Chris Broad – Abroad in Japan

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
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Vermutlich stößt jeder früher oder später auf den Briten Chris Broad, wenn er oder sie auf Youtube Content aus Japan sucht. Bei mir war es vor mehreren Jahren der Fall, als ich die Band L’Arc en Ciel entdeckte und Chris‘ Begegnung mit Frontmann Hyde in den Film-Empfehlungen auftauchte. Ich begann, mehr auf dem Kanal „Abroad in Japan“ zu stöbern. Manches ein auf Youtuber-Art überzogener Content, anderes gut konzipierte Dokus — und (fast) allen gemeinsam der leicht bissige Unterton britischen Humors. „I’m a cynical man by nature“, wie er sich selbst charakterisiert. Einer, der nicht alles wahnsinnig ernst nimmt.

So kam letztlich auch sein Aufenthalt in Japan zustande. Ein junger Mann Anfang 20, der sich 2012 recht blauäugig für eine Stelle im Jet-Programm bewirbt. Jet ist ein weltweites Austauschprogramm für Englisch-Lehrer, das ihm passend für ein „spektakuläres Abenteuer“ erscheint. Chris Broad wird angenommen und in Sakata eingesetzt, einer rund 100.000 Einwohner zählenden Stadt im Norden des Landes. Während dieser Zeit beginnt Broad damit, sein Leben in kleinen Youtube-Videos aufzubereiten. Nun, zehn Jahre später fasst er seine persönliche Reise vom unvorbereiteten Abenteurer zum Vollzeit-Youtuber und Filmemacher auf: Das Buch „Abroad in Japan“ ist geboren.

Reise zu einem anderen Ich

Chris Broad legt in Japan eine echte Heldenreise hin — er muss quasi, sonst wäre er der „am schnellsten gefeuerte Englischlehrer der japanischen Geschichte“, wie er sich zu Beginn selbst einschätzt. Japanisch kann er nicht und zu seinem großen Erstaunen stellt er fest, dass auch die Englischlehrer nicht unbedingt Englisch können. Er gewöhnt sich daran, mit Kindern zu arbeiten und daran, dass der Winter ein vielfaches schneereicher ist als in London. Er beginnt, Japanisch zu pauken, um etwas unabhängiger im Alltag zu werden.

Nach drei Jahren im Jet-Programm entscheidet Broad sich, ganz auf seinen Youtube-Kanal zu setzen. Er kennt praktisch die gesamte Präfektur Yamagata, aber keine der 46 anderen. Der Youtube-Kanal hat inzwischen 100.000 Abonnenten und bringt 500 Pfund monatlich ein. Die Blauäugigkeit ist noch nicht ganz verschwunden, denn er zieht wegen dieser Entscheidung nach Sendai. In eine zwar größere Stadt, aber ohne Aufträge zu haben oder jemanden dort zu kennen. Eher zufällig bringt ihn ein Bekannter mit Ryotaro zusammen, der nach dem Tohoku-Erdbeben den Tourismus der Region wiederbeleben will. Dieser überlegt, „Abroad in Japan“ eventuell als Werbekanal einzusetzen. Aber erst ein Video über Fastfood-Pommes mit Schokolade, das wortwörtlich über Nacht viral geht, verschafft ihm tatsächlich die ersten ernsthaften Kooperationen und Einnahmen.

47 Präfekturen – 1 Reisekanal

Chris Broad - Abroad in Japan

Chris Broad entwickelt aus seinem Kanal ein Schaufenster auf ganz Japan. Ich wüsste keinen anderen Youtube-Kanal, der sich die Entdeckung des Landes so auf die Fahnen geschrieben hat wie Broad. In dieser Hinsicht hat er sich seinen Traum erfüllt, wegen dem er überhaupt nach Sendai gezogen war. In seinem Buch konzentriert er sich aber vor allem auf die Zeit in Sakata und die ersten Sendai-Jahre, die ihn und seine Arbeit maßgeblich geprägt haben.

Er erzählt, wie er Natsuki kennenlernt, einen Musiker aus Sakata, der sein engster Freund wurde und bis heute in vielen Videos auftaucht. Er gewährt einen Einblick in das japanische Schulsystem und auch, welche Erfahrungen er mit den Mechanismen japanischen Mobbings gemacht hat. Einige Schülerinnen sprachen sogar besser als ihre Lehrer, hätten das im Unterricht aber nie gezeigt, um sich nicht zur Zielscheibe zu machen.

Broads Rückblick ist immer offen. So auch bei den Berichten rund um die Wohnungssuche. Diskriminierung von Ausländern ist hier an der Tagesordnung. Der Trend unter Ausländern, sich leerstehende Häuser zu kaufen und zu renovieren, dürfte nicht nur einem Hang zur Nostalgie geschuldet sein. Sondern auch der Schwierigkeit, Wohnraum zu mieten.

Dass Chris Broad nicht nur Youtuber ist, sondern inzwischen auch fließend Japanisch spricht, hat ihm bereits mehrfach Auftritte im Fernsehen beschert und inzwischen sogar eine Einladung in den Buckingham Palast. Ich schätze jedoch, dass man vermutlich entweder einen Bezug zum Youtube-Kanal hat, sich für ein Leben in Japan interessiert oder große Japan-Aficionada sein muss, um diese Autobiografie mit Gewinn zu lesen. Für alle, die sich darauf einlassen: Sie erhalten einen britisch-sarkastischen und offenen Einblick in das Arbeits- und Freizeitleben von Japan. Unterhaltsam serviert von Chris Broad.

Bibliografische Angaben

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00886-9
Originaltitel: Abroad in Japan
Erstveröffentlichung: 2023
Deutsche Erstausgabe: 2025
Übersetzung: Jörg Pinnow

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