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Kim Jung-hyuk – Dein Schatten ist ein Montag

Kim Jung-hyuk – Dein Schatten ist ein Montag

Jung-hyuk Kim - Dein Schatten ist ein Montag

Was werden eigentlich die Nachkommen in den privaten oder geschäftlichen Dingen finden, wenn man eines Tages stirbt und all die Sachen begutachtet werden, die sie zu Lebzeiten niemals angerührt hätten? Ihnen bleibt ja nichts anderes übrig. Aber vielleicht existiert etwas, das das Bild des Toten noch ungünstig verändern könnte. Oder es gibt einfach etwas sehr Privates, das man sozusagen lieber mit sich ins Grab nehmen möchte.

Für Menschen, die sich zu Lebzeiten über solche Dinge ihre Gedanken machen, ist Dong-chi Gu der ideale Ansprechpartner. Gu, der ehemalige Polizist, arbeitet selbständig als Deleter. Egal, ob alte Liebesbriefe oder Fotos, Daten oder Dateien, Gu kümmert sich um Löschung und Vernichtung. Ein kleines „Gschmäckle“ gibt es natürlich, denn der Auftraggeber ist zum Zeitpunkt der Erledigung naturgemäß nicht mehr da. Um an die jeweiligen Gegenstände zu gelangen, fällt Gus Treiben hin und wieder in die Kategorie „Einbruch“. Die Polizei aber akzeptiert sein Tun und nicht zuletzt arbeitet Gu gelegentlich mit seinem Freund, Inspektor Kim, zusammen.

Ihre Zusammenarbeit wird besonders wichtig, als einer von Gus Klienten vom Dach stürzt. Kim untersucht den Tod und gemeinsam sucht er mit Gu das verschwundene Tablet des Toten. Gu soll es vernichten, Kim könnte es für die Klärung des Mordfalls brauchen. Kim und Gu forschen bei einer Produktionsgesellschaft für Filme und Unterhaltung herum und riechen geradezu, dass die Daten auf dem Tablet für Erpressung reichen könnten. Außerdem scheint jemand der Beteiligten Mitglieder einer Kampfkunstgruppe mit illegalen Aufgaben zu beschäftigen.

Das kleine Haus im alten Stadtviertel

Aus dem Setting entwickelt Jung-hyuk Kim ein gutes Puzzle- und Verwirrspiel, bei dem lange nicht klar ist, wer hinter wem her ist und wie einzelne Leute miteinander zu tun haben. Es ist insgesamt recht düster, wenn da nicht noch etwas anderes wäre: Was parallel nämlich sehr angenehm zu lesen ist, sind die kleinen Nachbarschaftsgeschichten aus dem Crocodile Building, das — wie ein Lebewesen — einen ganz eigenen Geruch hat (wenn auch keinen guten).

Irgendjemand, der diesen Geruch einmal zu erklären versucht hatte, hatte behauptet, die wahrscheinlichste Methode, ihn hervorzubringen, sei, Küchenabfälle, Tierkadaver, Schimmel und rostiges Metall vermischt mit dem Schweiß von Menschen fünfzig Jahre lang tief in der Erde reifen zu lassen — eine Erklärung, die bei den Leuten im Crocodile Building ein zustimmendes Nicken hervorrief.

In dem Stadtviertel mit den alten, leicht heruntergekommenen Häusern steht das Haus vermutlich wie so viele andere auch: Das Haus scheint eine Art eigenes „Leben“ entwickelt zu haben, nach all der Zeit, und die Bewohner leben nicht nur nebeneinander her. Im Untergeschoss ein kleines Restaurant, in dem die Bewohner immer wieder zum Essen vorbei kommen. Dann eine Eisenwarenhandlung, der die Lausbuben aus der Nachbarschaft Kleinigkeiten aus der Auslage mopsen, eine Hapkido-Schule, ein Internet-Café mit einem technisch versierten Betreuer und ganz oben die Homeoffices einer Drehbuchautorin und von Gu.

Gu ist als ehemaliger Polizist der Grandseigneur des Hauses, der Streitigkeiten schlichet. Die Drehbuchautorin himmelt ihn ein wenig an und erfindet Szenen für ihn als Filmhelden. Da entwickelt sich ein schöner kleiner Erzählstrang parallel zum Krimi. Das Miteinander kommt so stimmig an, dass mir in den Sinn kommt, was Kim über sein Schreiben sagt: Die wichtigste Vorbereitung sei „beobachten, beobachten und beobachten„.

Bibliografische Daten

Verlag: Cass
ISBN: 978-3-944751-20-7
Originaltitel: 당신의 그림자는 월요일
Erstveröffentlichung: 2019
Deutsche Erstveröffentlichung: 2014
Übersetzung: Paula Weber


P.S.: Ich wüsste jetzt noch gerne, ob Kim mit seiner Idee, dem Haus und dem Viertel eine Art eigenes Leben einzuhauchen, den Immobilienhaien auf die gut polieren Schuhe spucken wollte? Denn die machen solche gewachsenen, alten Viertel ja gerne platt, um sich in Glas und Stahl zu verewigen (dazu gibt es auch eine kleine Spur im Buch, die den Verdacht in mir nährt).

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