Der unendliche Bücherturm in Prag

von Bettina Schnerr
5 Minuten Lesezeit
Stadtbibliothek Prag: Warteschlange im Foyer. Foto: Bettina Schnerr

Zugegeben, jemanden zur Besichtigung in die Stadtbibliothek zu schicken, ist nicht der gängigste Tipp unter Touristen. Prag macht hier definitiv eine Ausnahme. In dieser Stadt lohnt sich nämlich ein Besuch im Hauptgebäude der Stadtbibliothek (Městská knihovna v Praze).

Das Haus liegt sehr zentral am Mariánské náměstí (Marienplatz), wo man als zu Fuß gehende Prag-Besucherin auf alle Fälle irgendwann vorbeikommen wird. Die Bibliothek wurde 1928 fertiggestellt und war nicht nur das erste Gebäude des Landes, das eigens für eine Bibliothek entworfen worden war. Es war seinerzeit auch eines der modernsten Europas. Der Architekt hatte so gut mitgedacht, dass das Gebäude bis in die 1970er Jahre für Neuerwerbungen und Bibliotheksbedürfnisse völlig ausreichend war.

Berühmt geworden ist allerdings nicht das Gebäude, sondern das, was darin steckt: Eine Buchskulptur! Sie heißt „Idiom“ und ist auch als „Column of Knowledge“ bzw. „Säule des Wissens“ bekannt – schaut man den Bücherturm in Prag an, ist klar, warum das Kunstwerk von Besuchenden schnell umbenannt wurde. Geschaffen wurde das Werk 1998 vom slowakischen Künstler Matej Krén. Die deckenhohe Installation besteht aus 8000 Büchern, in allen Farben, Formen, Größen und Sprachen.

Idiom zieht seine besondere Kraft aus den beiden darin installierten Spiegeln. Wer durch den schmalen Spalt auf der Frontseite schaut, erlebt die einzigartige Illusion eines endlosen Tunnels voller Bücher. Die vielen Weißtöne der Buchseiten erzeugen eine warme Atmosphäre, sind in dieser unfassbaren Menge aber eben auch kaum unterscheidbar. Wer würde sich nicht einmal gerne in so einem Szenario verlieren?

Hier ist der Turm dauerhaft zu Hause

Varianten der Skulptur standen unter anderem bereits 1991 in einer Pariser Galerie und als fünf Meter hohe Säule in einem klassischen Museumsraum auf der Biennale 1994 in Sao Paulo. 1996 zeigte die Jiří Švestka Gallery in Prag diesen faszinierenden Bücherturm und Anna Bimková, die damalige Leiterin der Stadbibliothek, sorgte dafür, dass Idiom im Hauptgebäude ein dauerhaftes Zuhause bekommen konnte.

Kréns Kunstwerke bestehen oft aus Büchern und das Gefühl von Unendlichkeit – vor allem der Unendlichkeit von Wissen – steckt in vielen von ihnen. Werden die Skulpturen abgebaut, legt der Slowake Wert darauf, dass die Bücher nicht im Müll landen. Sie sollen ihrem ursprünglichen Zweck dienen und wieder gelesen werden. “It comes from bookcases and goes back to them,” hat er in einem Interview einmal zu seiner Motivation gesagt. Der Prager Idiom ist also eine große Ausnahme unter Kréns Installationen.

Je nach Tageszeit gibt es eine unterschiedlich lange Schlange von Touristen, Bücherfreunden und -freundinnen, die ihre Fotos schießen möchten. Dank des großzügigen, dreiteiligen Aufgangs in der Eingangshalle blockiert die Schlange aber nicht die regulären Besucher.

Im Haus gibt es linkerhand ein kleines Café, in dem man sich nach dem Warten und der Fotosession mit Snacks und Getränken stärken kann.

Cover der Zeitschrift Science vom Januar 2011: zeigt die Installation von Matej Krén in der Stadtbibliothek (Městská knihovna v Praze) von Prag
Idiom als Coverboy auf der Januar-Ausgabe von Science im Jahr 2011.

Öffnungszeiten

Der Bücherturm ist zu folgenden Zeiten kostenfrei zugänglich:

  • Montag: 13 – 19:30 Uhr
  • Dienstag – Freitag: 9 – 19:30 Uhr
  • Samstag: 13 – 17:30

Generelle Schließungen, wie die Sommerpause, findet ihr zum Check vor eurer Abreise auf der Website der Bibliothek.

Bringt ein Viertelstündchen Zeit zum Warten mit. Manchmal reihen sich die Wartenden bis auf die Straße, um ihre kleine persönliche Bücherunendlichkeit zu erleben.

Bonustipp: Achtet beim Verlassen der Prager Stadtbibliothek auf die Statue links gegenüber an der Hausecke. Der Ritter in voller Rüstung mit dem tiefsitzenden Helm soll George Lucas als Inspiration für die Figur des Darth Vader gedient haben – so heißt es jedenfalls. Ob es tatsächlich stimmt, konnte ich nicht herausfinden, aber wissen ja: Nichts geht über eine richtig gute Geschichte.


Fotos: Bettina Schnerr, Ionna Schnerr

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