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Troll – Michal Hvorecky

Troll – Michal Hvorecky

Troll - Michal Hvorecky

Die Zeit, in der Michal Hvoreckys seine Dystopie ansiedelt, spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft: Das heutige Europa ist zerfallen und zu einer Festung geworden. Den Ton außerhalb gibt ein „Reich“ an, das wenig versteckt Russland als Vorbild hat. Irgendwo in einem Nachbarland dieser beiden Pole lebt in dessen Hauptstadt Kúkavislava ein junger Mann, die namenlose Hauptperson.

Über ihn erfährt man von der jüngsten Entwicklung. Die Menschen haben einen Hybridkrieg erlebt, eine Wortschöpfung für einen offenbar militärischen Krieg, der von einem intensiven Informationskrieg vorbereitet und begleitet wurde: Über das Internet wurden die Menschen mit so vielen Fehlinformationen bombardiert, dass sie mittlerweile entweder nichts mehr glauben oder aber sich sehr wahllos irgendeine Idee einverleiben. Hauptsache, sie hat nichts mit dem früheren Wissensstand zu tun. Im Gegenzug wurde „Wissenschaflter“ ein Schimpfwort. Geld lässt sich nicht mehr mit Expertise verdienen, sondern mit Aberglaube und viel heißer Luft.

Im Herzen des Feindes

Mangels einer vernünftigen Impfversorgung landet der junge Mann als Fünfzehnjähriger im Krankenhaus, weil eine Masernepidemie im Land durchschlägt. Er überlebt schwer gezeichnet und lernt im Krankenhaus die drogenabhängige Johanna kennen. Die beiden wollen etwas gegen Fakenews und die allgegenwärtigen Trolle im Internet unternehmen, die gut organisiert jede Person innert kürzester Zeit diskreditieren können.

Den beiden gelingt es, in der bekanntesten Firma für Fakenews anzuheuern. Ihr Ziel ist es, das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Doch dafür müssen sie erst einmal mitmachen und unauffällig bleiben. Was den bisher enttarnten Spionen passiert ist, wissen die beiden. Netzschikanen als Revanche radieren das Privatleben eines Menschen praktisch innert Stunden aus.

Vor unseren Augen passierte etwas Komplizierteres als bloße Propaganda: Man konnte nichts belegen, und gleichzeitig verlor der Begriff des Beweises seinen Sinn.

Was Johanna und ihr Freund bearbeiten, ist im Netz bereits Usus. Fakten verdrehen, Bilder manipulieren, Sachen erfinden. Hasskommentare und Hetze nonstop. Jeder Mitarbeiter betreibt mehrere Accounts parallel, die sich gegenseitig unterstützen und multiplizieren. Die Themen sind altbekannt: Gegen Roma, gegen Ausländer, gegen Juden, gegen Andersdenkende. Geopfert wird schnell. Man muss nicht einmal „aufgefallen“ sein, wenn es der Kampagne hilft.

„Eine Lüge ist keine andere Meinung. Eine Lüge ist eine Lüge und man muss über sie die Wahrheit sagen.“

Was sie tun, erkennt der Leser nicht nur erschreckt wieder, Hvorcky treibt das Tun zusätzlich auf die Spitze, nur weiß man nicht, ob es nicht vielleicht längst so läuft. Der Slowake Michal Hvorecky jedenfalls sagt von seinem Buch, die Wirklichkeit habe ihn überholt. Er lebt in der Slowakei, von der er sagt, Fakenews seien dort längst Mainstream geworden. Auch er wurde bereits Opfer von Hasskampagnen im Internet, in denen ihm wirre Aussagen unterstellt wurden, die er nie getätigt hatte. Einfach nur, weil kritische Stimmen wie seine der politischen Elite nicht in den Kram passen.

Anfang 2018 wurde deutlich, welche Macht die Trolle im Land haben: Der Journalist Jan Kuciak recherchierte unter anderem über Steuerdelikte und die Verbindungen der Politik zur Mafia. Nach einem gewaltigen Shitstorm, den der damalige Premierminister deswegen ausgelöst hatte, wurden der Journalist und seine Freundin im Februar vor ihrer Wohnung erschossen.

Früher hat der Sieger Geschichte geschrieben. Heute schreibt die Geschichte derjenige, der siegen will.

Schullektüre der Zukunft, finde ich

Das Beklemmende an Hvoreckys Buch ist tatsächlich die Nähe zum aktuellen Geschehen. Eigentlich war es als dystopische Science Fiction gedacht, aber es ist wahnsinnig nah dran an dem, was tagtäglich im Netz heute bereits passiert. Und es zeigt, dass der Netzalltag in anderen Ländern bereits weitaus bedrohlicher ist. Aber die Slowakei ist nicht weit weg genug, überhaupt ist da nichts weit weg genug, um nicht zu einer Reflektion des eigenen Netzverhaltens aufzurufen.

Ist es mit der Bequemlichkeit schon so weit, dass wir statt nach Informationen einfach kleine Häppchen ungeachtet der Quelle bevorzugen? Ist uns unsere Fähigkeit zum Nachdenken schon so weit heruntergekommen, dass wir bereitwillig alles glauben, was eine dicke Überschrift hat? Eigentlich sollte dieses Buch Pflichtlektüre sein und sollte irgendwo jemand über der künftigen Auswahl möglicher Schullektüren brüten, dann wäre „Troll“ ganz sicher ein Buch, für das ich mich stark machen würde.

Bibliografische Angaben

Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-50411-8
Originaltitel: Trol
Erstveröffentlichung: 2017
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Mirko Kraetsch

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