Solch ein Preisrätsel würde ich freilich gerne gewinnen: Zehn Tage Winterferien in einem Grandhotel inklusive Anfahrt. Was Erich Kästner die Berliner Putzblank-Werke 1934 verlosen ließ, lässt die Wellnesshotels von heute mau aussehen. Interessanterweise erhält diesen zweiten Preis ausgerechnet der Firmeninhaber selbst, der Geheimrat Tobler. Er hat unter dem falschen Namen Schulze teilgenommen und macht sich auf den Weg nach Bruckbeuren. Mit einem entscheidenden Kniff: Als Schulze mimt er einen ärmlichen Angestellten und will keinesfalls als der reiche Mann erkannt werden, der er wirklich ist.
„Glücklichsein ist keine Schande“, sagte Schulze, „sondern eine Seltenheit.“
Toblers Haushalt lässt diese Idee keine Ruhe. Dass ein Millonär auf sämtliche Bequemlichkeiten verzichten will, darf in ihren Augen nicht sein. So reist der Diener zur Sicherheit mit, verkleidet als wohlhabender Reedereibesitzer. Zusätzlich informiert Toblers Tochter das Hotel heimlich über den inkognito anreisenden Gast. Doch sie kommt nicht mehr dazu, genau zu sagen, welchen der Gewinner sie meint. So kommt es, dass das Grandhotel in Bruckbeuren sich akribisch vorbereitet – allerdings auf den falschen Mann.
Der Gast ist König – solange er reich ist
Damit beginnt eine herrliche Verwechslungskomödie in den österreichischen Alpen. Tatsächlich profitiert der Gewinner des ersten Preises, der arbeitslose Fritz Hagedorn, von allem möglichen Brimborium, das ihm das Hotelpersonal ungefragt zukommen lässt. Statt Ruhe tauchen unangekündige Masseure in seiner Suite auf und die drei kleine Kätzchen, die er seltsamerweise auf dem Zimmer antrifft, begeistern mehr die Damen, die sich in seiner Gesellschaft sonnen möchten, als ihn selbst. Verschnupft reagieren Gäste und Personal, weil sich Hagedorn obendrein ausgerechnet mit Schulze anfreundet.
Derweil erlebt Schulze, solange er nicht mit Hagedorn und dem „Reedereibesitzer“ unterwegs ist, die Kehrseite des hoteleigenen Klassensystems. Der Portier merkt, dass das unbeheizte Dachzimmer den Gast nicht sonderlich zu stören scheint. So bemüht er sich bald, den seltsamen Hotelgast mit Botengängen und Hausdienst zu malträtieren, bis er hoffentlich vorzeitig abfährt. Das Durcheinander wird vollkommen, als der Toblersche Haushalt anreist, um nach dem Rechten zu sehen.
Winterliche Bilderbuchkomödie
„Drei Männer im Schnee“ lernte ich zunächst über die Verfilmung von 1955 kennen. Ein Schwarzweiss-Klassiker, dessen Bilder auch die Lektüre so viele Jahre später prägten. Wie drei Männer leicht beschwipst einen Schneemann bauen und eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht. Wie hochnäsig das Personal die Bedürfnisse von Gästen ignoriert. Wie wohl sich Schulze inmitten der Dorfgemeinschaft von Bruckbeuren fühlt. Beschwingt verfilmt mit dem Lieblingen der damaligen Zeit und der Gewissheit, dass Hagedorn die Frau fürs Leben finden würde.
„Wie gefällt Ihnen übrigens Kasimir?“
„Darüber möchte ich mich lieber nicht äußern“, erwiderte der Portier.
