Nicht weit von London liegt das Herrenhaus Beresford Lodge. Dorthin eingeladen ist der junge Börsenmakler Malcom Warren. Weniger aus persönlichen Gründen, mehr aus beruflichen: Das Anwesen gehört seinem Kunden Quisberg, der über die Feiertage an einem großen Aktiendeal arbeiten möchte. Samt Familie und Sekretär tafeln die Gäste und vertreiben sich die Zeit mit ulkigen Spielen. Doch am nächsten Tag findet Warren die tote Mutter des Sekretärs auf seinem Balkon.
Zunächst sieht alles nach dem Unfall einer derzeit labil wirkenden und zudem schlafwandelnden älteren Frau aus. Doch ein zweiter Todesfall macht die Theorie zunichte. Denn das war eindeutig Mord und der Täter muss unter den Anwesenden zu finden sein. Warren macht sich Gedanken und fragt sich, wie die Todesfälle zusammenhängen könnten. Hoffentlich nicht mit dem Aktiendeal, denn immerhin hat auch er dort ein paar Anteile erworben.
Der Börsenmakler macht sich also ein bisschen als Ermittler zu Schaffen. Er streunt über das Gelände, in die angrenzende Heide und in den Schuppen hinter der Garage. Nach einem Sturz bei einem Spiel ist es außerdem ganz nützlich, dass ihm der Butler des Hauses gelegentlich zu Hilfe kommt, und unauffällig eine Informationsquelle hergibt.
Eine idyllische Familie
Die Familie gäbe mehrere Möglichkeiten her, Täter zu stellen. Denn nicht jeder kommt Warren sympathisch vor. Die hochnäsige Tochter des Hauses hat sich mit einem Grobian eingelassen, der vermutlich nur wegen des Geldes mit ihr angebändelt hat. Der älteste Sohn gilt als schwarzes Schaf, weil er in Künstlerkreisen unterwegs ist. Und die Krankenschwester für den jüngsten Spross, der sich von einer Operation erholt, erweckt ein gewisses Misstrauen bei Warren, weil er sie viel zu hübsch für den Job findet.
Wer einen Locked Room-Krimi erhofft, ist hier falsch. Das Herrenhaus ist weder dick eingeschneit, noch ist es klirrend kalt. Das ganze Buch über weist Warren darauf hin, dass es ungewöhnlich mild ist. Weihnachtsstimmung kommt in diesem Buch nicht auf.
Dafür bedient der Krimi natürlich das Cozy-Ambiente, denn es ist nun mal Weihnachten in einem großen Anwesen mit Dienerschaft. Der „Ermittler“ findet sich mit logischen Schlussfolgerungen nicht zurecht und möchte sich lieber mit psychologischen Erkenntnissen bewähren. Die erwähnte Logik nimmt ihm der Kommissar ab, der nach dem zweiten Mord aufgeboten wird. Er durchschaut Malcom Warren recht schnell und scheint immer sehr genau zu wissen, was der Börsenmakler spekuliert und wie richtig oder falsch er damit liegt.
Interessant sind übrigens die Bemerkungen des Kommissars zum Tod von Warrens Tante und die eines Freundes bei einer Tageszeitung. Wer ein wacher Krimileser ist, dem werden diese zu Recht merkwürdig vorkommen: Es klingt, als sei Warren damals zum Tatverdächtigen geworden. Kitchin schrieb mit dem Börsenmakler Warren in der Hauptrolle tatsächlich vier Whodunit und ließ den Hobbyermittler mit einem Tod in der Verwandschaft ins „business“ einsteigen.
Nachdem ich den Autor nun allerdings mit diesem Werk kennenlernen konnte, schreibe ich ausnahmsweise nicht, dass ich mehr lesen möchte. „Das Geheimnis der Weihnachtstage“ nehme ich als Zeitvertreibkrimi in meine Erinnerungen auf und verbringe den Rest des Heiligabends mit Gesellschaftsspielen.
Bibliografische Angaben
Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-96639-8
Originaltitel: Crime at Christmas
Erstveröffentlichung: 1934
Deutsche Veröffentlichung (diese Ausgabe): 2024
Übersetzung: Dorothee Merkel
Bestellen bei genialokal.de* / buchhaus.ch* / osiander.de* / orellfuessli.ch* (*Affiliate-Links)