In diesem Jahr soll Weihnachten in Warbeck Hall eine besondere Feier sein. Für den Hausherrn Lord Warbeck wird es den Ärzten zufolge das letzte werden und so hat er verschiedene Gäste eingeladen, die ihm nahe stehen. Wenn auch nicht viele; gerade einmal sechs Personen müssen Butler und Personal zusätzlich verköstigen.
Das letzte Weihnachtsfest wird es allerdings für Lord Warbecks Sohn Robert. Der bricht nach einem Schluck aus dem Champagnerglas zusammen, kurz bevor er eine wichtige Mitteilung machen konnte.
Eingeschneit mit einem Mörder
Just zum Fest ist das Landgut von der Umwelt abgeschnitten und die Menschen im Haus vertragen also schlecht, als der Historiker Dr. Bottwig umgehend eine Vergiftung attestiert. Denn das heißt, dass der Täter einer von ihnen ist. Unter den gegebenen Umständen ist es gewissermaßen ein Glück, dass Sir Julius, Schatzkanzler und Cousin des Hausherrn, mit einem Leibwächter angereist ist. Dieser sorgt zunächst für Ordnung und kümmert sich um eine erste Beweisaufnahme und „Verhöre“. Soweit es die Anwesenden vor lauter Standesdünkel zulassen jedenfalls. Alleine schon ihre adlige Herkunft müsste sie über jeden Verdacht erhaben machen, oder?
Bei der Frage nach dem Verdächtigen muss er sich entscheiden zwischen einem Kabinettsmitglied, einer jungen Aristokratin, der Ehefrau eines aufstrebenden Politikers, einem vertrauenswürdigen Diener der Familie und einem gelehrten Ausländer obskurer Herkunft und zweifelhafter Nationalität.
Unberührt von Konventionen bewegt sich nur der Historiker Dr. Bottwink durch das Haus. Durch seinen Lebenslauf recht illusionslos geworden, widmet er sich im Wesentlichen seiner Aufgabe, das Archiv des Hauses zu durchforsten. Sein Interesse an englischer Lebensart nutzt er als Grundlage, die Gäste mit Fragen zu löchern. Egal, wie unangemessen sie seine Einmischung finden.
Ein typisch englischer Mordfall
Cyril Hare gehört zu jenen Krimiklassikern, die ich dem Namen nach gut in Erinnerung behalten habe. In meinem Regal steht seit Menschengedenken „Tragödie im Gerichtssaal“ (Tragedy at Law) aus der schwarz-gelben Diogenes-Reihe (ein Erbstück). Hare hatte sich als Jurist auf Krimis rund um Recht und Gesetz spezialisiert und jener Krimi gilt seit Erscheinen im englischen Sprachraum als einer der 100 besten „of all time“ und war seither nie vergriffen.
„Mord auf dem Landgut“ folgt freilich ebenfalls Hares Struktur. Er taucht ein in die politischen Feinheiten Englands und ihre Geschichte. Bottwink, der Historiker, wird von anderen Gästen gerne daran erinnert, wie modern die gegenwärtige Politik doch sei. Doch Hare erhält die Illusion nicht lange aufrecht. Nach wie vor hat der Faschismus Anhänger bis in die höchsten Kreise. Das bekommt Bottwink schnell zu spüren, der in der jüngsten europäischen Geschichte zwischen Österreich, Tschechien und Deutschland herumgereicht wurde und die Konzentrationslager überlebt hat.
Cyril Hare lässt Außenseiter Bottwink zwar mit seinen Gepflogenheiten beim englischen Adel anecken. Aber wird am Ende derjenige sein, der die Hinweise sammeln und korrekt deuten kann. Weil er die Strukturen und Gesellschaftsschichten nicht für selbstverständlich nimmt und sich das Wissen aktiv erarbeitet hat, zuckt er nicht so instinktiv wie Sir Julius‘ Leibwächter zurück. Er weiß, dass er sich auf sich selbst verlassen muss und kann. Mit diesem Krimiklassiker ist ein sehr interessanter Griff aus dem „Golden Age of Crime“ gelungen und niemand sollte sich durch das idyllische Coverdesign von diesem Weihnachtskrimi täuschen lassen.
Bibliografische Angaben
Verlag: Lübbe
ISBN (HC): 978-3-404-18922-9
ISBN (TB): 978-3-404-19383-7
Originaltitel: An English Murder
Erstveröffentlichung: 1951
diese Ausgabe: 2022
Übersetzung: Holger Hanowell
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