Feed the City. Konzepte, Strategien, Architekturen

Axel Humpert, Barbara Lenherr, Tim Seidel (Hrsg.)

von Bettina Schnerr
4 Minuten Lesezeit
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Wie kommt das Essen zu den Menschen? So lange Menschen dort leben, wo Nahrung produziert wird, ist die Versorgung kein allzu großes Problem. Traditionell haben Gesellschaften inmitten der Landwirtschaft gewohnt, die sie versorgt hat. Doch je stärker Menschen städtische Ballungsräume gebildet haben, umso mehr wurde die Lebensmittelversorgung eine logistische Herausforderung. Je größer die Stadt, umso mehr. Eine nachhaltige Bewirtschaftung und Versorgung aber fordert neue raumplanerische Konzepte. Von ihnen erzählt „Feed the City“ anhand verschiedener Beispiele aus der Schweiz.

Das Dilemma ist, dass wir Ernährungs- und damit Lebensgewohnheiten angenommen haben, die in direktem Widerspruch zu sämtlichen anderen unserer Grundwerte stehen. Indem wir Nahrungsmittel als Billigprodukte und die Natur als entbehrlich betrachten, haben wir uns an den Rand einer Katastrophe manövriert.

Das Buch folgt der gesamten Kette von Herstellung, Verarbeitung, Verteilung und Entsorgung in einer Mischung aus Beiträgen verschiedener Autoren und kleinen Bildreportagen. Schnell wird daher deutlich, dass man sich in eng besiedelten Räumen tatsächlich Gedanken um die verschiedenen Schritte der Lebensmittelversorgung machen muss. Nicht umsonst, schreibt Carolyn Steel in ihrem Essay, dass frühere Städte deswegen selten 20’000 oder mehr Einwohner hatten.

Regionalität kommt zurück auf die Tische

Ansätze wie zum Beispiel innerstädtische Gärten sind dabei nicht neu. Vielleicht haben sie ein wenig ihre Optik geändert und breiten sich heute auf Flachdächern aus: Eine Rooftop-Farm ist eine Möglichkeit, städischen Raum zu nutzen und die dortige Architektur bestmöglich einzubinden. Eine andere Variante ist die „siedlungsnahe Landwirtschaft“, die in Gemeinden wie Genf oder Zürich noch den Stellenwert eines Pilotprojekts hat. Denn für „Felder mitten in der Stadt“ gebe es keine Regularien, stellt Autor Lukas Ott fest. Er plädiert dafür, die scharfe Trennung von Landwirtschaft und Stadt in Verordnungen oder Gesetzen aufzuheben.

Eine neue Nähe lässt auch in anderer Hinsicht Verbesserungen zu, schreibt Ott: Wer regional produziert und regional anbietet, wirke dem austauschbaren Angebot der Supermärkte entgegen. Zugleich machten Angebot wie diese die Herkunft der Lebensmittel wieder transparenter. Supermärkte haben ihre Logistik so gut versteckt, dass meist weder Anlieferung noch Müllaufkommen im Alltag für Konsumentinnen und Konsumenten sichtbar sind. Ein Gespür für die Arbeit hinter Erbsen, Milch und Senf ist in durchgestylten Einkaufsräumen kaum möglich. Dass regionale Produkte ihren Preis nicht wert seien, widerlegt Ott in seinem Essay. Mit nur rund 6 Prozent des Einkommens werde in fast keinem Land der Welt so wenig Geld für Lebensmittel ausgegeben wie in der Schweiz. Immer mehr etablieren sich Gemüseabos und Wochenmärkte leben auf – auch ihnen widmet „Feed the City“ ein Kapitel.

Wie gut regionale Versorgung funktionieren kann, zeigt Emanuel Amrein am Beispiel der Stadt Biel. Dort werden Kinder in Tagesschulen und Kitas regional und saisonal versorgt, mit einem Bio-Anteil von 60 bis 100 Prozent. Der Stadt ist das mit dem Aufbau einer städtischen Küche gelungen, die parallel auch ein Alterszentrum versorgt. Ohne, dass die Kosten im Vergleich zu einem auswärtigen Caterer (verbunden mit viel Einmalverpackungen) gestiegen wären.

Wie viel brauchen wir wirklich?

Während zwei Autorinnen sich den Betrieb auf einem Bauernhof bei Basel zeigen lassen, stellt ein anderes Kapitel den „Weltacker“ vor. Ein Weltacker ist ein 2000 Quadratmeter großer Acker, der als eine Art Erlebnisort dient, der die Zusammenhänge des Anbaukreislaufs zeigt. 2000 Quadratmeter deshalb, weil das die Fläche ist, die jedem Menschen der Welt zur Verfügung stünde — könnte man die Ackerfläche der Welt individuell aufteilen. Mit dieser Musterfläche verdeutlicht Christina Bonanati in ihrem Beitrag, wie groß die Diskrepanz zwischen tatsächlich benötigten Lebensmitteln und real angebauten besteht. Warum importieren wir pro Person umgerechnet 700 Quadratmeter nach Europa, obwohl die Äcker ausreichend Produkte für alle hergeben würden? Hier kommt unter anderem Foodwaste ins Spiel. Aber auch die schlechte Nutzung der Anbauflächen. Bonanati verdeutlich, dass zum Beispiel ein Kilogramm Rindfleisch die sechsfache Anbaufläche an Getreide benötigt wie ein Kilo Brot. Oder ein Weltacker gerade einmal für die Fütterung zweier Schweine ausreicht. Mehr als fünf Menschen bekommt man damit nicht satt.

Wohin wandert, was nach dem Essen übrig ist? „Feed the City“ wirft einen Blick auf ein Recycling-Unternehmen, das sein eigenes Gebäude recyceln kann: Es ist so konstruiert, dass es jederzeit wieder abgebaut werden kann. Und natürlich geht es auch um die Kanalisation. Aber nicht irgendeine. Es geht um Komposttoiletten. Bekannt sind diese wirklich nachhaltigen Systeme vielfach bereits als Einzelanlagen (sogar am Landwasser-Viadukt steht eine). Doch eine Kompost-WC-Anlage ist selbst in Mehrfamilienhäusern möglich. Pauline Deyer zeigt die Arbeitsweise und auch, dass sie -richtig eingesetzt- von den Kosten her herkömmliche Systeme deutlich schlagen.

Der Text- und Bildband rund um die Nahrungsversorgung zeigt aktuelle Diskrepanzen in gesellschaftlichen wie politischen Verhalten. Er zeigt aber vor allem, wie Lösungen aussehen können und wie wertvoll Pilotprojekte für die Evaluierung neuer Möglichkeiten sind. „Feed the City“ zeigt in gewisser Weise auch, wie einfach und angenehm alternative Lösungen sein können. Wie so oft hängt die Entwicklung neuer Wege davon ab, ob der Mut zu neuen Entscheidungen da ist. Oft angestoßen auf genossenschaftlicher oder kommunaler Ebene – jene Ebene, die „Feed the City“ vorstellt.

Buchtipp: Roman Köster – Müll
Während Lebensmittel in die Stadt hinein müssen, muss Müll die entgegengesetzte Richtung nehmen. Köster beschreibt entlang der Menschheitsgeschichte, wie sich die Müllentsorgung von der Antike bis heute entwickelt hat.

Bibliografische Angaben

Verlag: CHristoph Merian Verlag
ISBN: 978-3-03969-034-3
Deutsche Erstveröffentlichung: 2024

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