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Wie aus einem Buch bei Diogenes ein Hörbuch wird

Wie aus einem Buch bei Diogenes ein Hörbuch wird

Hörbücher gehören mittlerweile recht selbstverständlich zu meinem Literaturfundus. Ihre Faszination rührt nicht nur daher, dass ich Literatur unterwegs genießen kann, sondern sie kommt ganz sicher auch von den Stimmen, die für die Produktion ausgewählt werden, und dem Können der Sprecher. Bei meinem Besuch im Diogenes Verlag lernte ich Martha Schoknecht kennen, die für den Verlag die Hörbuch-Produktion verantwortet. Sie wählt die Titel aus und die Sprecher, sie ist oft im Studio dabei, koordiniert das Korrekturhören, hat den Kontakt zu Sprechern, Agenturen und Presswerken … Kurz: sie kümmert sich um die gesamte Produktionskette, die für ein Hörbuch nötig ist. Eine perfekte Ansprechpartnerin also für eine Reihe von Fragen, die mir schon länger im Kopf herumspuken. Denn beim Hören ahne ich ja schon, dass es mit ein paar Stunden Studio wohl nicht getan ist — doch über einige Details wüsste ich gerne etwas mehr.

Wenn man durch das Diogenes-Programm klickt, dann merkt man: Es gibt nicht zu jedem Buch ein Hörbuch. Gibt es, den als „unverfilmbar“ geltenden Stoffen ähnlich, auch welche, die „unvertonbar“ zu sein scheinen?

Es gibt gewiss Bücher, die schwer zu vertonen sind oder sich nicht recht zum Hörbuch eignen — als „unmöglich“ schätze ich in unserem Programm jedoch eigentlich keines ein. Unser Hörbuchprogramm zielte nie darauf ab, aus jedem Diogenes Buch auch ein Diogenes Hörbuch zu machen. Wir freuen uns, dass wir die Möglichkeit hatten und nutzten sie, um wirklich viele unserer Best- und Longseller als Hörbücher zu vertonen (wie etwa „Das Parfum“ von Patrick Süskind, „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink). Dies verfolgen wir auch weiterhin mit Freude und leisten uns dann auch kleine feine Produktionen, die gewiss nie Bestseller-Verkaufszahlen erreichen werden, die wir uns dennoch „gönnen“ wollen.

Martha Schoknecht
Martha Schoknecht, Hörbuchexpertin beim Diogenes Verlag

Die meisten Texte werden bei Diogenes in unbearbeiteter Form umgesetzt, so mein Eindruck. Oder gibt es durchaus kleinere Bearbeitungen, damit ein Text besser lesbar, akustisch besser umsetzbar und damit beim Hören besser verständlich ist?

Bei einem Großteil unserer Hörbücher handelt es sich in der Tat um ungekürzte Lesungen des Buchs. Manchmal wird vielleicht das eine oder andere „sagte er“, „fragte sie“, „meinte er“ weggelassen, das beim Lesen hilft zu erkennen, wer spricht. Aber beim Hörbuch sind sie nicht alle unbedingt nötig, da gute Sprecher jeder Rolle ein wenig Charakter verleihen, auch ohne die Stimme zu extrem zu verstellen. Ab und an kürzen wir Romane aber auch. Das erfolgt entweder durch die Lektorin des Buchs oder durch externe Dienstleister, die wir beauftragen.

Nicht zu jedem Autor gibt es immer dieselbe Stimme. Von Jakob Arjouni habe ich einen Titel gehört, den der Autor selber eingesprochen hat (Der heilige Eddy), die Fälle von Kayankaya liest hingegen Rufus Beck. Bei Donna Leon wechseln die Sprecher öfter. Wie suchen Sie die Stimme zu einem Hörbuch jeweils aus?

Wir bemühen uns in erster Linie natürlich, dass die Stimme wirklich zur Geschichte passt, und wollen nicht stur danach vorgehen, dass ein Autor immer vom selben Sprecher eingelesen werden muss. Werden also eigentlich die Romane von Paulo Coelho von Sven Görtz gelesen, passte dies bei „Untreue“ so gar nicht, da die Hauptfigur eine junge Frau war. Hier haben wir uns also passend für Luise Helm entschieden.

Bei Ian McEwans Buch „Solar“, in dem es um einen Physik-Nobelpreisträger geht, der seine besten Jahre in vielerlei Hinsicht hinter sich hat, hat Burghart Klaußner der Hauptfigur seine grandiose Stimme verliehen, in McEwans „Kindeswohl“ hingegen spielt eine Richterin die Hauptrolle, die wir mit der wunderbaren Eva Mattes besetzt haben. Bei Reihen, wie eben die Brunettis von Donna Leon oder die Bruno-Romane von Martin Walker wollen wir hingegen gern, dass der Hörer die EINE Stimme im Ohr hat, wenn er an den Hauptakteur denkt. Commissario Brunetti wurde viele Jahre von Jochen Striebecks Stimme verkörpert und nun schon zum dritten Mal durch Joachim Schönfelds. Und dies beabsichtigen wir auch nicht zu ändern. Bruno wiederum leiht vom ersten Fall an Johannes Steck seine charismatische Stimme.

Autorenlesungen sind in der Tat selten. Meistens — wie auch im Falle von Jakob Arjounis „Der Heilige Eddy“ — ist es dann die Idee des Autors selbst, der sich vielleicht besonders mit dieser einen bestimmten Geschichte verbunden fühlt, das Buch viel Autobiographisches enthält oder schlicht, weil er es einfach einmal ausprobieren möchte mit dem Einlesen.

