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Robert Kaltenbrunner, Peter Jakubowski – Die Stadt der Zukunft

Robert Kaltenbrunner, Peter Jakubowski – Die Stadt der Zukunft

Ich weiß nicht, wie es euch mit dem Thema Stadtplanung geht. Ein bisschen weit weg klingt es in der Regel schon, nicht wahr? Außer vielleicht, es geht um Themen, an denen wir ganz nah dran sind oder die interessant klingen. Bei mir sind das zum Beispiel die Stadtplanung für Radfahrer oder ökologische Mobilität und auch Urban Gardening. Oder ich schaue mir die Architektur an, egal, ob alt oder supermodern. Und manchmal frage ich mich gerade bei Neubauten, was sich die Planer dabei gedacht haben. Ich meine es beileibe nicht immer neugierig-nett, trotz der großen Faszination, mit der Architektur fast immer auf mich wirkt.

„Die Stadt der Zukunft“ dreht sich um genau diese Frage in der freundlichen Version: Was soll man sich beim Stadtbau denken, damit sich eine Stadt für die Bewohner zum Guten entwickelt, damit sie lebenswert bleibt oder wird? Die Bandbreite bei Stadt- und Raumplanung ist dabei weitaus größer als das Bisschen, das ich gerade angerissen habe. Zugleich braucht Stadtplanung Ausdauer und einen langen Atem, denn auf Grund der Planungszeiträume und der Zeit, die es für die Umsetzung braucht, formen heutige Entscheidungen die Städte erst in mehreren Jahren.

Städte spielen immer eine Rolle

Das Buch beginnt mit einem Zitat von Karen Blixen: „Es gibt kein Leben, in dem nicht eine Stadt eine Rolle spielt.“ Zeitgenössisch und historisch sind Städte tatsächlich Orte, an denen man sich trifft. Handel, Regierung, Technik … irgendwann findet dort ein Austausch statt. Zahlreiche Entwicklungen gingen von Städten aus, weil dort (und wenn es nur an der schieren Zahl an Menschen liegt) von allem „mehr“ ist: Mehr Ideen, mehr Lebensstile, mehr Nachbarn, mehr Jobs, mehr Angebote, mehr Kultur. Und alles zusammen in großer Dichte. Ein Beispiel: Die Erfindung von Abwassersystemen konnte nur in der Stadt entwickelt werden, wo Abwässer durch die Enge tatsächlich ein Problem darstellten.

Jakubowski und Kaltenbrunner gehen zunächst intensiv auf das ein, was eine Stadt ausmacht. Sie zitieren dafür auch Philosophen, Soziologen oder Schriftsteller. Sie erläutern historische Konzepte, formulieren die unterschiedlichen Ansprüche, die sich je nach Interessenslage schon immer widersprechen konnten. Doch noch nie so sehr wie heute:

Die sich herausbildenden Sozialstrukturen lassen sich nicht mehr – wie lange Zeit üblich – bruchlos auf räumliche Ordnungsbilder projizieren. … Die Lebensstile kennzeichnen die Personen lediglich in biografischen Phasen, ihre räumliche Konzentration besagt wenig über die Kontinuität der Lebensläufe.

Unerwartet, aber interessant

Zugegeben, ich hatte etwas Zugänglicheres erwartet. Das Buch ist sichtlich für Leser konzipiert, die mehr Vorkenntnisse mitbringen, weniger für Menschen wie mich, deren Interesse sich aus dem eigenen Umfeld und/oder redaktionell aufbereiteten Beispielen speist: Kopenhagen (die Fahrradstadt schlechthin), Bilbao (ehemaliges Industriezentrum wird Kulturmetropole), Zürich (Guerilla Gardening), New York (der High Line Park auf einer ausgedienten Hochbahntrasse) oder Romanshorn (Abbau von Bahngleisen zur Aufwertung des Seeufers). Solche Beispiele, es sind extra fünf ziemlich verschiedene, sind die für mich sichtbaren Punkte des Städtebaus. An solchen Beispielen ist das Buch für mich überraschend arm und für jene, die dabei sind, hätte ich mir oftmals ausführlichere Passagen gewünscht. Trotzdem entwickelt sich das Buch interessant, wenn man sich Zeit für die Ausführungen lässt (und vielleicht hin und wieder einigen Beispielen nachrecherchiert).

