In Olten lebt Jackpot. Eigentlich heißt er Frank Gobeur, aber den Namen mag er selber kaum hören. Veröffentlicht hat er bisher nur ein unbedeutendes Werk, das kaum jemand kennt. Mit seinem nächsten Roman soll der große Durchbruch gelingen: Eine Gruppe von Freunden räumt mit ungewöhnlichen Wetteinsätzen ganz groß ab, nur um später dann festzustellen, dass das, was sie sich im kleinen Olten erhofft hatten, tatsächlich nur durch die Wettmafia möglich geworden war. „Autobiografisch“ nennen alle Freunde den Entwurf prompt, denn wenn es um Geld geht, gibt’s bei Jackpot nur zwei Varianten. Entweder er wettet und wertet Spielergebnisse aus. Oder er pumpt seinen Bruder in Basel an, der in der Pharmaindustrie gutes Geld verdient und zum Glück nie fragt, was Jackpot den ganzen Tag treibt.
Bei seinem Freund, dem Maler Louis, trifft Jackpot eines Tages die schöne Fanny vor der Tür. Die junge Kunststudentin hat „viel Stil“ und Jackpot ist von jetzt auf gleich völlig verknallt. Den älteren Freunden Grunz und Louis, beide dürften im Rentenalter sein, passt das nicht. Die versuchen, dem jüngeren Freund die Liebe wieder abspenstig zu machen. Grunz und Louis nehmen den geschätzt Mittdreißiger Jackpot unter ihre Fittiche und schwätzen ihm die schöne Fanny bei Bier und Würstchen nach Kräften aus.
Liebenswürdige Looser? Ach was, Gurkentruppe!
Diese bezaubernde, namensgebende Fanny taucht selten auf. Vielmehr ist es eine Story um diesen kleinen Freundeskreis. Was es mit ihrer gemeinsamen Geschichte auf sich hat, dämmert bei gutem Zuhören recht bald. Zum guten Schluss nimmt der Freundeskreis Jackpot endgültig beiseite und erzählt detaillierter, was früher so in Olten gelaufen ist mit den Frauen und einer ganz im Besonderen, ihrer damaligen Muse und Geliebten. Denn Jackpot will seine Liebe nicht ziehen lassen, da meinen die Alten also, härtere Geschütze auffahren zu müssen.
An diesem „Aufklärungsabend“ entzaubert sich die Männerfreundschaft und die Künstlerbohème wird in meinen Augen zur Gurkentruppe. Man wisse manchmal nicht so recht, wie man seine Krankenkassenprämien zahlen solle oder die Steuerrechnung, erzählt Grunz bei einem anderen Anlass. An jenem Abend kommt heraus, dass man die Rechnungen, die das Leben präsentiert, genauso wenig zahlen kann. Da reicht ein einziger Satz, um aus den alten Freunden und ihrer Lebenserfahrung eine Gruppe Männer zu machen, die sich selbst belügt.
Das soll ein Roman über Beständigkeit, Treue und Freundschaft sein? Manchmal frage ich mich, ob diese Alten Jackpot tatsächlich vor etwas bewahren wollen oder ihm einfach etwas nicht gönnen. „Sie hat ihr Leben geändert. Wir haben unser Leben behalten,“ heißt es über ihre damalige Muse. Das ist kein schöner Genuss, wenn am Ende andere dafür bezahlen müssen.
Sich das Leben bequem lügen
Vielleicht war die frühere Muse aber auch klüger als die Alten das je kapiert haben. Eine Frau, die gemerkt hat, dass sie sich auf die Gurkentruppe nie wird verlassen können. Männer, die Jackpot vorwerfen, er nehme, was und wie es ihm gefalle, und die genau das selber praktizieren. Fanny verkörpere die Kunst und die Kunst könne man nicht festhalten, wird Jackpot von den Alten belehrt. Nun, ihr Alten, ihr hattet eure Chance, jemanden zu halten und habt sie versemmelt. Ihr Problem mit Fanny ist ein ganz anderes: Fanny erinnert die Männer nicht nur an frühere Zeiten, sie erinnert an früheres Versagen. Was damals passiert ist, projizieren sie auf die junge Frau, ohne zu wissen, was die eigentlich will. Darum geht es den Alten eigentlich gar nicht, auch, wenn sie Jackpot gegenüber genau so tun.
Pedro Lenz wendet den zu Beginn befürchteten Stillstand für Jackpot am Ende zunächst geschickt ab. Jackpot wird seinen Roman hinbekommen, gar mit Covergestaltung aus Olten. Und auf der Buchvernissage gibt’s für Jackpot eine handfeste Überraschung, die alles offen lässt. Und nun: Gurke oder Jackpot?
