, als klar wird, wo Zusammenhänge zwischen ihren jeweiligen Fällen bestehen. Dieser gewählte Weg macht die Geschichte besonders griffig.

Der Roman ist zugleich durchzogen von nationalistischen Fetzen und von Ausländerfeindlichkeit. Ani schildert, wie von seinen Figuren gewohnt, dabei nie das Es-könnte-so-sein, sondern spiegelt immer die Menschen und Strömungen so, wie er sie längst im Alltag erlebt.

Mehr zum Buch gibt es in einem Artikel über die Lesung von Friedrich Ani im Literaturhaus Thurgau.

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-42850-4
Erstveröffentlichung: 2019

Matthias Wittekindt – Der Unfall in der Rue Bisson

Es ist Nacht und es gießt in Strömen. Michel hatte zuviel getrunken, die Straße ist voller Spurrillen und trotzdem setzt er zu einem Überholmanöver aus. Der Wagen dreht sich, knallt gegen einen Baum und Michel stirbt.

Lieutenant Ohayon nimmt den Fall routinemäßig auf. Bei seinen Befragungen stellt er fest, dass zum Zeitpunkt des Unfalls möglicherweise noch andere Wagen auf der Straße waren. Eine Zeugin erweist sich als überraschend ergiebige Quelle zu verschiedenen Automarken und -modellen. Nur einen Hinweis auf Fremdverschulden gibt es eigentlich nicht. Bei diesen Wetterbedingungen kann selbst einem guten Fahrer etwas passieren. Dass Ohayon dran bleibt, ist eher eine Instinktfrage. Im Freundeskreis herrscht natürlich große Betroffenheit und nur der Leser weiß, dass der eine oder andere mit Michel zu Lebzeiten nicht immer wahnsinnig glücklich war.

Das Buch war ein Zufallsfund und neugierig gemacht hatte mich eine Einschätzung auf dem Cover: „Ein literarischer Krimi, der sich nicht hinter Simenon zu verstecken braucht.“ Da wusste ich noch nicht, dass die Stadt Fleurville schon fünf Mal einen Schauplatz für Ohayon geboten hatte. Warum nur sind solche Krimis nicht bekannter? Tatsächlich beeindruckt das Buch durch die sehr nahe Begleitung seiner Figuren. Die tragen alle ihr Päckchen, doch gewähren nur bedingt Einblick in ihre Beweggründe. Wen geht das schon etwas an? Umso schwerer fällt das Einordnen: Was bewegt sie tatsächlich?

Ohayon tastet sich an die Menschen heran und versucht, ihnen nachzufühlen. Sollte sein Verdacht stimmen, welche Motive könnten dahinter stecken? In einem Freundeskreis, der zu den wohlhabenderen in der Stadt gehört? Bei Leuten, die eigentlich angekommen zu sein scheinen und so unerschütterlich in ihrem Alltag erscheinen? Und wo könnte Michel überhaupt einen Anlass für einen bewusst provozierten Unfall gegeben haben? Die Stärke dieses Romans liegt absolut darin, seine Figuren mit all ihren Facetten zu begleiten, ohne eine Schwarzweiß-Zeichnung abzuliefern.

Alain hat hin und wieder diese lichten Momente, in denen er die Menschen so sieht, wie sie sind. Sie kommen ihm dann vor wie Figuren, die sich irgendwo platzier haben oder dort hingestellt wurden. Um eben von dieser Position aus ihre Möglichkeiten ins Spiel zu bringen oder von anderen benutzt zu werden. Das Leben ist, aus dieser Perspektive betrachtet, die Summe einer Reihe von Zügen und Gegenzügen.

Verlag: Edition Nautilus
ISBN: 978-3-96054-018-2
Erstveröffentlichung: 2016

Karsten Dusse – Achtsam morden

Vervollständigen wir die Krimireihe mit einem amüsanten Krimi-Ulk aus der Anwaltsszene. Björn Diemel geht völlig in seinem Beruf auf, obwohl er genau weiß, dass sein Mandant ein brutaler Krimineller ist. Ein „Bäh“-Mandant, der viel Kohle einbringt, ihm aber auch die Karriereleiter versperrt. Anwälte von Bäh-Mandanten werden nie Teilhaber der Kanzlei. Unter seiner Arbeit leidet auch die Ehe. Diemels Frau zwingt ihn zu einem Achtsamkeitsseminar und auf einmal begreift der Anwalt, was daheim auf dem Spiel steht.

Eins vorweg: Ich bin kein gewalttätiger Mann. Ganz im Gegenteil. Ich habe mich zum Beispiel in meinem ganzen Leben noch nie geprügelt. Und den ersten Menschen habe ich auch erst mit zweiundvierzig Jahren umgebracht. Was, wenn ich mich so in meinem heutigen beruflichen Umfeld umsehe, eher spät ist.

Als kurz darauf ein Wochenende mit der kleinen Tochter auf dem Plan steht, sind die Lerneinheiten plötzlich überlebenswichtig. Denn der Mandant ist auf der Flucht und verlangt sofortige und umfassende Unterstützung. Das Wochenende allerdings darf auf keinen Fall beeinträchtigt werden, sonst ist die Ehe ganz hinüber.

Was ich während des Leses ahnte, bestätigte sich am Ende in der Kurzvita: Der Autor ist Anwalt, schreibt für’s TV und bekam Preise für Comedy-Formate. Man merkt’s und mir hat’s Spaß gemacht. Verrückt eigentlich, denn der Mandant ist ein unglaublicher Widerling, der jedem anderen Krimi die Einordnung „Thriller“ oder „Noir“ verpassen könnte. Und dank der Zusammenarbeit ist auch der Anwalt letztlich einer, dessen private Bekanntschaft ich eigentlich nicht machen möchte. Trotzdem vergisst man bei diesem Klamauk, in welcher Gesellschaft man sich befindet. Am Ende waren es doch lockere Lesestunden.

Verlag: Heyne
ISBN: 978-3-453-43968-9
Erstveröffentlichung: 2019

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