Allessandro Gubler ist eigentlich Kommissar in Zürich. Derzeit allerdings freigestellt und sein größtes Problem sind daher nicht allfällige Kriminelle, sondern ein Hund namens Sky. Gubler hütet seit zwei Monaten zum Ausgleich Schafe im Val Fex, um den Kopf freizubekommen, doch mit dem Hütehund kommt er noch weniger zurecht als mit widerspenstigen Delinquenten bei einem Verhör. Eines Tages findet Gubler bei einem Kontrollgang einen Toten auf dem Gletscher. Der Tote liegt erkennbar bereits seit einigen Jahrzehnten im Gelände. Doch die zerschmetterte Schulter und Gewehrverschlüsse machen ihn misstrauisch. Er meldet den Toten und fragt sich, ob er auf einen alten Mordfall gestoßen ist.
Für den Kommissar werden die Monate im Engadin eine Zeit der Weichenstellung. Zwar verliebt er sich ernsthaft und findet privat Halt im Tal, aber die Freistellung und der Leichenfund zehren beide an seinen beruflichen Nerven. Sie ähneln sich in ihrem Ablauf zu sehr.
In Zürich wollen verfilzte Strukturen aus Politik, Wirtschaft und Anwälten ihn mit dem Mord an einer rumänischen Prostituierten in Verbindung bringen. Vertuschen ließ sich da nämlich nicht mehr viel, nachdem die Frau eine Woche vor ihrem Tod bei ihm Hilfe gesucht hatte. Mit einigen hinterhältigen Manövern wurde er freigestellt, um für Ablenkung von den vermutlich hochrangigen Beteiligten zu sorgen. Auch der alte Todesfall im Engadin wird erstaunlich schnell verharmlost. Sowas kann der Ermittler freilich gar nicht leiden und gräbt nun erst recht herum.
Heilt die Zeit Wunden?
„Tod im Val Fex“ ist ein ruhiger Roman, der das Etikett „Krimi“ auf eine behutsame Art auslotet. Andrea Gutgsell stellt zwei Kriminalfälle gegeneinander, die beide vehement mit Vertuschung arbeiten — und doch macht er feine Unterschiede aus. Gubler begegnet im Tal Menschen, die nicht alle vergessen haben oder können. Er entdeckt traurige Liebesgeschichten und alte Schmuggelrouten. Aber in wie weit lohnt es, diesen alten Fall minutiös offenzulegen?
Als Leserin komme ich nicht um die Frage herum, ob der Zürcher Fall um die ermordete Prostituierte in einigen Jahrzehnten nicht ebenso enden würde: Es lohnt dann kaum noch, die Verantwortlichen zu suchen und zur Rechenschaft zu ziehen, wenn die Vertuschung lange genug anhält und die passenden Leute daran mitarbeiten. Staatsanwälte und Presse inklusive. So wie damals im Val Fex die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik das Verschwinden eines wandernden Arbeiters herunterspielen konnten.
Was immer Sie tun, Gubler, bedenken Sie das Ende. Die Wahrheit zu verschweigen, bedeutet auch, immer ein bisschen zu lügen.
Zwischen den Zeilen verhandelt „Tod im Val Fex“ auch die Frage, ob die Zeit Wunden heilt. Und das ist in diesem Roman tatsächlich eine spannende Entwicklung.
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Bibliografische Angaben
Verlag: Zytglogge
ISBN: 978-3-7296-5099-2
Erstveröffentlichung: 2022