Doris Dörrie – Die Reisgöttin

von Bettina Schnerr
2 Minuten Lesezeit
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Doris Dörrie kann einfach nicht an Nippes und Mitbringseln vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen. Das trifft sich gut. Denn ich kann auch nicht einfach so an autobiografischen Erzählungen von Doris Dörrie vorbeigehen. Ihr Stil hat mich bei „Leben, schreiben, atmen“ gepackt, mit „Die Heldin reist“ weiterbegleitet und nun schreibt und atmet sich die reisende Heldin in „Die Reisgöttin“ erneut durch ihre Erinnerungen. Geleitet von all den Mitbringseln, die sie im Lauf der Zeit zu Hause angesammelt hat.

Ganze 47 Stück sind es, und die Käufe erstrecken sich über einen weiten Zeitraum. Einige erstand sie bereits als junge Studentin, und die Herkunftsländer sind vielfältig.

Sie erzählt von einem Bürstengeschäft in Kyoto, das sie mit einer Auswahl von „über 100 Bürsten“ fasziniert. Mit einem „Bürstenballett“ erklären ihr die älteren Verkäuferinnen, wofür sie gut sind und neben praktischen Bürsten (für Gemüse) schafft sie sich so genannte Rätselbürsten an, die sie für Verwandte und Freunde als Geschenk vorsieht. Dörrie sammelt glatt geschliffene Glassplitter am Strand und fragt sich, wer ständig Flaschen ins Meer wirft. Sie bringt aus Japan einen Plastikkohl in die deutsche Heimat und bunte Teller, sie erwirbt Mokkasins und Saris. Sie stöbert auf Flohmärkten und findet seltsam geformte Glaskaraffen (schön, aber nutzlos) oder bringt sich aus Mexiko die Maske eines Catchers mit.

Sich auf das Fremde einlassen können

Eine Seife, die es ursprünglich nur in den USA gab, gehört nach wie vor zu ihren Standard-Einkäufen, wenn sie dort im Land unterwegs ist. Da ist es egal, dass Dr. Bronners Magic Soap schon längst daheim erhältlich ist, denn diese „Magic Soap“ ist eng mit einer Freundschaft verknüpft, die sie mit ihren spezifischen Shopping würdigt.

Oft erzählt sie auch von Bräuchen, dem Alltag und Umständen, die zwingend zur Geschichte der Mitbringsel gehören. Das können eindrücklich schöne sein, wie die Papier-Replika von Wertgegenständen, die Verstorbenen in China mit ins Grab gegeben werden, damit sie es in der neuen Umgebung gut haben. Das können auch beängstigendere Geschichten sein, wie die aus Guatemala. Ruinen besichtigen neben einer Drogenroute, Männer mit Maschinengewehr am Lagerfeuer und ein Ex-Diktator, dem gerade der Prozess gemacht wird.

Die titelgebende Reisgöttin erinnert sie daran, wie sehr uns Geschichten prägen. Sie mögen extra für Touristen gemacht sein und nicht stimmen, aber sie bleiben. Zusammen mit der Erkenntnis, wie sehr man an der Nase herumgeführt wird und sich auch führen lässt.

Doris Dörrie - Die Reisgöttin

Dörrie liest „Die Reisgöttin“ selbst und das verleiht den Texten eine Extraportion Persönlichkeit. Zu wissen, dass genau jene Frau die Geschichten erzählt, die auch dahinter steht. Hier erinnert sich jemand, der stets eine Pointe findet oder in einem Gegenstand eine kleine Botschaft für das spätere Ich.

„Ramsch ist im Ausland sehr viel attraktiver“, stellt die Autorin und Regisseurin fest. Er ist im Vergleich zu heimischem Ramsch aber eben auch unbestreitbar mit attraktiveren Geschichten verbunden. So wunderbar persönlich und unterhaltsam, das noch obendrein, können vermutlich nur wenige über kleine Dinge erzählen, wie Doris Dörrie das beherrscht.

Zuversicht ist ein so schönes Wort und eine so schwierige Angelegenheit. Mir scheint, man braucht ein gewisses Maß an Beschädigtsein, um wahre Zuversicht entwickeln zu können. Der, dem noch nie etwas Schlimmes zugestoßen ist und der sich auch nichts Schlimmes vorstellen kann, braucht keinerlei Kraftanstrengung, um optimistisch aus der Wäsche zu gucken. Aber wenn derjenige, den das Leben schon ziemlich verbeult hat, dennoch zuversichtlich schaut, dann ist das einfach ziemlich tapfer.

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-7645-0853-1
Erstveröffentlichung: 2024

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