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Susanne Fuß – Driving Phil Clune

Susanne Fuß – Driving Phil Clune

Susanne Fuß - Driving Phil Clune

Taxifahrer Herbert hat einen Traum: Er möchte einmal einen Hollywood-Star in seinem Taxi befördern, um etwas Glanz in sein ansonsten freudloses Leben zu bringen. Statt eines Stars landet jedoch nur Herberts unter Persönlichkeitsstörung leidender Bruder Harry in seinem Wagen, der nicht zuletzt durch seine Krankheit großes Talent zeigt, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Aus einer Notlüge entsteht die Idee, Harry als den berühmten US-Schauspieler Phil Clune auszugeben. Bei Herbert melden sich daraufhin viele Kollegen, die für die Vermittlung des vermeintlichen Stars als Fahrgast erkleckliche Summen bezahlen. Das Geschäft brummt. Doch die Situation verkompliziert sich schlagartig, als der echte Phil Clune in Berlin zu Dreharbeiten eintrifft. Die darauf folgenden, vielfältigen Verwechselungen führen am Ende alle Beteiligten zu einem rasanten Finale auf der „German autobahn“ – jeden auf der Suche nach seinem ganz persönlichen Stück Freiheit.

Rezension

Der Berliner Taxifahrer Herbert Maletzke hat viel Zeit beim Warten und am liebsten wartet er am Mulitplex-Kino. Dort ist er seinen amerikanischen Filmstars am nächsten. Mit ihnen speist er seinen größten Traum: „Einmal einen der überlebensgroßen Plakathelden in seinem Taxi wiederzufinden. Einmal! … Warum sollte sich nicht der ein oder andere Star in die Metropole verirren und ein wenig Glanz in sein Leben bringen — Glanz, an dem es seiner kleinen Welt so schmerzlich mangelte?“ Herbert kümmert sich um seine demente Mutter und lebt alleine; eine eigene Familie fehlt ihm. Eine ganz andere Persönlichkeit ist sein jüngerer Bruder Harry, der wegen einer Persönlichkeitsstörung in der Psychiatrie in Hamburg behandelt wird. Einen Antrag auf Freigang nutzt der spontane Harry geschickt aus, verlängert ihn und landet schließlich in Berlin, ausgerechnet in Herberts Taxi. Mit dem unerwarteten Besuch steht Harrys Leben Kopf, sobald er vor lauter Harry die erste echte Verabredung seit Jahren mit Taxifahrerkollegin Rita versemmelt.

So betulich Herbert sein Leben führt, so impulsiv und reaktionsschnell ist Harry. Eine Notlüge beschert Herbert mächtig Kopfschmerzen, während Harry ziemlich schnell eine Lösung für das Dilemma einfällt: Phil Clune soll in Berlin sein? Na, dann ist er das auch! Harry übernimmt die Rolle des amerikanischen Stars mit einer großen Improvisationskunst, die ihn typischerweise aus brenzligen Situationen rettet. Mit der Masche lässt sich herrlich Geld verdienen, bis der echte Clune in Berlin auftaucht und sich plötzlich deutlich mehr Menschen für den Schauspieler interessieren als nur die Taxifahrer.

„Driving Phil Clune“ ist auf den ersten Blick eine klassische Verwechslungskomödie, rasant geschrieben, mit schnellen Schnitten und dafür passend ausgesuchten Hauptpersonen. Der stoffelige Herbert, der raffinierte Harry, die eigenwillige Mutter — alle bringen ihr eigenes Potenzial mit, um die Situation nach Kräften zu komplizieren. Aber dahinter stecken deutlich ernstere Themen und Süchte. Allen voran die unterschiedlichen Brüder, die mit ihrem Stil zwei so gegensätzliche Pole verkörpern. Gehemmt vs. spontan, betulich vs. lebhaft, begriffsstutzig vs. schnell. Obwohl Harry Megalomanie diagnostiziert bekam und unter Aufsicht lebt, wirkt er in seinen Reaktionen oft lebensnaher und frischer als der stille Bruder, der immer alles brummelig weggesteckt.

An Phil Clune ankern letztlich alle, der Hollywoodstar verkörpert für jeden etwas anderes, nur nicht sich selbst. Clune ist nicht nur für Herbert der Fahrgast seiner Träume. Während Herbert bekannt für seine Hollywood-Leidenschaft ist, kriechen plötzlich massenhaft Taxifahrer hervor, die den großen Clune auch gerne mal chauffieren wollen, bisher aber still vor sich hin geträumt haben. Er soll Glanz auf die Rückbank bringen — ein Unterfangen, dass dem falschen Clune übrigens viel eher gelingen wird als dem echten. Für die renitente Mutter Maletztke wird Clune im Lauf der Geschichte einfach zu einem Schnorrer. Und für eine Gruppe dilettantischer Krimineller wird er zur Milchkuh, die reichlich Lösegeld verspricht. Im flirrenden Wechsel der Persönlichkeiten und Projektionen sorgen die Hamburger Mitarbeiter der Psychiatrie und die Polizei für noch mehr Verwirrung, weil sie überhaupt keinen Überblick mehr haben. „Er steckte Stift und Block zurück in die Brusttasche seines Kittels. Dann sah er auf und traf Herberts unsicher fragenden Blick. ‚Er ist schon meiner vierter Phil Clune in dieser Woche.'“ Wie das aber mit fernen Stars so ist: Solange sie fern sind, ist alles gut, sobald sie vor einem stehen, fällt die Show in sich zusammen.

Susanne Fuß schreibt unter anderem Drehbüchern und man merkt, dass sie Schnitte zwischen den Handlungsstängen beherrscht. Das ergibt eine flotte und unterhaltsame Story, das Kopfkino läuft automatisch mit und sollte sich jemand das Buch als Filmskript schnappen, wäre es doch zu wünschen, dass kein echter Tom Hanks die Berliner Taxifahrer wuschig macht. Den Tanz der Identitäten sollte konsequenterweise ein anderer Schauspieler aufnehmen und weiterführen.

Bibliografische Angaben

Verlag: tredition
ISBN: 978-3-73233-460-5
Erstveröffentlichung: 2015

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