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Zwanzig Quadratmeter Buchtempel: Morioka Shoten

Zwanzig Quadratmeter Buchtempel: Morioka Shoten

Sonntags ist das Bummeln auf der Ginza ein Genuss: Die Straße ist autofrei und Fußgänger flanieren über die Straßen. Wenn man ein bisschen aufpasst, spürt man die U-Bahn unter sich hindurchfahren. Irgendwann, weiter im Norden, sollte man zum Sumida-Fluss abbiegen, in Richtung der Metro-Station Shintomicho. Kurz vor dem Queren der Stadtautobahn geht es nach links in eine kleine enge Seitenstraße. Dort findet man einen der begehrtesten Buchläden überhaupt. Den 森岡書店銀座店, außerhalb Japans besser bekannt als Morioka Shoten.

Kaum eine Zeitschrift, kaum ein Online-Portal über Bücher oder Design, kaum ein Reiseratgeber, der den Laden seit seiner Eröffnung im Mai 2015 noch nicht als lohnenswertes Ziel erwähnt hat. Dabei ist der Laden an sich fast spartanisch: Kaum zwanzig Quadratmeter groß, ein roher Steinboden. Die Wände sind schlicht weiß und bewusst nicht verkleidet oder verputzt. Als Theke und Arbeitsplatz dient eine alte Kommode mit zahllosen Schubladen und ansonsten findet man nur einen filigranen, schmalen Tisch im Laden. Und trotzdem findet man sich in einem inzwischen weltbekannten Mekka der Buchliebhaber wieder.

Die absolute Fokussierung

Der Clou ist das Konzept des Ladeninhabers Yoshiyuki Morioka. Auf Japanisch entspricht dieses Konzept mit nur vier Zeichen 一冊一室 der Simplizität, die es beinhaltet: „Ein Buch, ein Raum“. Morioka verkauft nichts anderes als nur einen Buchtitel, sechs Tage lang. Dann folgt der nächste, wieder sechs Tage lang. Mehr als 52 verschiedene Buchtitel pro Jahr gibt es also nicht zu kaufen. Und plötzlich ergibt das klare, puristische Ladendesign einen Sinn: Nichts soll ablenken von diesem einen Buchtitel, auf den sich der Interessent im Raum konzentrieren kann.

Die Designer, die sich um das Logo kümmerten, verglichen Morioka Shoten seinerzeit mit einem japanischen Teehaus: Auf Grund der Größe und der minimalen Ausstattung könne man sich dort optimal auf die Teezeremonie einlassen. Auf dieselbe Art funktioniere auch dieser Buchladen. Dieser kleine, filigrane Tisch ist folgerichtig der einzige Ort im Laden, auf dem das aktuell verkaufte Buch präsentiert wird.

Ein besonderes Zuhause

Der Standort des Ladens ist nicht nur wegen seiner zentralen Lage in der Nähe der populären Shoppingmeile etwas Besonderes. Morika Shoten kam in einem denkmalgeschützten Haus unter — davon gibt es in Tokyo nicht viele. Auch in Ginza nicht, da große Areale während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Morioka Shoten residiert im „Suzuki Building“ von 1929 und ist ein Beispiel für den japanischen Art Deco-Stil.

Yoshiyuki Morioka erinnert sich an seinen früheren Buchladen. Dort habe er eine Beobachtung gemacht, die ihn nicht mehr losgelassen habe: Bei Veranstaltungen kamen immer viele Leute, dabei ging es an solchen Abenden meist nur um ein einzelnes Buch. Wenn Menschen wegen eines Buchs allein bereit waren, zu einer Veranstaltung zu fahren, könnte man nicht einen ganzen Laden mit dieser Idee betreiben?

Das begehbare Buch

Dem Guardian gegenüber beschrieb Morioka seine Buchhandlung als eine Art dreidimensionale Bucherfahrung: Die Leser sollen beim Eintreten in den Laden in die Welt des jeweiligen Buchs eintreten können. Dazu gehört auch die Bitte an Autoren oder Herausgeber, während der Präsentation so oft wie möglich im Laden zu sein, damit die Kunden mit ihnen ins Gespräch kommen können.

Außerdem setzt Morioka seine Präsentationen gezielt wie eine Ausstellung um. Stellt der Laden beispielsweise ein Buch über Blumen vor, platziert er im Laden jene, die im Buch vorkommen. Natürlich kann man dann auch die Blumen kaufen. Je nach Buchtitel sehe der Laden manchmal gar nach einer Galerie aus, heißt es. Denn ausschließen will Morioka kein Genre: Bei ihm gibt es Romane, Bildbände, Manga oder Biografien.

