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Ned Beauman – Der gemeine Lumpfisch

Ned Beauman – Der gemeine Lumpfisch

Ned Beauman - Der gemeine Lumpfisch

Sind Fische intelligent? Karin Resaint erforscht auf dem Schiff Varuna genau diese Frage für eine Minengesellschaft, die in der Ostsee unterseeisch Ferromanganknollen abbauen will. Dort sind die letzten verbliebenen Brutstätten für den Lumpfisch. Würden Resaints Forschungen eine gewisse Intelligenz ergeben, müssten die autonomen Minenfahrzeuge den Lebensraum umfahren. Oder aber die Minengesellschaft kauft kurzerhand so genannte Auslöschungszertifikate, um den angerichteten Schaden durch den Abbau gewissermaßen zu büßen. Bei intelligenten Spezies zahlt sie jedoch für ein Dutzend Zertifikate mehr als bei weniger intelligenten und folglich spekuliert man darauf, dass Resaint sich mit ihren Forschungsergebnissen an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens orientieren wird.

Auf der Jagd nach Überlebenden

Wegen ihres Jobs lernt Resaint kurz vor Abschluss ihrer Forschungen Mark Halyard kennen, der bei eben jener Minengesellschaft als „Umweltverträglichkeitskoordinator“ für Auslöschungszertifikate zuständig ist. Halyard hat sich ausgerechnet damit durch Leerverkäufe allerdings heftig verzockt. Als die Minenfahrzeuge den Meeresgrund außerhalb ihrer geplanten Routen plattmachen, könnten seine Deals auffliegen – jedenfalls, wenn der Lumpfisch als intelligent eingestuft wird. Er stattet Resaint einen Besuch auf der Varuna ab, um seine Aussichten zu checken.

Mit Resaint macht er sich auf den Weg, um anderswo nach lebenden Exemplaren zu suchen. Fänden sie welche, käme alles wieder ins Lot. Was nicht als ausgestorben gilt, muss auch nicht kompensiert werden. Doch wo auch immer die beiden auftauchen, hagelt es Pech für den Lumpfisch und für Halyard. DNA-Datenbanken, die zum späteren Klonen ausgestorbener Spezies aufgebaut wurden, werden zum Beispiel von Hackern angegriffen und es sicht nicht so aus, als ob Lumpfisch-DNA übrig geblieben wäre.

Die Reise von Halyard und Resaint ist eine geradezu absurde Tour durch eine in jeder Hinsicht abgewrackte Welt. Der Name „USA“ wird längst peinlichst vermieden und die britischen Inseln haben sich als „Hermit Kingdom“ zu einem verarmten, „dementen Satellitenmodul“ Europas entwickelt.

Die Realität der Technologieoffenheit

Die Auswirkungen der Klimakatastrophe sorgen dafür, dass Ahornbäume austrocknen und keinen Sirup mehr hergeben und dass Bourbon in Kentucky in seinen Fässern vor sich hin kocht. Pilze höhlen Bäume aus und Thunfische verenden mangels Beutetieren. Was an Essen auf den Tisch kommt, ist kaum noch genießbar. „Spindrifter“, die einst als vielversprechende Klimakühler auf die Ostsee gesetzt wurden, irren als nicht mehr kontrollierbare Technikwracks über das Meer.

Man sollte sich bei Ned Beauman nicht darauf verlassen, dass sich der Roman mit seinem Zukunftsszenario irgendwie ausschließlich als Fiktion disqualifizieren würde. Beauman treibt die Idee der Technologieoffenheit schlüssig voran und zeigt, welche Probleme entstehen, wenn man Umweltschutz lieber mit Geld als Grips bewältigen möchte. Unternehmen wirtschaften wie gehabt vor sich hin und die Politik schafft weiterhin Rahmenbedingungen, die deren Wachstum geschuldet sind. So kommen Konzepte wie „Auslöschungszertifikate“ zustande und wenn irgendeine politische Lösung nicht mehr funktioniert, werden die Rahmenbedingungen aufgeweicht.

Die Politik verlässt sich auf technische Lösungen und erhofft Forschungsdurchbrüche. Es braucht schon einen betrunkenen Mitarbeiter beim Karaoke, um Sackgassen zu offenbaren. Im Prinzip zeigt Beauman, dass mit dem aktuellen Vorgehen vieler Länder keine Richtungsänderung passiert.

Ebendiese Mischung des Romans — das abstrus wirkende, das konsequent weitergedachte, das doch realitätsnahe (weil aus der Aktualität abgeleitet), gespickt mit vielen Anspielungen — macht die Jagd nach dem gemeinen Lumpfisch zu einem gleichzeitig beunruhigenden wie unterhaltsamen Lesestück.

Linke behaupteten manchmal, dass es in einem kapitalistischen System niemals eine Lösung für das Artensterben geben könne, die nicht von Profitgier und Missbrauch geprägt war, weil der freie Markt wie eine bösartige KI war …; Resaints eigener Vorschlag lautete einfach, jedem der hunderttausend reichsten Menschen auf der Erde nach dem Zufallsprinzip eine gefährdete Spezies zuzuweisen und sie dann darüber zu informieren, dass sie erhängt werden, sollte die ihnen zugewiesene Spezies jemals aussterben.

Bibliografische Angaben

Verlag: Liebeskind
ISBN: 978-3-95438-158-6
Originaltitel: Venomous Lumpsucker
Erstveröffentlichung: 2022
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Marion Hertle

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