Erbsen, Linsen, Ackerbohnen – kleine, unscheinbare Nahrungsmittel wie diese hatten im Verlauf der Jahrhunderte überraschend viel Einfluss auf den Verlauf der Geschichte. Was auf den ersten Blick seltsam wirkt, wird schnell plausibel, wenn man sich klar macht, dass Ernährung schlicht unsere wichtigste Triebkraft ist. Nichts macht eine Gesellschaft so mobil oder auch instabil, wie Hunger. Joël Broekaert beschreibt also, wie Bohnen (ob echt oder nur dem umgangssprachlichen Namen nach) innerhalb der letzten 10’000 Jahre manch eine Weiche in der Weltgeschichte gestellt haben.
Los geht es mit Linsen und Erbsen deshalb, weil sie zu den ersten Pflanzen gehörten, die der Mensch domestizieren konnte. Mutationen machten es möglich, statt dem mühseligen Sammeln herumspringender Samen Exemplare zu bekommen, die sich quasi vor der Haustüre anbauen ließen.
Mit dem Wechsel zwischen historischen Etappen, ein bisschen Biologie und vor allem viel erzählerischem Können gelingt Broekaert eine Zeitreise, die ganz sicher nicht nur für Geschichtsnerds ist. Ganz im Gegenteil. Bei ihm sind auch jene hervorragend aufgehoben, die Geschichte wegen vieler Jahreszahlen oder Thronfolgen eher gelangweilt verfolgten. Zwölf Bohnen machen die Zeitreise anschaulich wie selten zuvor. Beispiel gefällig?
Die Neuordnung der Landwirtschaft
Nehmen wir die Zeitspanne zwischen 476 n.Chr. bis 768 n.Chr. Das eine ist der Untergang des Römischen Reiches, das andere die Krönung Karls des Großen. Was die Jahreszahlen nicht erzählen, ist, dass um 476 bereits ein lang anhaltender Zusammenbruch der Handelswege, der gesellschaftlichen Stabilität und des generellen Wissens im Gang war. Auch der Ackerbau ging infolge zahlreicher Völkerwanderungen zurück — und mit alldem die gesamte Bevölkerung. In Mitteleuropa lebten im 7. Jahrhundert kaum mehr als 14 Millionen Menschen; nur wenig mehr Einwohner als das heutige Belgien.
Ohne die Ackerbohne, Vicia Faba, wäre die westliche Zivilisation in dieser Situation „möglicherweise nur eine Fußnote in der Weltgeschichte gewesen“, schreibt Broekaert. Denn jetzt wird König Karl wichtig: Für seine Krongüter erstellte er eine Liste mit rund 90 Pflanzen aller Art, vom Getreide über Obst bis zu Heikräutern, die seine Untertanen (inklusive Heer natürlich) gesund ernähren sollten. Samt der Ackerbohne.
Die vielfältigere Ernährung auf der einen Seite und die Bodenverbesserung durch Hülsenfrüchte verhalf Europa in den folgenden Jahrhunderten wieder zu einem großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung.
Bohnen, Bohnen, auf allen Kontinenten
Auf diese unterhaltsame Weise macht Broekaert die vermeintlich einfachen Lebensmittel zu den Hauptpersonen seiner Geschichte. Er zeigt China und die Sojabohne und die gemeine Bohne aus Amerika, aber auch Bohnen, die botanisch gesehen keine sind: Kakao und Kaffee zum Beispiel, weil sie ebenfalls entscheidenden Einfluss auf Handel und Weltgeschehen hatten.
Aber auch technische Neuerungen und Zukunftsvisionen haben ihren Platz: Den Konservendosen widmet das Buch ein ganzes Kapitel und erklärt, warum sie überhaupt erfunden wurden. Weil Dosen während der industriellen Revolution ihren SIegeszug antraten, gehen sie hinter Dampflok und Elektrizität manchmal unter. Samt Dose aber haben Bohnen mal wieder einen Einfluss, der bahnbrechend war. Die Zukunftsvision gehört der Lupine. Ein wenig tricky in der Verarbeitung, aber nährstoffreich wie kaum eine andere und somit eine exzellente Verbündete, will man im Kampf gegen den Klimawandel eiweißreiche Nahrung ohne Fleisch an die Leute bringen.

Dieses Weltgeschichtenbuch hat obendrein eine angemessene Bebilderung von Céline Kesselring: Es sind Cyanotypien, die im Motiv jede Bohne wunderbar aufgreifen. Die eine oder andere würde sich auf diese Weise gar gut in Esszimmer oder Küche machen.
Bibliografische Daten
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07340-9
Originaltitel: De wereldgeschiedenis in twaalf bonen
Erstveröffentlichung:2023
Deutsche Erstausgabe: 2025
Übersetzung: Bärbel Jänicke