Die Ideen für eine Präsentation stehen in der Regel mit einem Jahr Vorlaufzeit fest. Morioka stimmt sie nicht alleine ab, sondern arbeitet mit Autoren, Verlagen und Gestaltern zusammen. Dann lassen sich Ladenpräsenzen der Autoren, die zugehörigen Ausstellungen oder Buchvorräte leichter planen und realisieren. Manchmal entpuppen sich die Bücherevents zu überraschenden Verkaufsschlagern. Go Murahigashi zum Beispiel, ein Fotograf aus Osaka, dokumentiert sein Leben mit seinem kleinen Papagei, einem Rosenköpfchen, immer wieder mit Fotos. Eine Ausstellung im Morioka Shoten machte den Papagei Otochan richtig populär, seine Fotos zieren Kalender, Postkarten oder Taschen. Und inzwischen auch ein kleines Buch.

Schwarz ist nicht gleich schwarz

Anfang März gehörte der Laden einem Notizbuch. Aber nicht irgend eines: Morioka bot das „PIIRTÄÄ Le Noir“ an, ein schwarz gebundenes Notizbuch mit schwarzen Seiten. Mit ihm im Laden stand Projektmanagerin Olivia Pan aus Taiwan, die für das 160 Seiten dicke Notizbuch das komplette Design entwickelt hat. Sie verantwortet alles, von der Papierwahl über die Bindung, von der Faltverpackung mit Siegel bis hin zur Auswahl der Produktionsstätten. Wer Fragen dazu hatte, konnte Pan dazu jederzeit ansprechen. Und erfuhr zum Beispiel, dass die eine Seite des Papiers Kohleschwarz war, die andere Onyxschwarz. Durch eine geschickte Sortierung und Bindung der einzelnen Bögen sorgt man bei der Herstellung in Japan dafür, dass zwei sich gegenüberliegende Seiten immer dieselbe Schwarztönung haben.

Die zugehörige Ausstellung „L’interpretation:Mon Livre Noir“ gestaltete der Laden als Gemeinschaftsprojekt. Mit dabei der italienische Designer Martino di Napoli Rampolla, der Zeichnungen auf jenem Papier gestaltete, der Fotograf Matt Lia mit Schwarzweißbildern aus Italien, sowie der Fotograf und Künstler Chung Hsuan mit teils sehr grafischen Schwarzweißmotiven. Und auch hier gelang es, einen der beteiligten Künstler im Laden anzutreffen: Naopoli Rampolla dokumentierte gerade mit der Kamera die kleine Ausstellung.

Begegnung im Buchladen

Dieses Glück, Künstler oder Autoren zum persönlichen Gespräch im Laden anzutreffen, ist also nicht nur auf angekündigte Veranstaltungen am Abend beschränkt, die Morioka Shoten auf seiner Facebook-Seite bekannt gibt. Ganz im Sinne des Erfinders, der inspirierende Begegnungen bewusst einem ungefilterten Massenangebot von Büchern vorzieht.

Morioka macht bei seinen Besuchern und Kunden verschiedene Gruppen aus. Natürlich gibt es die regelmäßigen Kunden, die immer wieder vorbeischauen, an Veranstaltungen teilnehmen und bei Interesse kaufen. Es gibt bei jeden Buch eine veränderliche Besucherschar, die konkret wegen des jeweiligen Buchs oder des Autors vorbeischaut. Und inzwischen macht die dritte Gruppe ebenfalls einen guten Anteil aus: Besucher aus dem Ausland. Manche kommen schlicht als Touristen, die den berühmten Buchladen mit eigenen Augen sehen möchten. Manche davon nutzen die Gelegenheit aber auch zum Kauf, wenn sie Gefallen am aktuellen Buch haben. Das Notizbuch wäre ganz sicher sehr touristenfreundlich gewesen.

Der Erfolg des Ladens gibt Yoshiyuki Morioka Recht. Sein Konzept verspricht jedem Kunden, das Buch seiner Wahl besser zu verstehen und besser wahrzunehmen. Und an das Buch an sich glaubt er ohnehin: Ein Buch übe eine besondere Anziehungskraft aus und die vergehe selbst zwischen digitalen Angeboten nicht.


Fotos: Ayako Hirose

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