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Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Donnerstags bei Dörlemann

Donnerstags bei Dörlemann

Tag der offenen Tür beim Literaturfestival „Zürich liest“

Wer den Zürcher Dörlemann Verlag sucht, findet ihn hinter einem kleinen, dezenten Klingelschild versteckt. Ein Supermarkt gegenüber, die Tramhaltestelle in der Nähe, ein Zebrastreifen wie ein roter Teppich fast direkt vor der Tür, eine Papeterie im Untergeschoss, der Verlag im vierten Stock darüber. Es geht -weil der Verlag wegen Zürich liest seine Pforten öffnet- vorbei an Verlagstiteln, die im Treppenhaus als Wegweiser dekoriert sind. Ganz oben ist es, wo der Verlag in einer umgebauten Wohnung sein Zuhause gefunden hat. Vier kleine Altbau-Zimmer genügen, um Literatur zu schaffen, die Martin Ebel bei der Verleihung des ProLitteris-Förderpreises 2015 an den Verlag so beschrieben hat: „Was Sabine Dörlemann und ihr Team machen, sind wunderbare Bücher, von Autoren, die noch keiner kennt oder keiner mehr kennt. Vergessene Klassiker und hoffnungsvolle Schweizer. … Ich kenne keinen Verlag, der so fast ausnahmslos gute Kritiken bekommen hat, keine Verlegerin mit einer so untrüglichen Spürnase für das Wertvolle im Übersehenen.“

Wie die Bücher aussehen, davon kann man sich gleich im Flur überzeugen. Man möchte sie am liebsten alle in die Hand nehmen (und tatsächlich treffe ich eine Frau dort an, die erst einmal jeden Titel sorgsam in die Hand nimmt, in jedem blättert und sich im Anschluss andächtig an das Regal heranwagt, in dem sämtliche Verlagstitel seit Gründung versammelt sind). Es geht mir ähnlich wie ihr, stelle ich fest. Links die Titel in Leinenbindung, die „vergessenen Meister der klassischen Moderne“, wie es in einer Beschreibung heißt. Rechts die aktuellen Stimmen, Schweizer Autoren, aber auch ein paar internationale Namen. Mein persönliches gestalterisches Highlight ist ein Titel von Michael Frayn, das „Streichholzschachteltheater“. Was das Bild nämlich nicht verrät: Das Buch ist, wie eine Streichholzschachtel eben, in einem Schuber versteckt, aus dem man es erst herausschieben muss. Ich muss Martin Ebel recht geben, der gesagt hat: „Dörlemann-Bücher verführen einen schon, bevor man sie aufgeschlagen hat.“ Aber ich kann nicht ewig im Gang blättern, obwohl ich es gerne möchte, denn ich möchte in das Zimmer gleich links am Eingang. Dort signiert an diesem Tag Dana Grigorcea.

 

Grigorcea sitzt am Tisch, umgeben natürlich von ihren Büchern, und unterhält sich mit den Besuchern. Die gerade gehaltene Eröffnungsrede von Peter Stamm anlässlich des Literaturfestivals wird heiß diskutiert, als ich hinzu komme. Hat der Schriftsteller in der Gesellschaft eine Bedeutung und wenn ja, welche? Stamm hat gesagt „Literatur hat keinen Zweck, keine Funktion im Räderwerk der Welt,“ aber die Besucher sind sich mit Grigorcea einig: Es ist das Gegenteil der Fall. Kein Wunder eigentlich, denn Grigorcea erinnert sich noch gut an die Schriftsteller aus dem Rumänien ihrer Kindheit, die mit der Zensur im Nacken schrieben und es dennoch geschickt verstanden, in ihren Werken politisch Stellung zu beziehen. Sie lieferten weit mehr als reine Unterhaltung. Und das tun sie, findet Grigorcea, immer noch.

Derweil füllt eines ihrer Kinder ihr liebevoll die Keksschüssel auf, nascht am Ende aber doch lieber alles selber. Seit dem vorigen Buch „Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare“ (erschienen 2011 und nach dem Motto „Ich schrieb, wann ich wollte.“) hat sich einiges verändert. Im Familienleben gingen die Kinder vor und geschrieben wurde nur, wenn die Betreuung klappte: Dienstags vormittags. Dann saß Grigorcea im Café Zum Hut in Uster, frühstückte und schrieb. Schon kurz nach den ersten Besuchen gehörte sie für die Leute im Café Dienstags dazu, bekam serviert „wie beim letzten Mal?“ und tippte den neuen Roman. Es funktionierte für sie überraschend gut, mit einem fixen Zeitrahmen schreiben zu müssen, auch, wenn es rückblickend kaum möglich ist zu sagen, wie lange sie an ihren zweiten Werk wirklich gearbeitet hat.

Während ihre Freunde erzählten, was sie taten und Aufgaben abschlossen, fiel es Grigorcea schon schwerer, von ihrer Arbeit zu berichten, denn erledigt war ja über lange Zeit nichts. „Die Nachbarn kannten mich mit Einkaufstüten, den Kindern, und der Postmann gab bei mir die fremden Päckchen ab, weil er wusste, dass ich da bin.“ Ihr Buch entstand in der Stille, eher unbemerkt von der Außenwelt. Grigorcea wohnt übrigens in einem Haus, in dem ein Verlag mit belletristischem Programm arbeitet. Auch dieser Verlag ahnte nichts davon, dass über ihren Büros gerade ein Roman entstand, der nach seinem Erscheinen beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb 2015 den 3sat-Preis abräumen und gleich im Anschluss eine Nominierung für den Schweizer Buchpreis bekommen würde. Inzwischen konnte Dörlemann die zweite Auflage von „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ starten und auch „Baba Rada“ erscheint angesichts der steigenden Nachfrage neu.

