Janice Hallett – Der Twyford-Code

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit

Professor Mansfield erhält von der Polizei einen Stapel Transkriptionen. Auf dem Handy eines verschwundenen Mannes wurden rätselhafte Tonaufnahmen entdeckt und Inspektor Chris Rilen-Weaverton erhofft sich Tipps für seine Ermittlungen. Allerdings ist die automatische Spracherkennung, die von der Polizei eingesetzt wurde, nicht immer allzu genau. Doch kann Professor Mansfield trotzdem etwas mit den Texten anfangen?

Die Aufnahmen stammen von Steven „Smithy“ Smith, der auf sein Leben zurückblickt und damit seiner Bewährungshelferin Maxine Einblick geben möchte. Früh auf die schiefe Bahn geraten und viel im Knast gesessen, will er nun als Start in ein neues Leben seine frühere Lehrerin Miss Trout finden, die nach einem Schulausflug verschwunden ist. Sein Verdacht: Sie hat etwas über den Twyford-Code herausgefunden, der im zweiten Weltkrieg von einer Kinderbuchautorin namens Edith Twyford entwickelt wurde. Twyford kommunizierte über ihre Kinderbücher offenbar verschlüsselte Angaben an Geheimdienstkontakte. Schnell allerdings heften sich andere Leute an Smithys Fersen. Es sieht aus, als wäre er nicht der einzige, der diesem Geheimnis nachspürt.

Wer hat etwas zu verbergen?

Smithy kontaktiert seine ehemaligen Mitschüler. Miss Trout leitete eine Klasse für Kinder aus schwierigen Verhältnissen. Und Smithy selbst konnte nicht einmal richtig lesen. Doch die anderen vier zeigen nur wenig Interesse. Bei einem stellt sich sogar heraus, dass er selbst schon am Twyford-Code getüftelt hat und sich mit anderen online austauscht. Kann man ihm trauen oder würde er Smithy eher daran hindern, selbst weiterzukommen?

Es dauert ein paar Seiten, mit dem Buch zurecht zu kommen. Das liegt schlicht daran, dass Hallett die Geschichte ausschliesslich über Transktiptionen erzählt. Inklusive sämtlicher Besonderheiten einer automatisierten Spracherkennung. Dieser Stil kostet ein paar Seiten Eingewöhnung. Denn zwischendurch macht die Software aus einem „hab ich“ immer wieder „Habicht“, aus „London“ wird „landen“. Es gibt spezielle Zeichenfolgen, wenn die Software Schimpfwörter neutralisiert und Zeichenfolgen dafür, wenn Sprechpausen dargestellt werden. Nach wenigen Seiten schon irritiert das aber nicht mehr. Dafür stellt sich eine andere Frage:

Mitraten oder durchlesen?

Mir war bei diesem Buch nicht ganz klar, was mich erwartet. Sollte ich raten, wie bei „Ich habe ihn getötet„? Oder ist es ein klassischer Krimi, der am Ende mit einer Lösung aufwartet und nur eingeschränkt zum Rätseln geeignet ist? Es zeigt sich: Bei diesem Buch geht tatsächlich beides. Aber wer tüfteln möchte, sei gewarnt, denn einfach ist es nicht.

Ich habe viel markiert, nur um am Ende zu merken, dass ich auf völlig falsche Sachen geachtet habe. Damit habe ich zwar ein paar Tipps eingeheimst, wie ich einige ungelöste Probleme in „Kains Knochen“ angehen könnte (was ich immer noch nicht endgültig geknackt habe). Doch Halletts Krimi müsste man genauso angehen, um ihn selbst lösen zu können. Mit Notizen an den Rändern, viel Zeit und persönlichen Querverweisen. Ganz wie Professor Mansfield, der am Ende — ebenfalls in einzelnen Tonaufnahmen — Stück für Stück erklärt, wie er dem Rätsel auf die Schliche kommt. Lässt man diese Seiten zumindest vorläufig aus, könnte man mit Hilfe des Transkriptionen tatsächlich alles alleine lösen.

Janice Hallett - Der Twyford Code

Schon während der Lektüre gibt es Spuren, die Hallett fein säuberlich wieder zerlegt. Es gibt Szenen, die von unterschiedlichen Personen erzählt werden, und dabei nicht einfach unterschiedlich wahrgenommen werden. Sondern Szenen, die je nach Figur komplett anders ablaufen. Wie kann das sein, dass Erinnerungen gänzlich anders sind?

Wer tatsächlich rätseln möchte, muss Zeit mitbringen. Wer sich den Roman schlicht als Krimi durchlesen möchte, erwischt ein Buch, das recht komplex erzählt ist. Ich kann nicht ganz den Finger auf den Knackpunkt legen. Ob das Buch zuviel gleichzeitig sein will? Kritischer Blick auf die Armenviertel? Rätsel? Aufarbeitung der Geheimdienstaktivitäten? Hommage an Enid Blyton? Die Idee aber fand ich ungemein interessant und habe mir noch einen anderen Hallett vorgemerkt: „Die Aufführung“ scheint ebenfalls extra zum Mitraten geschrieben zu sein.

– ausgezeichnet mit dem British Book Award 2023 —

Bibliografische Angaben

Verlag: Atrium
ISBN: 978-3-03792-231-6
Originaltitel: The Twyford Code
Erstveröffentlichung: 2022
Deutsche Erstveröffentlichung: 2024
Übersetzung: Stefanie Kremer

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