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James Frey – Strahlend schöner Morgen

James Frey – Strahlend schöner Morgen

James Frey - Strahlend schöner MorgenOld Man Joe, der Trinker, das Ausreißerpärchen Dylan und Maddie, Amberton, der Filmstar, der heimlich Männer liebt, und die behütete Einwanderertochter Esperanza – sie sind die Hauptfiguren in diesem großen amerikanischen Gegenwartsroman über die Mega-City L.A. In ihren Geschichten entfaltet sich ein Kosmos urbanen Lebens, ein Kaleidoskop aus grellen und dynamischen Bildern, aus Sehnsüchten und zerstörten Träumen.Dylan liebt Maddie und ist mit ihr unterwegs nach L.A., Stadt der Hoffnung so vieler Menschen auf eine bessere Zukunft. Die Filmstars Amberton und Casey sind nur zur Tarnung miteinander verheiratet und ständig auf der Suche nach Sex und Bewunderung. Esperanza aus Mexiko verdient ihr Geld im Haushalt einer tyrannischen Lady und verliebt sich in deren Sohn. Der Obdachlose Old Man Joe entdeckt seine Mitmenschlichkeit, als er ein drogensüchtiges Mädchen zusammengeschlagen hinter einer Mülltonne findet. Sie und viele andere Figuren, die im Vorübergehen den Weg des Lesers kreuzen, ergeben das fesselnde Bild einer sich ständig wandelnden Metropole, seit Generationen Verheißung und Moloch zugleich. In L.A., der eigentlichen Hauptfigur, spiegeln Fakten und Fiktion einander im Rhythmus von Geschichte und Gegenwart, von Illusion, Liebe und Gewalt.

Rezension

„Strahlend schöner Morgen“ ist ein ungewöhnlich heterogen geschriebenes Buch über eine ungewöhnlich heterogene Stadt. Die Komposition aus zahllosen Episoden und Abschnitten hat mich sehr fasziniert, obwohl nicht immer klar ist, ob man jeweils eine Fortsetzung dazu bekommt oder nicht.

Kurze Abschnitte erzählen immer wieder über Menschen, die das Buch über einen längeren Zeitraum begleitet:
… die Jugendlichen Maddie und Dylan, die aus einem Kaff in Ohio geflohen sind, wo die Eltern wahlweise betrunken sind oder die Kinder verprügeln. Dylan erlebt, dass er als Weißer nicht mehr überall so willkommen ist wie Daheim. Sein Job ist fast ein Bubentraum, aber gefährlich.
… den atemberaubend eitlen Schauspieler Amberton, offiziell mit Casey verheiratet, damit beide Ehepartner zahllose Affären vertuschen können. Doch eine treu ergebene Entourage kann nicht verhindern, dass Amberton sich in seinem selbstgefälligen Wahn in die Nesseln setzt und einen ausgekochten Gegner großzieht.
… Esperanza, schüchterne Tochter mexikanischer Einwanderer, die glaubt, sich als Illegale tarnen zu müssen, um Arbeit zu bekommen. Sie erlebt eine reiche Hausherrin keineswegs als vornehme Lady, sondern als keifende Hexe und macht erst mehr aus sich, als die Arbeitgeberin mit ihrem Hass und ihrem Herrendenken viel, viel zu weit geht.

Andere Episoden sind in sich abgeschlossen, erzählen darüber hinaus auch unterschiedlich lange Lebensabschnitte und stellen stellvertretend für so viele andere zum Beispiel die Waffenkäufer und -verkäufer vor, Gangmitglieder und ihre Familien, Künstler, Mäzene, Fimschaffende, Reporter, Stinkreiche und ehemalige Schönheitsköniginnen, die den großen Wurf landen wollen.

Zwischendurch sind Kapitel eingeflochten, die das Buch zu einem Reiseführer der anderen Art machen. Es geht um die markanten Highways, die die Stadtentwicklung zwar beschleunigen, ansonsten mitunter aber ziemlich sinnlos geplant worden sind, Hauptsache, all die Autos können Tag ein Tag aus im Stau stehen. Es geht um die Geschichte von L.A., von der sich Frey oft ganz ironisch die Anti-Highlights aussucht, darunter fünf Seiten über Naturkatastrophen, die L.A. regelmäßig seit seiner Gründung heimsuchen, Fakten über den alltäglichen Rassismus oder eine Auswahl aus den über 1500 Gangs, die die Wohnviertel unsicher machen und an die sich die Polizei schon lange nicht mehr rantraut.

Trotz oder gerade wegen dieser wilden erzählerischen Mischung hat mir das Buch sehr gut gefallen. Am Ende allerdings bleibt offen, warum L.A. nach wie vor ein Inbegriff für den amerikanischen Traum ist und warum viele ihn ausgerechnet dort leben wollen. Die Faszination der Stadt speist sich aus unklaren Quellen, die Realität kann’s unmöglich sein; L.A. bietet eigentlich denkbar schlechte Voraussetzungen und Frey zerstückelt den schönen Schein, zeigt, wie Ruhm korrumpiert, wie Gewalt einzieht, mangelnder Erfolg lähmt.

Das Piranha-Becken L.A. ist heimtückisch und wer letztlich das Leben bekommt, das er sich wünscht, entscheidet er allzu oft nicht selbst. Dabei ist es völlig egal, ob man Filmstar werden möchte oder einfach nur einen Arbeitsplatz benötigt. Während der Wegzug aus der Heimat noch konsequent und zielstrebig sein mag, verliert sich diese Energie im Moloch bei vielen auf unerklärliche Weise, gerade dann, wenn in L.A. Ruhm und Geld gesucht werden: Das hoffnungsvolle Model wird zur x-ten Fastfood-Verkäuferin in engen Hotpants und wird es mit 35 noch sein. Der Traum ist weg, die Zielstrebigkeit auch. Eine ungesunde Portion Naivität dürfte einen großen Anteil am Wachstum des Großraums L.A. haben.

Bibliografische Angaben

Verlag: Ullstein
ISBN: 978-3-550-08767-7
Originaltitel: Bright shiny morning
Erstveröffentlichung: 2008
Deutsche Erstveröffentlichung: 2009

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