Was nach so einem Preis passiert, erfährt Grigorcea nun auf besondere Weise: Alleine wegen des 3sat-Preises stehen bis zum Jahreswechsel noch rund 40 Veranstaltungen an, durch den Schweizer Buchpreis müssen weitere in den Terminplan eingepasst werden. Irgendwann wanderte denn auch in den Räumen des Dörlemann Verlags ein Zettel mit Fahrplänen von Hand zu Hand, denn am Abend las Dana Grigorcea noch in Thun gemeinsam mit einer zweiten Nominierten, Meral Kureyshi, im Rahmen des Festivals Literaare. Der Zug dorthin musste erwischt werden. Die Zeit für das Signieren meines nagelneuen Exemplars hat zum Glück noch gereicht.

Freilich wird Dana Grigorcea dem Café Zum Hut treu bleiben. Dort wird sie im Dezember nicht nur lesen, sondern es wird gleich noch passend zum Buch gekocht. Seit kurzem hat Grigorcea übrigens einen neuen Kugelschreiber. Eine Nebensache? Nicht so ganz: „Der SRF wollte mich dabei filmen, wie ich den ersten Satz meines Romans per Hand notiere.“ Sie fand, dass der Stift zur Aufgabe passen müsse. Sie lacht: „Der Satz ist so lang, ich habe ihn aus meinem Buch abgeschrieben.“ Inzwischen begleitet der Stift jede Signierstunde, auch die im Dörlemann Verlag.

Den Verlag selbst stellt Anica Jonas vor, die für den Verlag den Vertrieb und die Veranstaltungen organisiert. Fast immer in ihrer Hand eine Auswahl von Titeln und freilich der kleine Text, mit dem Sabine Dörlemann den Verlag 2003 gründete: Iwan Bunins „Ein unbekannter Freund“, übersetzt von Swetlana Geier. Ein sehr dünnes Büchlein mit gerade einmal 72 Seiten, aber aufwändig in Leinen gebunden, mit einem separat aufgeklebten Bild auf der Vorderseite. „Heute wäre das sicher eine Gestaltung, die man sich für einen Starttitel drei Mal überlegen würde,“ meint Jonas. Aber sie erzählt, wie absolut rund der Einstieg mit dem ersten russischen Nobelpreisträger von 1933 gelaufen war: Sabine Dörlemann war dabei, sich ihre weitere berufliche Laufbahn zu überlegen. Ein eigener Verlag war eine der Optionen und die Übersetzerin Swetlana Geier versprach ihr, die erste Übersetzung zu spendieren, sollte Dörlemann es tatsächlich wagen. Dörlemann entschied sich für den Verlag, Geier übersetzte wie versprochen zwei Texte von Bunin und der Verlag hatte das große Glück, begeistert von Elke Heidenreich besprochen zu werden. Von da gab es keinen Weg zurück mehr und just dieser Titel von Bunin entwickelte sich zum Dauerbrenner im Verlagsprogramm.

Jonas kommt gerade von einer ereignisreichen Messe in Frankfurt zurück, den der Verlag am Gemeinschaftsstand des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands SBVV bestritt. In die Riege der meistgeklauten Bücher auf der Buchmesse gehören seitens des Dörlemann Verlags wohl die Titel von Grigorcea, sodass am Sonntag schon nicht mehr nachgeräumt wurde.

Seit einiger Zeit veröffentlicht Dörlemann auch Ebooks und weist auf der Website bei den entsprechenden Titeln explizit darauf hin. Jonas selbst ist ein großer Fan der gedruckten Exemplare und hütet daheim eine Bücherwand, die eine komplette Zimmerseite einnimmt, doch der Verlag geht mit der Zeit und der Technik und bietet zweigleisig an. „Von den rund 120 bis 130 Titeln, die Dörlemann bisher herausgebracht hat, ist etwa ein Drittel auch als Ebook erhältlich,“ erzählt sie. „Neue Titel veröffentlichen wir von vornherein als Ebook und Printbuch, ältere Titel versuchen wir im Lauf der Zeit nachzuarbeiten.“ Das beinhaltet auch die Verhandlung mit den Autoren und allfälligen Rechteinhabern, denn gerade bei älteren Verträgen hatte man an Ebooks noch nicht gedacht. Ein kleiner persönlicher Hinweis: Auch, wer so gerne Ebooks liest wie ich, den Frayn sollte man sich als Hardcover anschaffen. Ihr wisst jetzt ja, warum.

Den zweiten Tag der offenen Tür wird Dörlemann gemeinsam mit dem Schweizer Martin Walker absolvieren, der mit seinem Debut „Hotel Schräg“ neu im Programm ist. Ich verlasse den Verlag viel später als geplant und gehe mit einem nagelneuen Buch und zwei neuen Autoren auf meinem Radar (denn das schräge Hotel muss früher oder später auch noch sein).

Übrigens: Den Zug nach Thun hat Dana Grigorcea noch rechtzeitig erreicht und Manuela Hofstätter mit ihrem Auftritt begeistert:


Foto: Bettina Schnerr

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