Jens Beckert – Verkaufte Zukunft

von Bettina Schnerr
4 Minuten Lesezeit
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Als ich noch in die Schule ging, kursierten bereits Aufrufe, mit dem eigenen Brotbeutel zum Bäcker zu gehen, „Jute statt Plastik“ zu benutzen und in der großen Pause verkauften wir Ökopapier, um umweltfreundlicher schreiben zu können. Die Unicafeteria später führte Mehrwegbecher ein und wer seinen regelmäßig nutzte, bekam den Kaffee jeweils 50 Pfennig günstiger.

Eigentlich standen wir in den 1980er mit den Anfängen eines breiteren Umwelt- und Klimaschutzes gar nicht so schlecht da und hätten mehr als vierzig Jahre Vorsprung zu der Situation haben können, in der wir heute stehen. Oder? Aus irgendeinem Grund aber sind umweltfreundliche Optionen zwar durchaus mehr geworden, aber von klimaschädlicheren Alternativen trotzdem völlig überrannt worden.

Also: »Warum sind Gesellschaften nicht in der Lage dem Klimawandel Einhalt zu gebieten?« Das nennt Jens Beckert als zentrale Frage, um die sich sein Buch dreht. Denn das Wissen um die Klimagefährdung und Umweltverschmutzung ist noch viel älter und umfangreicher als das, was ich in der Schule aufgeschnappt habe. Bessere Methoden waren daraus problemlos ableitbar. Aber sie wurden eben nicht ausgeschöpft. Die CO2-Emissionen könnten ja wenigstens weniger abnehmen als nötig, aber stattdessen nehmen sie weltweit zu.

Dieses Buch flüchtet sich nicht in positives Denken oder apokalyptische Anklage; es meidet die ausgetretenen Pfade moralisierter Lebensstilentscheidungen und marktgläubiger Technologieoffenheit. Aus sozioökonomisch informierter Perspektive belegt Beckert, wie unser Wirtschaftssystem Klimaschäden in vielen Fällen nur externalisiert und sozialen Stress im globalen Maßstab verstärkt. Ein Buch, das hoffentlich viele Leser*innen zwischen Milieus und Denkschulen ins Gespräch und ins Handeln bringt.

Aus der Jurybegründung zur Nominierung für den deutschen Sachbuchpreis 2024

„Verkaufte Zukunft“ erforscht die Frage, warum Klimaschutz so dramatisch scheitert, obwohl wir genau wissen, was wir tun müssen. Der Buchtitel verrät, worum es geht: Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kommen nicht weg vom Credo, dass immer noch ein bisschen mehr geht. Ein bisschen mehr Umsatz und eben am Ende ein bisschen mehr Geld.

Kein Platz für Ressourcenschonung

Dass es kein unendliches Wachstum gibt, ist eigentlich genauso klar wie die Tatsache, dass das Klima sich zum miserablen wendet. Aber die Strukturen, die spätestens seit der Industrialisierung entstanden sind, lassen keinen Raum für eine Rückbesinnung. Kapitalismus schließt Ressourcenschonung, eine Nummer 1-Pflicht beim Klimaschutz, systembedingt von vorneherein aus. Kapitalismus funktioniert nur, wenn immer mehr produziert und gekauft wird.

Jens Beckert erläutert diese Strukturen präzise und klärt auf, wie politische Entscheidungen in dieses System eingebunden sind. Dass aus der Politik zu wenig wegweisende Beschlüsse kommen, hängt unter anderem damit zusammen, dass der Wirtschaftslobbyismus sehr stark ausgeprägt ist und oft nicht transparent abläuft. Und während ein Ölmulti Pläne über viele Jahre aufstellt, denkt die Politik oft nur bis zu den nächsten Wahlen.

Wie Beckert schreibt: Mit einer Wirtschaft, die am Boden liegt, lassen sich keine Wahlen gewinnen. Gleichzeitig erwarten Wählerinnen und Wähler griffige klimapolitische Entscheidungen. So entsteht ein Balanceakt, der mit jedem versäumten Jahr immer schwieriger wird. Schlicht, weil die Maßnahmen nun immer drastischer werden müssen.