„Erlauben Sie mal!“ rief der junge Mann. „Kasimir gilt unter Fachleuten für den schönsten Schneemann zu Wasser und zu Lande!“
„Ach so“, sagte Onkel Porter. „Ich dachte, Kasimir sei der Vorname von Herrn Schulze.“
Kästner schreibt mit einem Witz in den Dialogen und Beschreibungen, dass ich das Buch schon deshalb gleich ein zweites Mal lesen könnte. Dabei verpackt Kästner in seiner heiteren Geschichte einen klaren Blick auf die Gehässigkeit zwischen den Gesellschaftsschichten. So geschickt dekoriert, dass es nicht so sehr auffällt. Die reichen Gäste beschweren sich gar darüber, dass jemand wie Schulze im Hotel wohnen darf – Gewinn hin oder her. Ein für die Leserschaft vielleicht erwartbarer Schritt. Aber zugleich versuchen auch der Portier und Toblers Berliner Hausdame, einen selbst temporären Aufstieg zu verhindern – aus den eigenen Reihen.
Das ist das Schöne an einer Verwechslungskomödie wie dieser: Sie kann es sich leisten, den Snobismus aus einer gemütlichen Perspektive vorzuführen und wenigstens ein paar Probleme am Ende geradezurücken. Ein bisschen Ermahnung mit auf den Weg gebend. Bei so viel Charme wundere ich mich nicht, dass sich in den sozialen Medien mehrere Leser:innen meldeten und Buch wie Film ebenso innig schätzten wie ich. Der Roman überlässt uns, inwieweit wir uns auf ihn einlassen möchten. Prädikat „Buchtipp“.
Eine Notiz zu den Ausgaben


Vermutlich kam Erich Kästner auf die Idee zu einer solchen Hotelgeschichte, so heißt es, als er 1927 selbst Einsendugen zu einem Preisausschreiben prüfen musste. Dabei soll er darüber nachgedacht haben, dass jene, die die Preise gewinnen, nicht immer den Erwartungen der Sponsoren entsprechen. Daraus entstand zunächst für eine Berliner Tageszeitung „Inferno im Hotel“. In dieser Geschichte, die Erich Kästner rund um einen „unpassenden“ Gewinner schrieb, ging er bei Weitem nicht so brav mit den Menschen im Hotel um. Der junge Mann, der sich im Hotel einquartieren darf, wird vor allem vom Personal heftig schikaniert, und zieht am Ende bittere Konsequenzen.
Gelesen habe ich die 21. Auflage der dtv-Ausgabe, die 2008 herauskam. Heute erhältlich ist eine Ausgabe aus dem Verlag Atrium, die seit 2017 auf dem Markt ist. Sie enthält zusätzlich die bereits erwähnte Erzählung „Inferno im Hotel“ von 1927.
Nach der Bücherverbrennung durch die Nazis anno 1933 sicherte sich der Schweizer Atrium-Verlag aus Zürich die Rechte an den Büchern Erich Kästners. Hier erschien auch die Erstausgabe von „Drei Männer im Schnee“ und es mag den Zeichen der Zeit geschuldet sein, dass Kästner in der Komödie eine bessere Möglichkeit sah, den Klassendünkel an den Pranger zu stellen. In der längeren Fassung steckt nicht weniger Kritik. Aber die gefällige Verpackung macht es zugänglicher.
Nicht ganz zufällig dürfte dtv das Buchcover gewählt haben. Die Illustrationen des Original-Zeichners vieler Kästner-Bücher, Walter Trier, konnte der Verlag aus rechtlichen Gründen vermutlich nicht nutzen (Trier übrigens ging 1936 ins Exil). Und so wurde es „Davos im Schnee“ von Ernst Ludwig Kirchner. Kirchners Kunst war 1937 von den Nazis als „entartet“ diffamiert worden und sein Motiv ist eine hinsichtlich Personenkreis, Geschichte und Motiv eine gute Wahl.
Bibliografische Angaben
Verlag: dtv (1988 bis mind. 2008)
ISBN: 978-3-423-11008-2
Verlag: Atrium
ISBN: 978-3-03882-016-1 (seit 2017)
Deutsche Erstveröffentlichung: 1934
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