Die Autoren leiten Städteplanung historisch ab und zeigen dadurch auch, wie stark sich Städteplanung vor allem etwa seit der Industrialisierung verändert hat, einer Zeit, als sich Wohn- und Arbeitsorte signifikant voneinander zu trennen begannen. Da war es gang und gäbe, Wohnungen als eine Art Behälter für die Arbeitskraft zu bauen. Entsprechend wenig kümmerte man sich beim Bau um heute so selbstverständliche Elemente wie Parks oder Gärten, die eher in wohlhabenden oder alteingesessenen Vierteln zu finden waren. Nach dem ersten Weltkrieg wurden erstmals Lebensgewohnheiten erforscht und der Wohnbedarf analysiert. Denn nun mischten die Kommunen als Bauherren mit und die wollten klare Vorgaben und Regeln haben.

Für wen sind die Immobilien etwas wert?

So manche Regel wäre heute auch nicht schlecht, wenn Investoren im Gegensatz zu früher ihre Häuser nicht mehr bewohnen oder wenigstens in demselben Viertel daheim sind. Heute leben Investoren oft nicht einmal in demselben Land. Den Autoren zufolge entwickeln sich daraus meist unattraktive Stadtgebiete, nicht zuletzt, weil Baugrund mittlerweile oft großflächig denselben Besitzer hat.

Moderne Stadtbilder, die auf renditebasierten Baugesellschaften basieren, zeigen sich gerne in gähnender Langeweile — Null Aufenthaltsqualität und austauschbar. Für den Investor ist Straßen- oder Quartiergestaltung unglaublich uninteressant, für den Einwohner ist es umgekehrt unglaublich wichtig. Aus Sydney gibt es ein Beispiel für die Wiederbelebung einer Hauptstraße: Dem zuständigen Planer, dem Dänen Jan Gehl, fiel auf, dass es im alten Zustand zum Beispiel kaum Schatten gab. Dass Warteinseln bei Straßenübergängen viel zu klein waren für die Mengen an Fußgängern, die sie nutzten. Nicht zuletzt waren eben die Hausfassaden richtiggehende Abschirmungen: Glatt und abweisend, nirgends Möglichkeiten zur Verpflegung für die Passanten. Gehl nennt solche Fassaden „inaktiv“.

Berlin kauft aktuell Immobilien zurück, um die Stadt wenigstens in Teilen wieder lebbar zu machen. Zum Vergleich: Wien hat den sozialen Wohnungsbau nie verkauft, hält nach wie vor knapp ein Drittel der Wohnungen, circa ein Viertel gehört gemeinnützigen Immobilienfirmen. Wien als Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens.

Das Automonopol muss bröckeln

Erneut ändert sich das Denken: Jahrzehntelang dominierte das Auto die Planungen, aus Stadtplanung wurde Verkehrsplanung. Nun orientiert man sich wieder deutlicher an den Bedürfnissen der Bewohner. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt die „verheerende Flächenbilanz“ (das steht wortwörtlich so im Buch) einer auf das Auto ausgerichteten Stadt: Ein Drittel der Fläche wird da für Parken und Fahren hergegeben.

Stichwort Parken Hamburg hat einmal errechnet, dass alleine die stehenden Autos viermal so viel Platz brauchen wie alle Spielplätze zusammen. Gerade eben erst machte ein Freelancer in San Francisco mit der Aktion WePark nicht nur auf hohe Mieten aufmerksam, sondern auch darauf, wie billig im Vergleich dazu Parkplätze sind. Er und andere Aktivisten zahlten kurzerhand die Parkgebühren und arbeiteten auf freien Stellflächen. Der PARKing Day (zum Beispiel Berlin), jedes Jahr am dritten Freitag im September stellt seit 2015 jährlich die Frage, wie man Verkehrsflächen auch anders nutzen kann.

