Doris Dörrie – Wohnen

von Bettina Schnerr
2 Minuten Lesezeit
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Alles beginnt mit einer Erinnerung: An ein Puppenhaus mit klarem, modernen Design, das erst einen Sinn ergab, sobald das Kind Doris sich Straßen, Berge oder Wälder dazubaute. An eine Tapete neben dem Kinderbett. Und an den Keller, in dem die eigene Mutter nach dem Krieg Unterschlupf zwischen zerbombten Häusern fand. Behagliche Sicherheit auf der einen und ein hart erkämpftes Zuhause auf der anderen Seite – wie stark prägen unsere Erfahrungen das spätere Wohnen?

Ich dagegen bin nie der Wohntyp gewesen, mich hat mein eigenes Wohnen nie so wirklich interessiert, sondern immer eher das Wohnen der anderen.

Was Dörrie in „Wohnen“ erzählt, ist zum Einen eine Biografie. Eine, die sich an ihren WGs, Häusern und Wohnungen entlang zieht. Sie berichtet von Bruchbuden, Bekanntschaften und den mitreisenden Möbelstücken. Und sie stellt immer wieder fest, dass sie — obgleich aus derselben Familie stammend — nicht viel mit den Wohnträumen ihrer Eltern oder ihrer Schwestern anfangen kann.

Doris Dörrie hält es selten lange an einem Ort. Im Gegenzug aber interessiert sie sich brennend für die Wohnräume anderer. Das geht so weit, dass sie während ihrer Zeit in Kalifornien Hausbesichtigungen zum Zeitvertreib macht.

Wie Wohnformen Arbeiten weltweit fixieren

Zum Anderen drängen sich an verschiedenen Stationen ganz generelle Aspekte auf. Dörrie wird zum Beispiel bewusst, wie sehr für ihre Mutter alles Vorhandene nützlich sein musste. Jeder im Hause Dörrie hatte einen eigenen Raum – nur die Mutter nicht. Sie war überall und überall tätig, aber ein Raum zur Ruhe war nicht vorgesehen. Dörrie denkt über Besitztümer nach und fragt sich, warum wir über Jahrzehnte Dinge anhäufen, um sie später wieder zu entrümpeln.

Laut Statistischem Bundesamt von 2021 besitzt ein durchschnittlicher Haushalt um die zehntausend Dinge, vor 100 Jahren waren es 180.

Dass Wohnen auch eine politische Dimension enthält, steht außer Frage. Das beginnt in ihrem Essay ganz selbstverständlich in der Küche. Hier schlägt so oft das Herz einer Wohnung, wenn Parties dort enden und Familien abends den Tisch belegen. Hier werden, so Dörrie, aber auch Entscheidungen über Landverteilung und -nutzung getroffen, wenn man sich vor Augen hält, dass für die eine Hälfte der Ernährung die Agrarflächen gar nicht in Deutschland liegen.

Doris Dörrie - Wohnen

Auf einer ihrer Reisen nach Japan fällt auf, wie sehr die Wohnsituation auch Geschlechterstereotype zementieren kann. In Tokyo nimmt das Pendeln für viele Menschen schnell zwischen drei und fünf Stunden in Anspruch. Wohl gibt es gute Arbeitsplätze im Zentrum, bezahlbaren Wohnraum aber nicht. Das moderne Wohnen wird also schnell zur Falle; verteilen sich Arbeitsplätze nicht gleichmäßiger auf die Fläche, können Frauen den Spagat zwischen Familie und Job nicht einmal im Ansatz leisten. „Ist es bei uns grundlegend anders?“, fragt Dörrie, um sofort einen wenig ermutigenden Blick auf unkluge Regionalplanung hierzulande zu werfen.

„Wohnen“ gehört zur zehnbändigen Reihe „Das Leben lesen„, in der zehn große Fragen des Lebens von verschiedenen Autorinnen diskutiert werden (so die Perspektive des Verlags). Und zumindest bei jenem Titel, den ich nun kenne, begeistert mich die Form des literarischen Essays. Ein Buch, das 128 Seiten lang ohne Kapitel auskommt und dennoch nie den roten Faden verliert. Doris Dörrie geht stets von ihrem eigenen Wohnen und Erleben aus, verknüpft es mit Kultur, Gesellschaft oder Politik und findet immer wieder zu persönlichen Bausteinen zurück.

Und so lädt sie höchst elegant dazu ein, über das eigene Wohnen nachzudenken. Wie wohnen wir eigentlich selbst?

Bibliografische Daten

Verlag: Hanser Berlin
ISBN: 978-3-446-27963-6
Erstveröffentlichung: 2025

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