Gabriel Yoran – Die Verkrempelung der Welt

von Bettina Schnerr
4 Minuten Lesezeit
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Warum eigentlich geben moderne Geräte und Produkte so oft Anlass für Verärgerung und Aufregung? Müssten sie nicht längst praktisch, sicher und energiesparend gleichzeitig sein? Statt dessen zeigt ein moderner Herd, wenn man Pech hat, digitale Bedienelemente, die regulären Küchenbedingungen nicht gewachsen sind: Sind sie nass, werden sie unbedienbar und fiepen. Die Krone moderner Ingenierskunst entpuppt sich als deplatziertes Overengineering. Radios und Klimaanlagen in Autos müssen oft ebenfalls ohne Knöpfe auskommen – Hersteller rudern zurück und VW gesteht inzwischen Designfehler ein. Warum, fragt sich Gabriel Yoran, arbeiten Produktentwickler so schlecht und wer winkt solchen „Krempel“ eigentlich zur Serienreife durch?

Schlechte Erfahrungen hat Yoran genug gemacht und neun Kapitel lang liefern ihm diese Erfahrungen passende Auslöser, um verschiedene Aspekte der Verkrempelung zu diskutieren. Es geht um steife Schläuche für die Dusche, Kunststoffbeschichtungen, die nach kurzer Zeit klebrig werden oder Waschmaschinen, die Lieder abspielen und um Kundendienste, die den Namen nicht verdienen.

Wie viel der Onlinehandel mit Krempel zu tun hat

Bei Yorans Betrachtungen taucht regelmäßig der Onlinehandel auf. Und der ist nicht nur für Konsumentinnen und Konsumenten bequem. Er schaltet nämlich den Fachhandel als Zwischenschritt aus. Zwar kann Personal durchaus versuchen, einem Kunden teurere Ware zu verkaufen und nicht jeder schätzt es, im Geschäft ohne Beratungswunsch angesprochen zu werden — aber der stationäre Handel kann dank Erfahrung und Fachwissen Waren anders einschätzen und seinen Ein- und Verkauf auch gemäß Kundenfeedback steuern.

Online aber werden die Entscheidungen auf Einzelne abgewälzt. Zwar fühlt sich ein Onlineeinkauf dank der vorgängigen Erkundungen als eine informierte Entscheidung an. Doch vergleichsweise aufwendige Rücksendungen oder ein günstiger Anschaffungspreis sorgen dafür, dass solche Ware einfach da bleibt und Konsumentinnen und Konsumenten sich mit dem Krempel notgedrungen arrangieren. Was fehlt, ist die Rückmeldung an den Hersteller, dass die Ware fehlerhaft ist. Und nicht wenige Anschaffungen würde man sich ohnehin sparen, hätte man Duschschlauch oder Bluse vorher in die Hand nehmen können.

Auch die Langzeitzufriedenheit der Kundschaft wird nicht mehr abgefragt, reklamiert Yoran. Hoher Antwortdruck direkt nach dem Kauf bildet nicht realistisch ab, was das Produkt wirklich kann. Fünf Sterne heißt in der Regel nicht viel mehr als „Produkt tut, was es soll“. Sinnvoller wäre es, ein bis zwei Jahre zu warten. Aber ist konkret jenes Produkt dann noch im Handel? Selbst früher langlebige Produkte wie Kühlschränke können innert kürzester Zeit schwer vergleichbar werden.

Das Problem ist, dass Millardäre aus Jux ins All fliegen, weil es auf Erden nichts mehr zu kaufen gibt, was sie nicht schon besäßen, während sie der Mittelschicht hinfälliges Zeug verkaufen, eingesponnen in verführerische Erzählungen von Fortschritt und Selbstverwirklichung, damit wir den Krempel nicht sofort als solchen erkennen.

Ein Recht auf Fortschritt haben oder nicht?

Gabriel Yoran reißt zudem einen historischen Rückblick an. Hinter uns liegt eine Zeit mit vielen und auch bedeutenden Fortschritten, nach Jahrhunderten, in denen vergleichsweise wenig passiert ist. Freilich speist diese Erfahrung eine gewisse Erwartungshaltung. Wie aber sehen konkrete Kriterien aus, mit denen sich die Verbesserung unseres Lebens oder Waren beurteilen ließe? Können wir aus den Erfahrungen gleichzeitig ein Recht auf Fortschritt ableiten?

Der Gedankengang ist einerseits mit einer gewissen Resignation gekoppelt: „Aus Ohnmacht folgt Verantwortungslosigkeit“, schreibt Yoran. Bekommen wir bloß Krempel, sind wir enttäuscht. Je öfter das passiert, umso mehr wird mit der Zeit akzeptiert, dass Produkte oft erneuert werden müssen, schlecht sind und auf dem Müll landen. Genau damit geht andererseits die Nachhaltigkeit einher. Streng genommen widerspricht es dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, dass Produkte halten und besser werden. Eine wachstumsfixierte Wirtschaft und der Kampf gegen Verschwendung schließen einander leider aus. Waren sind immer nur so gut, wie sie gerade sein müssen. Das heißt natürlich: Je öfter ein schlechter Kauf für die Hersteller folgenlos bleibt, also keine Reklamationen oder negativen Bewertungen nach sich zieht, umso weniger sind sie besserer Qualität verpflichtet.

Der bessere Konsum

Alles in allem bedeutet das: besserer Konsum braucht auch bessere Produkte. Für ein besseres Gleichgewicht können, schreibt Yoran, starke Regelungen notwendig sein, um beispielsweise ein Übermaß an Konsum einzudämmen. So geschehen beim Autobesitz in Singapur. Das Recht auf ein eigenes Auto ist prinzipiell vorhanden, ist aber unglaublich kostspielig. Ein Auto zu besitzen, können sich auf der winzigen Landfläche nur noch sehr reiche Menschen leisten, die damit umgekehrt aber einen effizienten und ausgezeichneten öffentlichen Nahverkehr für alle finanzieren.

Cover: Gabriel Yoran - Die Verkrempelung der Welt

Es geht Yoran auch um Ethik: Denn in den Konsum gehen selbstredend Herstellungsbedingungen und Nutzungsbedingungen ein, die vielfach intransparent sind. (Das zeigt am Beispiel der Modeindustrie das Buch „Geliebte Sachen„.) Andere Produkte werden gezielt so designt, dass sie süchtig machen. Wer sich App-Bewertungen anschaut, wird des öfteren über die Formulierung „macht süchtig“ stolpern. Obendrein bemühen sich Unternehmen redlich darum, Bedürfnisse vorzugaukeln, die die Leute gar nicht haben.

Das zehnte Kapitel nennt Gabriel Yoran „Das letzte Tabu“. Denn nun geht es um uns selbst. Mit all dem Vorwissen wird deutlich, dass wir als Konsumenten und Konsumentinnen der Verkrempelung selbst etwas entgegen setzen können. Letztlich sollten wir viele persönliche Entscheidungen hinterfragen. Was von dem stimmt eigentlich, was man uns glauben macht? Was identifiziert uns?

Das Buch ist eine intelligent aufgeschlüsselte Reise durch Produktdesign und Konsum. Gleichzeitig so unterhaltsam geschrieben, dass man sich in vielen Beispielen wiedererkennt — und, schätze ich, beim nächsten Aufenthalt im Laden mit dem Wissen sicher auch etwas anfangen kann.

Die Verkrempelung der Welt ist ein spätes, aber vielleicht nicht zu spätes Signal, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen — und die Art und Weise, wie sie zustande kommen.

Bibliografische Angaben

Verlag: Edition Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-03002-8
Erstveröffentlichung: 2025

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