Hinzu kommen Lärm und Abgase und nicht zuletzt wirken Straßen oft wie trennende Barrieren. Jakubowski und Kaltenbrunner schreiben, dass ganze Viertel nach dem (Aus-)Bau von Straßen einen richtigen Niedergang erlebten. Dazu eine Interviewpassage mit dem schon genannten Jan Gehl, der auch im Buch öfter mit seinen Projekten genannt wird:

brand eins: Woran erkennt man die Lebensqualität einer Stadt?
Jan Gehl: … Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der Fußgänger und Fahrradfahrer tickt. …

Der Stadtplaner Jan Gehl im Interview mit Harald Willenbrock; brand eins 12/2014

Mittlerweile orientiert man sich an der Regel „8/80“. In einer Stadt sollen sich Achtjährige und Achtzigjährige ebenso gerne und gefahrlos bewegen können wie der Rest der Bevölkerung. Wie das aussehen kann, schildern die Autoren an so etwas Simplem wie einem Fußgängerüberweg: Den zieht man nach diesem Konzept zum Beispiel über die Straße hinweg, sodass nicht der Fußgänger den Gehsteig verlässt, sondern die Autos über eine leichte Schwelle fahren müssen (also ein Wechsel darin, wer den Höhenunterschied bewältigen muss). Ein Beispiel aus Brighton UK, wieder Jan Gehl: Der Umbau der Innenstadt brachte eine Erhöhung der Fußgängerquote um 62 Prozent – die Leute laufen dort wieder statt quasi mit dem Auto zum Bäcker zu gondeln.

Die Bedeutung des Handels

Ebenfalls sehr aufschlussreich sprechen die Autoren über den Handel. Man muss sich einfach bewusst machen, dass Handel eine der ältesten und wichtigsten Triebfedern der Stadtentwicklung überhaupt darstellt. Seit einigen Jahren ist es eher der Niedergang — Wal-Mart in den USA, lieblose, sich überall gleichende Malls mit den ewig gleichen Geschäften, künstliche Erlebniswelten oder auf der anderen Seite das unpersönliche Online-Shopping, das ganze Innenstädte aussterben lässt.

Eine wichtige Rolle spielt hier die Aufenthaltsqualität. Die wiederum hängt zum Teil an Faktoren, die schon zur Sprache kamen: Fußgängerfreundliche Städte haben es oft leichter. Auch Innenstädte mit Charakter laden eher ein als trostlose Neubauaneinanderreihungen mit immer denselben Geschäften, die sich von Malls oder Onlinehandel gerade deshalb leichter an die Wand spielen lassen. Paris steuert seit einigen Jahren mit einem eigens geschaffenen Budget wirksam dagegen: „Wenn wir nur fünf Prozent der Ladenzeile in einer Straße an interessante Einzelhändler verpachten, dann gelingt es nach und nach, die frühere Mono-Aktivität durch ein vielfältiges Einkaufsangebot zu ersetzen.“

Die Stadt der Zukunft, wie sieht sie nun aus?

Wer auf eine klare Antwort hofft, wird sie bei Robert Kaltenbrunner und Peter Jakubowski nicht finden. Darum geht es ihnen auch weniger. Selbst wenn, sie könnten es wahrscheinlich gar nicht: Im Buch weisen sie klar darauf hin, dass Städte individuelle Eigenarten haben, sodass eine funktionierende Lösung hier nicht unbedingt eine Blaupause für dort sein muss.

Sie liefern eine Standortbestimmung und erläutern aktuelle Herausforderungen aus verschiedenen Bereichen, darunter das Wesen der Öffentlichkeit, Big Data, Mobilität, Widersprüche im Stadtleben, Wohnen, Schattenseiten, Gentrifizierung. Sie stellen aus unterschiedlichen Städten deren Lösungen vor. Sie nennen Architekten und Planer, die mit ihrem Denken Ideen zur Baureife gebracht haben und wie stark diese jeweils auf lokale Bedürfnisse eingegangen sind.

Letztlich liefert das Buch viele Ideen aus einer Art Baukausten, aus dem Elemente gewählt und weiterentwickeln werden können. Mehr Mensch, weniger Auto. Vielleicht sollte ich das Schlusswort Jakubowski und Kaltenbrunner selbst überlassen, die Sinn und Zweck der Neugestaltung so auf den Punkt bringen:

Je lebenswerter eine Stadt für die Menschen ist, umso besser ist sie für die Wirtschaft.

Bibliografische Angaben

Verlag: Aufbau
ISBN: 978-3-351-03743-7
Erstveröffentlichung: 2018

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