Martina Clavadetscher – Die Schrecken der anderen

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
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Aber an vielen Anfängen taucht eben eine Leiche auf. Damit sie endlich hinschauen. Und damit sie nicht mehr wegschauen können bis zum Ende.

Die Leiche, die alles ins Rollen bringt, steckt im Eis des zugefrorenen Ödwilersees. Ein Junge stolpert beim Schlittschuhlaufen über ein Stück von dessen Kleidung und durch Zufall ist Polizeiarchivar Schibig bei der Bergung dabei. Während er noch auf die Kollegen wartet, lernt er „die Alte“ kennen. Eine ungewöhnliche Frau, diese Rosa, die vom Ufer zugeschaut hat und fest davon überzeugt, ist, dass der Leichenfund etwas Größeres ins Rollen bringen wird.

Schibig und Rosa stecken ihre Köpfe zusammen und versuchen, einen roten Faden zu finden. Rosa geht mit Zielstrebigkeit zur Sache und scheint auf einen Moment wie diesen gewartet zu haben.

Ein zweiter Erzählstrang widmet sich dem biederen Kern, der irgendwie im falschen Leben gelandet ist. Mit seiner Frau lebt er im Haus nebeneinander her. Derweil drangsaliert von der eigenen Mutter, die zwar bettlägerig ist, aber von ihrer Kammer im Dach aus hartnäckig die Familiengeschicke steuern will. Stückweise kristallisiert Clavadetscher heraus, dass die alte Frau Kern noch eine ziemlich große Rolle spielen wird.

Der braune Untergrund

„Die Schrecken der anderen“ liest sich über mehrere Kapitel rätselhaft. Rückblickend wird klar, dass es nicht anders geht, als Optionen zu eröffnen, sie vielleicht einzuhalten, vielleicht auch nicht. Was beginnt wie ein Krimi, wird zunehmend zu einem Spiel mit Wahrnehmung — und das auf einer völlig rationalen und aktuellen Ebene. Martina Clavadetschers Buch zeigt, dass in der Schweiz viele Nazis und Nazi-Sympathisanten aktiv waren und dass sie nach Kriegsende eher untertauchten, als ihre politsche Haltung zu hinterfragen. Längst zeigen sie sich wieder offener. Und eben: Man will sie nicht wahrnehmen, nicht sehen, als das was sie sind.

Das Nazidenkmal, das in der Nähe des fiktiven Sees liegt, gibt es tatsächlich — in Chur. So lange ignoriert, dass selbst städtische Mitarbeitende nicht wussten, dass es da ist. Auch den Aufmarsch als Ku-Klux-Klan gab es vor einigen Jahren bei der Fasnacht in Schwyz. Die Elemente, die Clavadetscher aufführt, könnte man fortsetzen: Im Jahr 2023 reagierte die Politik ziemlich hilflos, als ein Tagblatt-Journalist darüber berichtete, wie selbstverständlich und sorglos in Brockis seit Jahren „Nazi-Plunder“ verkauft wird (in jenem, über den ausführlich berichtet wurde, fand ein Jahr später eine Razzia der Polizei wegen Widerhandlung gegen das Kriegsmaterial- und das Waffengesetz statt).

Auch das Geld, das in den 1940ern verschwand, steckt noch irgendwo. Bei Martina Clavadetscher taucht einen Teil davon am Ödwilersee wieder auf. Vermeintlich vornehme Herren mit Zylinder bemühen sich redlich um den Zugriff darauf, umgarnen jenen, der den Zugriffscode hat, und planen in absurd feierlichen Sitzungen, welchen ihnen dienlichen Initiativen finanzielle Unterstützung zuteil werden soll.

Eine Randfigur wird aktiv

So wird denn auch klar, warum der Roman sehr wohl rote Fäden hat, sich aber einer finalen Lösung verweigert. Wir haben in der Realität auf dieses wabernde Risiko ja auch keine. „Die Schrecken der anderen“ verweist auf die sichtbare Bewegung, auf faschistische Ideen, die plötzlich wieder öffentlich gezeigt werden. Aber eben auch auf die Weigerung, solche Teile zu einem Ganzen zusammenzusetzen und auf Details, die noch im Verborgenen abgewickelt werden.

Die agile Rosa wirkt in dieser Runde wie eine Stimme der Vergangenheit. Eine, die noch weiß, wie die Sache ausgeht, wenn man die „vornehmen Herren“ machen lässt. Wirklich „alt“ aber wirkt sie nie. Gewitzt und forsch in ihrer Art zieht sie den Archivar ins Geschehen, und vermag aus einer passiven Randfigur einen recht neugierigen und engagierten Mitspieler zu machen. Vielleicht können sie nicht immer viel ausrichten, aber sie können ausbremsen, bis andere zur Stelle sind.

Es geht mir darum, welche Geschichten wir gern immer wieder erzählen und an welche wir uns lieber nicht erinnern.

Martina Clavadetscher im SRF-Interview: „Unter der Oberfläche köchelt die Nazi-Ideologie“

Bibliografische Angaben

Verlag: C.H. Beck
ISBN: 978-3-446-27963-6
Erstveröffentlichung: 2025

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