James Bond betritt die Spionage-Bühne im nordfranzösischen Royale-les-Eaux. Im dortigen Casino will der russische Geheimdienstler Le Chiffre seine Kasse aufbessern. Zu viel hat der in die eigene Tasche gewirtschaftet und nun ein riesiges Finanzloch. Le Chiffre weiß, dass er damit nicht lange überleben wird. Auch der britische Geheimdienst weiß das und versucht, den Untergang des Gegners zu beschleunigen. Bond soll Le Chiffre im Casino um den Rest des Geldes bringen. Unterstützung erhält er vom amerikanischen Geheimdienst in Gestalt von Felix Leiter, aus London von der MI6-Mitarbeiterin Vesper Lynd und direkt aus Frankreich von René Mathis. Und irgendwo im Hintergrund lauert eine russische Organisation, von der man erschreckend wenig weiß: die Smersch.
Vor vielen Jahren begegnete ich Ian Fleming zum ersten Mal, lange, bevor ich die Filme kennen lernte. Nie wieder wollte ich was mit diesem Langweiler zu tun bekommen. Die Kurzgeschichten, die ich von ihm las, fand ich vorhersehbar und gar nicht so spannend, wie es der Ruhm der Kinofilme vermuten ließ. Mich wunderte, dass jemand auf die Idee gekommen war, von Fleming überhaupt etwas verfilmen zu wollen. Vielleicht hing es damit zusammen, dass die englischen Originalbücher besser waren als das, was in Deutschland zu bekommen war: Wie auch beim gerade erst im Blog vorgestellten Krimi Es klingelte an der Tür von Rex Stout wurde die deutsche Version wie damals üblich aus verschiedenen Gründen gekürzt (im Herbst 2012 erschien diese Neuübersetzung als Start für die neue Fleming-Serie beim Cross Cult Verlag, laut Verlag ungekürzt und mit den originalen Kapitelabschnitten und -überschriften). Dann jedenfalls wäre meine langjährige Weigerung, was von Ian Fleming zu lesen, wenigstens nicht seine Schuld.
Kein Sympathieträger
Bond ist Kettenraucher („Dann zündete er seine siebzigste Zigarette an diesem Tag an …“), routiniert präzise und geradezu kleinlich genau:
Es kam sich bei der Kontrolle dieser kleinen Einbruchtests nicht albern vor. Er war ein Geheimagent und hatte es genau dieser Detailgenauigkeit zu verdanken, dass er noch am Leben war.
Bond ist, wahrscheinlich der Zeit entsprechend, ein unsympathischer Zeitgenosse, wie man ihn als Arbeitskollege nicht haben mag. Frauen sind für ihn bloße Dekoration und dass ihm mit Versper Lynd eine Frau zur Seite gestellt wird, stößt ihm wirklich sauer auf. Er merkt in seinem Chauvinismus nicht einmal, dass er denselben „emotionalen Ballst“, den er bei Frauen ausmachen will, selber herumschleppt. Seine schreckliche Verliebtheit wird ihm am Ende beinahe zum Verhängnis.
Das Original liest sich flott und gut. Lange hielt sich Fleming mit seinem Bond-Erstling nicht auf, ganze 179 Seiten bringt das Ebook auf die Waage. Man liest es also schnell. Aber auch mit Gefallen. Bonds Abenteuer ist rasant und birgt verblüffende Einblicke in einen erstaunlich nachdenklichen Bond, der zumindest für ein paar Tage mit dem Gedanken spielt, den Dienst zu quittieren. Überlassen wir das Schlusswort René Mathis:
Engländer sind so seltsam. Sie sind wie ein ganzer Haufen Matroschka-Puppen. Man braucht sehr lange, um ins Zentrum zu gelangen. Sobald man dort ist, erweist sich das Ergebnis als der Mühe nicht wert, doch der Vorgang an sich ist lehrreich und unterhaltsam.
Und das vermutlich noch ein paar Bond-Romane lang, denke ich.

Bibliografische Angaben
Verlag: Cross Cult
ISBN: 978-3-86425-071-2
Originaltitel: James Bond – Casino Royale
Erstveröffentlichung: 1953
Deutsche Erstveröffentlichung: 1960
Übersetzung: Stephanie Pannen, Anika Klüver
Extra: Das originale Martini-Rezept
„Einen trockenen Martini“, sagte er. „In einer tiefen Champagnerschale“
„Oui, Monsieur.“
„Einen Moment noch. Drei Teile Gordon’s, ein Teil Wodka, ein halber Teil Kina Lillet. Schütteln Sie es gut durch, bis es eiskalt ist, und fügen Sie dann ein großes dünnes Stück Zitronenschale hinzu. Verstanden?“
„Natürlich, Monsieur.“ Dem Barkeeper schien die Idee zu gefallen.
„Meine Güte, das ist ja mal ein Drink“, sagte Leiter.