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J. Maarten Troost – Billard mit Kokosnüssen

J. Maarten Troost – Billard mit Kokosnüssen

J. Maarten Troost - Billard mit Kokosnüssen

Schlanke, lächelnde Schönheiten in Baströckchen servieren unter Palmen fangfrischen Fisch und kühle Drinks am herrlich weißen Sandstrand. An solche Prospektbildchen denkt Maarten Troost, als er mit seiner Frau Sylvie für zwei Jahre nach Kiribati zieht. Für solche Aussichten nimmt man gerne in Kauf, dass die Organisation der Reise und die Reise dorthin umfangreich ausfallen und einen hohen Erklärungsbedarf benötigen. Kiri … kiriba … – wo ziehen sie hin?

Kiribati ist ein einzigartiger Staat: 33 Atolle verteilen sich in einem Gebiet etwa so gross wie die USA ohne Alaska und Hawaii. Und weiter: Die Atolle haben so wenig Landmasse, dass das Verhältnis Wasser zu Land etwa 4000:1 ist, umgerechnet also die Größe des Großraums von Baltimore, verteilt auf die gesamte USA. Auf Landkarten sucht man nach der Hauptinsel Tarawa eine Weile, die für Familie Troost zur Heimat wird.

Die Insel hat er gefunden, das Paradies eher nicht – zumal das umgebende Meer als das größte Klo der Welt genutzt wird und auch hinter der letzten Palme La Macarena erschallt.

aus dem Klappentext

Leider entpuppt sich die Insel als nicht einmal halb so romantisch wie erträumt. Atolle ragen kaum über die Meeresoberfläche, es ist ganzjährig sehr sonnig und sehr heiß. Da der Korallenkalk-Boden wenig Spielraum für Anbau lässt, ist die Inselkost karg und einseitig. Alle Alternativen aus Übersee haben lange Wege hinter sich und werden oft von Tierchen aller Arten bewohnt. Irgendwann ist man ausreichend abgehärtet, puhlt die Viecher raus und hat brauchbares Mehl. Verfallsdaten auf Dosen müssen herzhaft ignoriert werden, um zur Abwechslung Hühnerklein essen zu können.

Keine Angst vor Inselkoller

Viele Ausländer bekommen dort schnell Inselkoller. Die Troosts halten durch; sie gewöhnen sich an den Lebensrhythmus, der von der ewigen Hitze bestimmt wird, vom unberechenbaren Kontakt zur Außenwelt per Schiff oder Flugzeug und von ganz eigenen Traditionen. Obwohl sie ‚I-Matang‘ bleiben, Ausländer, genießen sie im Lauf der Zeit eine hohe Akzeptanz. Eben weil sie sich arrangiert haben und ihre Arbeit den lokalen Möglichkeiten anpassen. Troost beschreibt nicht nur einmal, wie lächerlich Ratschläge von Hilfsorganisationen ausfallen. Ohne Wissen um die lokalen Gegebenheiten schwärmen die schon mal von zukunftsweisendem Gemüseanbau für den Export. Sylvie erreicht mit Theaterstücken als Lehrmittel deutlich mehr für die Aufklärung.

Troost kokettiert fortwährend mit seinem Dasein als wenig nutzbringender Begleiter einer „betörenden“ und tatkräftigen Ehefrau, der sich im Inseldasein fläzt und vielleicht (aber nur vielleicht) bei der Gelegenheit ein Buch schreiben könnte. Man muss es ihm nicht abkaufen, denn von ihm stammt der Hauptteil der Erlebnisse, die er beim ‚Haushalt‘ und in der Freizeit sammelt.

Sehr humorvoll erzählt er über den Kulturschock, der sie bei der Ankunft auf Kiribati erwartete und der über die gesamten zwei Jahre immer neue Überraschungen zu Tage förderte. Dabei kommt sehr gut heraus, dass die Troosts ihre neue Heimat akzeptieren und verstehen lernen. Etwas, das viele andere Ausländer zuvor nicht konnten oder wollten. Die Unterschiede sind zugegebenermaßen groß, aber in vielen Teilen der Situation vor Ort geschuldet. Wäre es überall ganztägig unter praller Sonne so heiß, würde so manch andere Nation ebenfalls spürbar weniger hektisch durch das Tagwerk gehen.

Überall ist es anders als daheim

Alles in Allem liefert Troost nicht nur ein amüsantes Auswandererepos. Er verrückt aufs Heftigste die bestehenden Werteschemata, mit denen Familie Troost aus den USA aufgebrochen ist. Es fängt bei der Kleinigkeit an, dass Pullover im Reisegepäck völlig überflüssig sind und reicht bis hin zu der Erkenntnis, dass es Wichtigeres gibt als zehn Tageszeitungen zum Frühstück und Kravattenpflicht. Zwei Wochen Tropenkrankheit sind nur zu überstehen, wenn man sich Zeit und Ruhe lässt. Und es gibt nichts Besseres als stoische Ruhe, wenn man etwas ohnehin nicht ändern kann.

Und so ist die vielleicht größte Botschaft des Buches: Irgendwie funktioniert es immer, aber grundsätzlich immer anders als zu Hause.

Bibliografische Angaben

Verlag: Knaur
ISBN: 3-426-77868-8
Originaltitel: The sex lives of Cannibals
Erstveröffentlichung: 2004
Deutsche Erstveröffentlichung: 2006

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