Von der Softeisverkäuferin zur Künstlermuse? Vielleicht wäre das eine Option gewesen – wäre die junge Frau nicht ausgerechnet auf dieser Party gelandet sondern auf einer anderen. Ein Buch auf der Eismaschine löst ein kurzes Gespräch zwischen ihr und einem Käufer aus. Kurzerhand lädt er sie wegen des gemeinsamen Interesses für dieses Buch zu einer Kochparty in seinem Elternhaus ein. Zufällig ist er nämlich der berühmte Regisseur, der die Lobpreisung auf dem Buchumschlag schreiben durfte. Ihr Gastgeber wird zum Dompteur seiner Gäste und lässt sie reichlich an seinen persönlichen Befunden zu Feminismus und starken Frauen teilhaben.
Die Party entwickelt sich bei Ulrike Haidacher zu einem hypnotischen Ereignis. Man möchte gerne aussteigen, weil man die Szenerie den Bach runtergehen sieht. Man kann aber nicht, weil man dem unvermeidlichen Absturz eben doch irgendwie beiwohnen möchte.
Die „Powerfrau“ und Juristin bei der Bank und das „glückliche Pärchen“, das seine Kollektion an Trachtenschürzen als Zeichen der Stärke verstanden wissen will, schwadronieren mit zunehmendem Prosecco-Pegel im Kielwasser des Regisseurs. Der deklamiert seine vermeintlich tapferen Entscheidungen, die er zum „Schutz der Frauen“ bereits getroffen habe und lässt sich dafür feiern. Überhaupt suhlen sich alle in Power und das sprechen darüber scheint noch mehr davon zu verleihen. Die Herangehensweise ist, wie sie finden, simpel: Wären die Menschen alle doch nur ein bisschen mehr wie sie, wären alle ein bisschen besser dran. Vor allem die Frauen natürlich.
Die Softeisverkäuferin nimmt mehrfach Anlauf, Nachfragen zu stellen oder Denkmuster zu verfolgen. Sie wagt es, als der Prosecco-Pegel für einigermaßen vernunftbasierte Argumente schon längst zu hoch gestiegen ist.
Eine Party fällt auseinander
Haidacher lässt ihre Charaktere an der langen Leine laufen und so lange unbehelligt ihre Runden drehen, bis sie sich hoffnungslos darin verheddern. Dass es boshaft zugehen wird, deutet sie schon auf den ersten Seiten an. Da steht die junge Frau noch hinter der Eismaschine und sinniert darüber, wie viel mehr Sicherheit ihr der Job im Restaurant gibt im Vergleich zur vermeintlich ordentlichen Stelle der Lektorin. die sie gerade für ein paar Monate erledigen darf (und schlecht bezahlt noch obendrein).
Langsam tun sich auf dieser Party wirklich viele Fragen auf, und ich frage, ob irgendwer von ihnen eigentlich auch Frauen kennt, die irgendwo vorkommen oder was schreiben, die es aber wirklich gibt oder die zumindest näher wohnen als in Afrika oder im 19. Jahrhundert. Da schauen mich alle völlig entgeistert an.
So oft, wie die Partygänger hier von starken Frauen quasseln, verliert der Begriff Stück für Stück den Sinn, der ihm eigentlich innewohnt. Und „stark“ ist ohnehin nur so lange gut, wie die Leute drumherum es bequem haben und sich mit nichts herumschlagen müssen. Echte Stärke benötigt in ihren Augen schon eine gewisse Demut in der Rollenbeschreibung, damit man sie anerkennen kann. Bereits eine starke Assistentin würde den Regisseur über Gebühr ermüden – hinter den Kulissen wirken bitteschön, aber auf keinen Fall Applaus dafür verlangen und ein besseres Gehalt schon gar nicht. Eine noch junge Witwe sollte sich den Rest des Lebens in Trauer hüllen und klaglos für andere da sein – jetzt, wo sie keine eigene Familie zu hüten hat.
Bitterböse und trotz aller Schwere gelingt ein Haidacher ein Anfall von Komödie. Dabei entstammt das Buch wohl viel eher einem Wutanfall darüber, wie mit Frauenschicksalen und Opfern von Gewalt umgegangen wird. Dass Frauen die Deutungshoheit über ihre Geschichte nicht selbst haben dürfen. Dass sie sich selbst nicht öffentlich äußern sollten, sondern die ganze Diskussion Stammtischen und Partygängern überlassen müssen. Dass sie einfach überhaupt von wildfremden Leuten be- und verurteilt werden.
Nicht umsonst 2022 mit dem Peter-Rosegger-Literaturpreis für das beste Debut Österreichs ausgezeichnet.
Bibliografische Angaben
Verlag: Leykam
ISBN: 978-3-455-01716-8
Erstveröffentlichung: 2017
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