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Seraina Kobler – Regenschatten

Seraina Kobler – Regenschatten

Schauplatz Zürich in einer nahen Zukunft. Eine junge Frau erinnert sich an ein gerade vergangenes Jahr und zunächst ist nur klar, dass etwas sehr Dramatisches passiert sein muss. Ihr Blick aus dem Fenster fällt auf Baumskelette, sie berichtet von unterirdisch schwelenden Bränden und davon, dass ihr Haus vom Stromnetz abgekoppelt wurde. Stück für Stück erst bauen sich die Zusammenhänge auf. Denn zuerst dreht sich vieles vorrangig um ihre private Geschichte. Sie kellnert in einer Bar und trifft sich gelegentlich mit ihrem Kollegen Oskar. Bis sie in der Bar David begegnet und mit ihm eine Beziehung mit Zukunft möglich scheint. Als sie schwanger wird, zieht sich nach Hause zurück und versucht, mit David die Familie aufzubauen.

Es kam mir so vor, als ob David nach jedem Schritt, den wir zusammen machten, wieder zwei zurückging.

So richtig klappt das nicht. Und dann ist da eben auch noch Oskar, der eine WG gründen möchte. Die privaten Hindernisse verstellen zunächst den Blick auf den zweiten Hauptdarsteller: Das Klima. Seraina Kobler schreibt mit „Regenschatten“ einen Roman, der unter die ziemlich neue Klassifizierung „Climate Fiction“ fallen dürfte. Wobei „Fiction“ darüber hinwegtäuscht, dass sich praktisch jedes Koblersche Szenario schon so abgespielt hat. Nur nicht in Zürich, was für die nahe Zukunft aber eben gerade nichts heißen muss.

Die Beherrschung von allem führt zur Unbeherrschbarkeit

Dieses Klima macht das Leben inzwischen zur großen Anstrengung. Der Sommer dauert monatelang und ist extrem trocken, weil der das Wetter gestaltende Jetstream fixiert ist – der hiesige Sommer 2018 lässt grüßen (der ersehnte Regen ging in anderen Regionen in Massen nieder, die das gegenteilige Extrem der unbeweglichen Jetstreams erlebten). Im Radio werden extra kurze Songs gespielt, an denen die Menschen eine maximale Duschdauer ablesen können, um Wasser zu sparen. Wer im See schwimmen geht, trägt langärmlige Kleidung, um sich vor der hohen Sonneneinstrahlung zu schützen. Die ausgetrocknete Erde, durch jahrelange Intensivbewirtschaftung ausgelaugt, lässt Sandstürme aufkommen, die schließlich zur Massenkarambolage auf der Autobahn führen.

Die Katastrophe bahnt sich im Hintergrund an, bis es zu spät ist: Als das Unvermeidliche passiert, waren die Hinweise längst da. Kobler zieht mit ihrem erzählerischen Aufbau die Parallelen zum tagesaktuellen Geschehen. Zwar tritt die bedrohliche Hitze im Setting auf und die Katastrophe wird gelegentlich von der Erzählerin sogar explizit angekündigt. Trotzdem platzt sie eines Tages ziemlich heftig herein, weil die privaten Probleme wichtiger scheinen und sich die meisten Leser vermutlich darauf konzentrieren. Statt auf die Hitze.

Die Kosten für die Einsatzkräfte, die Aufräumarbeiten und für den Wiederaufbau haben das öffentliche Budget um ein Vielfaches gesprengt. Politiker haben Maßnahmen und Notfallpläne versprochen. Als ob sich die Ordnung so oberflächlich wieder herstellen ließe, in dem man den Schaden mit einer exakten Zahl bis auf zwei Kommastellen beziffert, bei der man sich dann darum streiten konnte, wer sie bezahlen musste.

Vom Leben im großen Kreislauf

Schwangerschaft und Geburt nutzt Kobler als große Metapher. Die Gegenüberstellung von einem höchst natürlichen Kreislauf und einem Alltag, der die Natur seit Jahrzehnten komplett ausblendet. Die Natur wird kontrolliert, soll kontrollierbar bleiben und wird, egal in welcher Form, oft genug als Ärgernis empfunden. So wie die Wildschweine, die den Nachbarsgarten auf der Suche nach Nahrung verwüsten. Ihr Lebensraum bietet als Konsequenz aus dem menschlichen Handel keine Nahrung mehr. Also gehen sie auf die Suche und treffen auf Menschen, die diesen Kreislauf nicht begreifen.

„Regenschatten“ hat mich ein bisschen Anlauf gekostet. So zentriert war die Geschichte um die Familiengründung gar nicht erzählt, als dass sie mich gepackt hätte. Im Nachhinein weiß ich warum. Dafür wurde der Roman für mich zum Ende hin sehr viel stärker. Vor allem, weil die klimatische Bedrohung so greifbar ist. Ganz anders als John Lancester in Die Mauer greift Kobler gar nicht auf eine Dystopie zurück. Bei ihr ist alles, was passiert, in Reichweite. Genau das macht die Spinnenfinger der kommenden Extremwetterereignisse so frustrierend nah.

Bibliografische Angaben

Verlag: Kommode Verlag
ISBN: 978-3-9525014-6-7
Deutsche Erstveröffentlichung: 2020

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