Interessanterweise blieb noch ein Nebenschauplatz bei mir hängen. Als das Buch in seiner hochdeutschen Übersetzung „Die schöne Fanny“ beim Literaturclub des SRF vorgestellt wurde, lobten die Kritiker die Übersetzung sehr. Diskutierten trotzdem, ob nicht auch auf Deutsch eine Dialektversion besser gewesen wäre, oder ob sich die Qualität des Buches gerade darin zeige, dass es auch auf Hochdeutsch funktioniere. Das scheint mir eine deutsch-schweizer Spezialität zu sein, denn Übersetzungen aus anderen Sprachen werden doch nicht so abgewertet. Im Buch gibt es eine Szene, wo Jackpot mit einer Frau im Verlag spricht. Frau Borowski ist Deutsche und Jackpot trifft irgendwann die traurige Feststellung:
„Viele Deutsche, die hier leben, möchten nicht, dass die Schweizer mit ihnen Hochdeutsch reden. Und viele Schweizer auch nicht, dass die Deutschen Mundart reden. Es ist ein wenig, als wachten alle eifersüchtig über ihre eigene Sprache. Als hätten sie Angst, die eigene Sprache könnte irgendeinen Schaden nehmen, sobald sie von einem Fremdspachigen gebraucht wird.“
Solche Überlegungen und Animositäten kenne ich aus anderen Sprachräumen überhaupt nicht.
In Mundart hätte ich den Roman sicher nicht lesen können, aber Zuhören funktionierte hervorragend. Lenz erzählt lebhaft, sodass man die Szenen im Kopfkino entstehen sieht. Pianist Brantschen greift an den richtigen Stellen ein und untermalt mit passenden Melodien. Technisch ist die Einspielung allerdings schwierig umgesetzt, denn pro CD gibt es nur einen Track. Das ist ziemlich mühsam, da ich eine CD praktisch nie am Stück durchhören kann und mir nicht jeder CD-Player ein vernünftiges Vorspielen ermöglicht.
gelesen von Pedro Lenz, Musik Christian Brantschen
Bibliografische Angaben
ISBN: 978-3-305-00470-6
Erstveröffentlichung: 2016
Verlag: Cosmos
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2 Kommentare
Jackpot bzw. Pedro Lenz hat das schon richtig beobachtet. Übrigens möchten auch andere Nationen nicht, dass man mit ihnen „Hochdeutsch“ oder gar Englisch redet.
Dass wir nicht möchten, dass Fremde unsern Dialekt radebrechen, hängt damit zusammen, dass der für uns immer noch tägliche Umgangssprache ist, in der wir alles bereden und die wir überall brauchen. Unser Zuhause, sozusagen. „Hochdeutsch“ ist das Mäntelchen, das wir anziehen, wenn wir uns nach draussen, in die Fremde, wagen. Und wehe, es wagt einer, sich in unsern bequemen Schlappen breit zu machen!
Handkehrum: Mir haben vor Jahrzehnten französischsprachige Schweizer gesagt: Du darfst in der deutschen Schweiz ruhig selber hochdeutsch reden. Aber du musst Dialekt verstehen, wenn du Deutschschweizer Freunde gewinnen willst.
Animosität würde ich das nicht nennen. Übrigens werden mich die Baiern oder die Wiener genauso seltsam finden und misstrauisch beäugen, wenn ich in München oder in Wien versuche, den lokalen Sprachgebrauch zu imitieren. Oder der Yorkshire-Man, wenn ich versuche, seinen Dialekt zu verwenden.
Ganz so sachlich habe ich es leider nicht erlebt. Ohne Mundart kommt man in der Deutschschweiz nicht zurecht, da sind wir uns absolut einig. Aber dieses Zitatteil kenne ich aus keinem anderen Land:
„Es ist ein wenig, als wachten alle eifersüchtig über ihre eigene Sprache. Als hätten sie Angst, die eigene Sprache könnte irgendeinen Schaden nehmen, sobald sie von einem Fremdspachigen gebraucht wird.”
Weder aus England, noch aus den USA, aus Frankreich, Italien oder Japan. Auch Holländer, Chinesen oder Spanier habe ich sehr hilfsbereit erlebt, wenn man versucht, Begriffe oder Namen richtig auszusprechen. Im Gegenteil: Trotz aller Fehler, die ein Ausländer macht, helfen dir umgekehrt andere, in ihre Muttersprache reinzukommen, erklären Redewendungen etc.
Die Deutschschweizer sind die einzigen, die dich bewusst Kuchikaschtli-Tests unterwerfen, um dich hinterher wegen deiner Aussprache rund zu machen. Das habe ich nur hier erlebt und es ist nicht schön.