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Bleisatz

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Einmal die Jolie chauffieren! Warum uns Promis neugierig machen und was das mit Büchern zu tun hat

Einmal die Jolie chauffieren! Warum uns Promis neugierig machen und was das mit Büchern zu tun hat

Taxifahrer Herbert Maletzke kann sich nichts Schöneres vorstellen, als einmal einen so richtig berühmten, großartigen Hollywoodstar durch Berlin zu fahren. Angelina Jolie, Tom Hanks … das wäre was! Herbert weiß, was im Kino läuft und ist über „seine“ Stars immer bestens informiert. Von eben diesem Herbert erzählt das Buch Driving Phil Clune von Susanne Fuß.Dieser Artikel ist Teil der Blogrunde, die Susanne Kasper von Literaturschock dazu organisiert hat und ich will mich etwas näher mit der Faszination befassen, die Prominente auf uns ausüben. Denn als ich von Herbert las, fragte ich mich automatisch: Warum sind wir so sehr erpicht auf das Leben der Reichen und Schönen in Hollywood oder suchen Neuigkeiten von Stars aus London? Warum reagieren wir auf marktschreierische Schlagzeilen?

Ein Erbe aus Adels Zeiten

Eigentlich wissen wir, dass diese Menschen und ihr Leben weder Teil unserer Realität sind noch jemals sein werden. Trotzdem, beim Warten vor dem Arztbesuch blättern wir routinemäßig die Zeitschriften durch und klicken im Internet zwischendurch auf eine Schlagzeile, die eine Neuigkeit von einem Star verspricht. Warum der Klatsch so sehr auf Prominente fokussiert, darauf hat die Kommunikationsforscherin Bettina Hennig eine Antwort erarbeitet. Sie sagt, dass Privates auf diese Weise bewusst öffentlich gemacht werde — eine Taktik, die früher beim Adel völlig üblich war. Damals hatten Familienbelange wie Heiraten oder Todesfälle politische Folgen und entsprechend wichtig war es, auf dem Laufenden zu bleiben. Nicht umsonst prägte sich beispielsweise der Begriff Heiratspolitik für strategische Planungen zum Machtausbau und zur Bündnisfindung. Mit der Neustrukturierung der Gesellschaft hat sich zwar der Adel für die Staaten als politischer Entscheider erledigt, aber die Neugier auf prominente Menschen ist geblieben. Statt des Adels schielt man nun eben den Menschen aus Show, Politik oder Sport ins Privatleben, denn sie haben dank Geld, Bekanntheitsgrad, Wohlstand, Lifestyle oder Macht die ehemals adelige Position besetzt.

Die Krux an der Sache ist nur, dass der Newswert vieler Promimeldungen eher marginal ist. Wie aber bekommt man die Leser dazu, sich für Nichtigkeiten zu interessieren? Die Redakteure der bunten Blätter wissen genau, dass sie mit einer Ansprache unserer Vernunft kaum eine müde Seite verkaufen können. X heiratet Y. Danke und weiter. Daher wird in diesem Bereich ganz anders gearbeitet. Statt nüchterner, faktenorientierter Berichterstattung, wie wir sie aus Politik und Wirtschaft kennen, erwarten uns aus der Welt der Prominenten Geschichten, die gezielt dramatisiert und mit Gefühlen garniert werden. Gelogen wird nicht unbedingt, aber um reine Information geht es eben auch nicht.

Moderne Märchenschreibung

Der Kommunikationsforscher Walter Nutz hat für diese Art der Berichterstattung den Begriff des Märchens geprägt. Nutz meint damit nicht erfundene Gestalten, sondern die besondere Erzählstruktur, mit der über Prominente berichtet wird. Sie erlaubt nämlich eine stetige Fortsetzung. Eine echte Neuigkeit (wie zum Beispiel eine Hochzeit) wird so erzählt, dass sie zum Prominenten und seiner Story passt — oder auch zu der Rolle, die Öffentlichkeit und Presse ihm zugeteilt haben. Die entsprechende Wortwahl ist nie weit weg: die „beliebte Moderatorin“, die „glückliche Braut“, der „humorvolle Sportler“, ein „Herzenswunsch“ geht in Erfüllung …

