Orsola de Castro – Geliebte Sachen

Warum nachhaltige Kleidung uns glücklicher macht

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
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Als mir „Geliebte Sachen“ in die Hände fiel, dachte ich spontan, ich hätte quasi eine Kleider-Version von „Die Kultur der Reparatur“ entdeckt. Doch die Reparatur von Kleidung, um sie länger tragbar zu machen, spielt in diesem Buch noch nicht einmal die Hauptrolle. Was Orsola de Castro in diesem Buch zeigt, ist weitaus mehr und rückblickend verstehe ich meinen Fund als Glücksgriff.

Über 75 Prozent der 53 Millionen Tonnen Textilien, die jedes Jahr auf der ganzen Welt produziert werden, werden weggeworfen.

Probleme aufzeigen – Lösungen finden

De Castro arbeitet selbst als Designerin und zeigt entlang der gesamten Produktionskette unserer Kleidung all die Modesünden auf, die lange vor dem Kauf passieren. Vieles hat man vielleicht schon einmal am Rande gehört, erinnert sich vage an einen Zeitungsbericht oder eine Dokumentation auf Youtube. Was de Castros Buch hilfreich macht, dass sie solche Informationen gebündelt anreißt: Eingestürzte Produktionsgebäude mit hunderten von Toten, massive Gesundheitsschäden durch das künstliche Altern von Jeansstoffen oder verdreckte Flüsse und tonnenweise Schnittabfälle.

Von Beginn an macht sie klar, was man längst ahnt: Es gibt keinen Unterschied zwischen billiger und teurer Kleidung. Beide sind verantwortlich für Umweltprobleme, Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Ressourcenverschwendung.

Als Glücksgriff verstehe ich „Geliebte Sachen“, weil de Casto auch Lösungen liefert. Denn ihr Credo ist, dass das Kaufverhalten von Konsumentinnen und Konsumenten Einfluss auf Entscheidungen in der Modeindustrie hat. Und nicht nur das. Wer sich mit seiner Kleidung bewusster beschäftigt, bringt ihr automatisch mehr Wertschätzung entgegen. Flicken und Änderungen vornehmen — das sind die Grundlagen, um Kleidungsstücke „zurückzuerobern“ und Schritt für Schritt dafür zu sorgen, dass Kleidung von uns nicht mehr als der Wegwerfartikel betrachtet wird, als den die Modeindustrie Kleidung inzwischen konzipiert hat. Bereits die Verlängerung der Nutzungsdauer von einem Jahr auf zwei Jahre, rechnet de Castro vor, reduziert den ökologischen Fußabdruck um 24 Prozent.

Mit einer nachhaltigen Nutzung einher geht für Orsola de Castro auch der Respekt vor der Arbeitsleistung, die in einem Kleidungsstück steckt. Der lässt sich über eine lange Nutzungsdauer von Pullover, Hosen, Hemden oder Socken zeigen (inklusive einem Kapitel über Pflege). Und das funktioniert auch dann, wenn Mottenlöcher oder Flecken im Spiel sind. Immer wieder erzählt de Castro davon, wie sie mit Broschen oder Stickgarn und Häkelnadel ihre Kleidungsstücke gerettet und verändert hat. Denn eines ist reparaturbereiten Menschen gewiss: Sie tragen ein Einzelstück.

Raus aus dem Modelabyrinth

Auch die (aus Bequemlichkeit so) beliebten Retouren nimmt de Castro aufs Korn: Während im Laden durchaus eine Chance besteht, dass ungetragene Stücke wieder ins Sortiment kommen, ist das beim Onlinehandel ein Mythos. Was hier retourniert wird, landet im Müll. Die Kapazitäten für ein Rückspielen ins System sind schlicht nicht da. Die Müllquoten, die vom Handel offiziell angegeben werden, offenbaren laut de Castro nur einen Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit fehlt einfach der Überblick. Es gibt sie, die Firmen, die sich die Mühe machen, Retouren zu prüfen und wieder verfügbar zu machen. Aber es sind zu wenige für ein generelles Umdenken. Die meisten Firmen sehen nur Personalkosten statt Umweltkosten.

Orsola de Castro setzt sich mittlerweile als Aktivistin für nachhaltige Mode ein und war 2013 Mitgründerin der gemeinnützigen »Fashion Revolution«, der weltweit größten Bewegung von Modeaktivisten. Sie sieht eine der größten Handhaben — neben dem persönlichen Einsatz für langlebige Kleidung – in der Forderung nach Transparenz.

Die gegenwärtige Modeindustrie ist auf Geheimhaltung aufgebaut, ihre Lieferkette ist in jeder Phasee des Herstellungsprozesses getrennt, wobei Marken und ihre Produzenten oft allein und fragmentiert agieren — gefangen in einem Arrangement, in dem Unsichtbarkeit die Regeln bestimmt, was zu grober Ineffizienz, Undurchsichtigkeit und einem System führt, in dem Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße verborgen und gerechtfertigt werden.

Umdenken in kleinen Schritten

„Und jetzt alle zusammen“ überschreibt de Castro ihr letztes Kapitel. Will heißen, dass jeder und jede mit kleinen, ersten Schritten die Möglichkeit hat, etwas anders zu machen. Das kann das Flicken sein, aber auch ein bewusster Blick auf das Etikett vor dem Kauf. Lässt sich das Gewebe reinigen oder umarbeiten? Das kann auch die Wiederverwendung oder Umnutzung sein, um nicht auf Wegwerfartikel hereinzufallen: Alleine in Großbritannien landen über 2000 Tonnen Plastik wegen Halloween-Artikeln im Müll. Sachen, die nur wenige Stunden im Einsatz waren.

Zum Abschluss bietet „Geliebte Sachen“ für jeden Monat des Jahres Ideen für Alternativen, neue Wege und neues Denken. Die Vorschläge, wie Flicken, Secondhand oder Tauschen, zeigen, dass die Alternativen greifbar, einfach und alltäglich einsetzbar sind.

Bibliografische Angaben

Verlag: Dörlemann
ISBN: 978-3-03820-800-6
Originaltitel: Loved Clothes Last
Erstveröffentlichung: 2021
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Natascha Bergmann

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