Sich die Zukunft schön schwätzen?

Jens Beckert - Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern drohta

„Verkaufte Zukunft“ beschreibt, wie sich zudem die Kommunikation vor allem der Ölindustrie in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Die anfängliche Leugnung des Klimawandels funktioniert nicht mehr. Statt dessen setzen die Presseabteilungen auf Greenwashing: Beckert zeigt, dass zum Beispiel Büroprozesse bei BP „öko“ werden sollen – während im Hintergrund Bewilligungen für die Erschließung neuer Ölquellen abgefragt werden.

Eine andere Strategie, die ebenfalls inzwischen fast jede Industrie praktiziert, ist das Abwälzen der Verantwortung auf die Konsumentinnen und Konsumenten. Die Idee dazu hatte ein Ölmulti:

Vermutlich wissen nur wenige, dass die Idee der Berechnung des individuellen CO2-Fußabdrucks Anfang der 2000er Jahre im Auftrag von BP von der internationalen Werbeagentur Ogilvy & Mather popularisiert wurde — mit dem Ziel, die Verantwortung für den Anstieg der Emissionen zu einem individuellen und vor allem individuell zu lösenden Problem zu machen.

Möglich ist diese Mogelei vor allem, weil Umweltverschmutzung nach wie vor keinen Preis hat. Sei es beim Kraftstoff für Flüge, Produkte mit schädlichen Inhaltsstoffen oder Einwegartikeln. Unternehmen müssen nichts davon einpreisen. So ein Preisaufschlag also kann nur von außen kommen – von der Politik, von der Zivilgesellschaft. Und es ist, so Beckert, einer der Wege, die im geschilderten System gangbar sind, um eine Wende einzuleiten.

Jens Beckert schlüsselt in „Verkaufte Zukunft“ die komplexen Macht- und Anreizstrukturen auf, die uns gesamthaft in gewohnten Bahnen zu halten versuchen. Es scheint mir eine perfekte Ergänzung zum Buch „Die Klimaschmutzlobby“. Wo Beckert die generellen Strukturen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beschreibt, damit das System in seiner Gänze erfasst werden kann, gehen Susanne Götze und Annika Joeres ins Detail und benennen teils kaum bekannte Gruppierungen, Verbände oder Geldgeber ebenso wie konkrete Beteiligte und die internationalen Verbindungen.

Gemeinsam ist ein Wandel möglich

Es ist ein Buch, das wütend macht, das zeitweilig Resignation auslöst. Aber Beckert zeigt, dass Auswege möglich sind – auch, wenn nichts mehr in dem Tempo machbar ist, wie es nötig wäre. Ein Faktor sind, ganz gewiss, bewusste Entscheidungen durch Konsumenten. Salopp gesagt: Werden keine SUVs mehr gekauft, lohnt die Herstellung nicht.

Ein andere ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen die Auswirkungen des Klimawandels bewusst erleben. Sei es im Fernsehen, sei es durch vollgelaufene Keller in der Umgebung. Wieder eine andere Möglichkeit ist das Erleben umweltfreundlicher Varianten, etwas, das Politik und Gesellschaft in der Hand haben: „die bestehenden, als selbstverständlich wahrgenommen Lebensformen mit möglichen Alternativen konfrontieren“. Das Spektrum ist groß, von autofreien Umgebungen bis hin zu plastikfreien Weihnachtgeschenken, von energieautarken Gebäuden bis hin zum Second Hand-Shopping, von Ausleihe-Zirkeln bis zu Repair-Cafés.

Vielleicht ist aber die Verärgerung über fehlende Verbesserungen genau die Triebkraft, die es braucht, um gleich morgen schon mit eigenen Beuteln zum Obsteinkauf zu gehen und den kommenden Urlaub ohne Flugreise zu buchen.

Bibliografische Angaben

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-77876-0 (ebook)
Deutsche Erstveröffentlichung: 2024


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