Natürlich soll das Märchen weitergehen und wenn es mal nicht so rund läuft, lassen sich Skandale genauso perfekt nutzen. Der Newswert ist stets gering, aber die Presse verfolgt auch hier eine bestens eingelaufene Marschroute. Der Medienwissenschaftler Steffen Burkhardt seziert ziemlich unromantisch, wie die Medien arbeiten: Er unterteilt in so genannte Latenz-, Aufschwung-, Klimax-, Abschwung- und Rehabilitationsphasen und obendrein wechseln die Akteure je nach Skandalphase auch noch ihre Rollen. Das lässt sich lange auskosten. Bitte einfach mal bei der nächsten Promitrennung prüfen, wie viele Wochen lang die Zeitungen mit den betreffenden Namen und Gesichtern auf dem Titel verkaufen; mal wird sie an der Trennung schuld sein, mal er, mal werden Kinder bemitleidet, mal werden „wohlinformierte Quellen“ zitiert … doch irgendwann ist die Serie ausgereizt. Neue Partner, neues Glück.

Nützlich soll Klatsch übrigens auch sein: Roy Baumeister, ein Sozialpsychologe an der Florida State University, sagt, dass solche Geschichten helfen, die Welt zu verstehen. Die Schicksale anderer vermitteln soziale Werte ebenso wie Benimmregeln und bei Kindern funktioniert das übrigens gleichermaßen gut wie bei Erwachsenen.

Reale Protagonisten

Märchen? Geschichten? Erzähltechnik? Da war doch was … „Klatsch befriedigt die Gefühle ähnlich, wie es Literatur vermag“, schrieb der Psychologe Eric Foster vor einigen Jahren im Review of General Psychology (der Link führt zur Originalarbeit als pdf). Die Redakteure der bunten Blätter haben das längst begriffen und setzen bewusst die entsprechende Erzähltechnik ein. Aus dem Leben der Prominenten werden Geschichten, die uns berühren mit Schicksalen, mit Liebe und Hass, Freude und Trauer, Aufstieg und Fall. Ganz wie in den Büchern, nur eben mit realen Protagonisten. Und ganz genauso wie wir Identifikationsfiguren in der Literatur finden, bemühen sich die Redakteure, auch Prominenten ein Image zu verpassen, das im besten Fall als Vorbild oder Lehrbeispiel taugt.

Beim nächsten Mal vor der Hochglanzzeitschrift ist also klar, warum man mindestens die Titelseiten mit den Augen abgrast und schaut, wer wann wo was erlebt hat. Kein Wunder also auch, dass Herbert Maletzke absolut firm beim Thema Hollywood ist.

Alle Stationen der Blogtour im chronologischen Überblick

Julia Weisenberger – Lazy Literature
Alexandra Schilref – Bücherstadt Kurier
Bettina Schnerr – Bleisatz
Ruth Papacek – Zwischenwort
Susanne Kasper – Literaturschock

Das Gewinnspiel

Buchcover: Driving Phil Clune - Susanne FußEine Blogtour ist immer mit einer Gewinnchance verbunden — so natürlich auch hier: Zu Gewinnen gibt es jeweils eine von fünf Ausgaben von „Driving Phil Clune“. Für eure Gewinnchance müsst ihr die folgende Gewinnfrage beantworten:

Welchen Star würdet ihr gerne mal durch Berlin kutschieren?Die Antworten könnt Ihr entweder bei Literaturschock direkt in der Phil Clune-Rubrik kommentieren oder mir per Mail schicken.

Wichtig sind folgende Randbedingungen: Bitte eine Email-Adresse hinterlassen, damit ihr im Gewinnfall kontaktiert werden könnt. Die Gewinner werden auf Literaturschock bekannt gegeben. Ein Doppelgewinn ist ausgeschlossen. Du bist mindestens 18 Jahre alt oder hast das Einverständnis deiner Erziehungsberechtigten. Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen. Eine Barauszahlung des Gewinns ist nicht möglich. Wir übernehmen keine Haftung für den Verlust des Gewinns auf dem Postweg. Das Gewinnspiel endet am 5. Juni 2016 um 23:59 Uhr.


Foto: Jesse Bowser / unsplash

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