Die vier WG-Freunde Rademacher, Ziegler, Gerda und Schott träumen von der Revolution. Es ist 1974, sie diskutieren sich die Köpfe heiß und sehen dringenden Handlungsbedarf, um es dem Establishment mal so richtig zu zeigen. Was bietet sich da besser an, als der Elite, die immer nur nimmt, selbst etwas zu nehmen? Sie überfallen eine Bank, türmen erfolgreich mit der Beute und diskutieren weiter. Was tun mit dem Geld? Wie setzt man es am besten für die hehren revolutionären Ziele ein? Leider verfolgt ein Gruppenmitglied eigene Pläne. Der Keller von Rademachers Oma dient nicht lange als Versteck. Rademacher selbst haut bald samt der Kohle ab und verschwindet von der Bildfläche. Die Gruppe zerfällt und jeder geht eigene Wege.
Vierzig Jahre später schaut der Leser Rademacher und Ziegler im Wechsel über die Schultern. Beide haben sich arrangiert als Menschen ohne große Bezugspunkte oder Zentren. Rademacher als Reisender von Revolution zu Revolution, der nun in der Zweitwohnung eines Freundes haust und immer irgendwie über die Runden kommt. Ziegler als Musikproduzent, dessen Zufallsbetätigung scheiterte, als das Internet die Musikindustrie auf den Kopf stellte und er mangels Antrieb nicht richtig mitzog. Schott entfaltete sich als Künstler und starb, als eines seiner Steinmonumente umkippte – am Jahrestag des Banküberfalls. Folglich nehmen die beiden Männer nun an, dass das kein Zufall gewesen sein konnte. Mit diesem Verdacht, seit Jahren im Hinterkopf gepflegt, begegnen sich Rademacher und Ziegler zufällig in Paris, als Ziegler dort mit einer neuen Freundin ein paar Tage ausspannen möchte und um einen guten Eindruck bemüht ist.
„Arme Ritter“ ist einer der Buchtitel, die wunderbar zu ihren Büchern passen. Für das Lieblingsessen der Revolution, „das perfekte proletarische Mahl. … ein Gericht wie die Revolution, süß und sättigend.“ Für die WG-Kameraden, ein jeder nach dem Überfall noch viel mehr auf der Suche als zuvor. Auch Rademacher, der zunächst noch ganz hellsichtig verkündet:
„Dass mit einem Banküberfall die Welt nicht zu verändern ist, habe ich schon immer gewusst. Das Geld korrumpiert zwangsläufig den Räuber, deswegen bin ich dann auch abgehauen mit der Beute.“
Für die Ambitionen, die in der Versenkung verschwinden, einen aber nie ganz loslassen. Bortlik mischt aktuelle Passagen mit den Rückblicken von Rademacher und Ziegler, um allmählich das Gesamtbild zusammen zu stellen. Auf merkwürdige Art sind sich die alten WG-Genossen ähnlicher geblieben als es gemeinhin wirkt und sie laufen sich immer wieder dank ähnlicher Ideen über den Weg. Aber nachhaltig ist keines ihrer Treffen, einer fehlt immer, alles verläuft mehr oder weniger so planlos, wie es mit der WG und dem Bankraub angefangen hat. Erst als ein Zufall Rademacher und Ziegler zusammen führt, entdecken die beiden wieder eine gemeinsame Idee.
Mit Hilfe der WG-Kollegen geht es auf eine Reise der Revolutionen. Wo immer etwas los war, war einer der Gruppe dabei. Die Nelkenrevolution in Portugal, Demos gegen Atomkraftwerke in Deutschland und der Schweiz, alternative Kommunen, die Jugendrevolution in Zürich. Manche davon bewusst gesucht, in manche zufällig hineingeraten. Es ist eine Geschichte über die Umbrüche, die die jüngere Vergangenheit geprägt haben, und ebenso sehr eine Geschichte über die treibenden Kräfte, die niemals dauerhaft wirken, sondern immer dann erst kumulieren, wenn es einer ausreichenden Zahl von Mitstreitern notwendig scheint.
Irgendwann beruhigen sich die Geister im Alltagsbetrieb, doch der Nachwuchs kommt in Gestalt von Jeremy schon um die Ecke: „Er selbst ist auch ein Kritiker der Zustände, denn so viel besser ist es heute auch nicht.“ Wohin es ihn treiben wird, ist ebenso ungewiss wie es die Wege seiner Vorbilder einst waren, aber es ist unvermeidlich: Viel ändert sich im Lauf der Zeit nicht und „Jugendlichen hat man zu keiner Zeit etwas zugetraut.“ Nur untätig bleiben wollen sie trotzdem zu keiner Zeit.
Bibliografische Angaben
Verlag: Edition Nautilus
ISBN: 978-3-86438-152-2
Erstveröffentlichung: 2014
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