Geben Lesungen bereits einen ersten Eindruck davon, wie die Arbeit im Studio mit einem Autoren aussehen wird oder ist die Situation live so speziell, dass sie nicht auf Studiobedingungen übertragen werden kann?

Als Zuhörer oder Zuschauer bei einer Lesung zu sein, hat in der Tat sehr wenig mit Hörbuchaufnahmen im Studio zu tun. Leben Lesungen doch von der Präsenz des Autors, dem Gespräch, der Begegnung, geht es beim Hörbuch nur um die Stimme — der Rest entsteht im Kopf und bestenfalls auch im Herzen. Auch verzeiht man jedem Autor bei der Lesung ein Verlesen oder Räuspern oder Trinken. Bei dem Genuss eines Hörbuchs wären all diese Dinge doch eher störend.

Gibt es Autoren, die jemanden empfehlen oder vorschlagen, weil sie eine Figur mit einer Stimme oder einer Person verbinden?

Gewiss! Unsere deutschsprachigen Autoren haben durchaus ihre Vorlieben oder Wünsche, die wir natürlich berücksichtigen. Bernhard Schlink beispielsweise ist, wie auch unser verstorbener Verleger Daniel Keel, ein großer Fan von Hans Korte, einem wahren Urgestein und Klassiker im Hörbuchbereich. Martin Suter ist von Gert Heidenreich als Sprecher vieler seiner Werke ebenfalls sehr angetan.

Wieviel Vorbereitungszeit hat ein Sprecher, bis er ins Studio muss?

Das ist von Sprecher zu Sprecher sehr unterschiedlich. Einigen genügt es, den Roman einmal zu lesen, andere erarbeiten sich die Texte durch mehrfaches Lesen. Natürlich hängt die benötigte Zeit auch immer vom Anspruch und der Länge des Manuskripts ab. Ein eher leicht zu lesender Roman von Ingrid Noll bedarf sowohl in der Vorbereitung als auch bei den Aufnahmen selbst weniger Zeit als die etwas komplizierteren philosophischen Ausführungen von Thoreau in „Walden“.

Wie lange braucht man, um ein Buch tatsächlich aufzunehmen? Gibt es so etwas wie eine Faustregel dafür, wie viele Seiten pro Tag eingesprochen werden können?

Auch hier variieren die Zahlen sehr. Einige Sprecher verfügen über Stimmen, denen man auch nach fünf Stunden Arbeit im Studio keine Ermüdung anhört, andere Sprecher wollen oder können nicht länger als zwei Stunden einlesen. Und auch hier hängt es von der Intensität des Textes ab.

Sie haben selbst schon bei Hörbuchaufnahmen Regie geführt. Gibt es auf Grund dieser Erfahrungen Entscheidungen bei der Hörbuchproduktion, die Sie anders treffen als früher?

Natürlich lernt man immer Neues dazu, wird routinierter besonders in den Vorbereitungen. Es ist auch hilfreich, wenn man in der wiederholten Zusammenarbeit mit Sprechern weiß, wie die Vorlieben sind, was etwa die Schriftgröße angeht. Oder ob der Sprecher eher jemand ist, der öfter mal eine Kaffeepause machen möchte oder lieber — wenn er einmal im Fluss ist — lange durcharbeitet. Einige Sprecher wollen vorab gern schon viel besprechen, mit anderen entwickelt man erst bei der direkten Arbeit im Studio Charaktere oder Stimmungen. Letztendlich ist aber jedes Hörbuchprojekt mit dem jeweiligen Buch und Sprecher immer wieder eine Überraschung und ein Vergnügen!

Haben Sie übrigens eine Lieblingsstimme?

Es gibt viele Sprecher, die ich ganz wunderbar finde. Die größte Begeisterung empfinde ich jedoch immer in der Kombination von Buch und Sprecher: wie Burghart Klaußner „Zärtlich ist die Nacht“ oder „Diesseits vom Paradies“ von Fitzgerald liest, ist für mich einfach großartig! Oder Ulrich Matthes, der „Ein Duell“ von Cechov interpretiert — die reinste Freude! Da kann ich mich an jedem Wort ergötzen. Und wie wunderbar komisch ist das durchaus auch tragische Buch „Wiedersehen mit Brideshead“ von Evelyn Waugh, wenn Sylvester Groth es liest! Oder welch intensive Erfahrung, wenn man sich „Tarabas“ von Joseph Roth gelesen von Joseph Lorenz anhört … Und es fielen mir noch etliche mehr ein.

Hörbuchaufnahmen für Diogenes

Damit wir uns noch einen kleinen Eindruck von den Produktionen im Studio verschaffen können, suchte Martha Schoknecht einige Fotos aus. Luise Helm wurde fotografiert während der Aufnahmen zu „Untreue“ von Paulo Coelho im Studio Wort in Berlin, Wanja Mues bei den Aufnahmen von „Montechristo“ von Martin Suter im Studio Auraton, ebenfalls Berlin. Mit Mues zusammen arbeiteten der Regisseur Boris Heinrich sowie der Tontechniker und Studiochef Patrick Ehrlich, die auf dem vierten Bild zu sehen sind.


Fotos: Martha Schoknecht, Diogenes; Header: Pexels

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