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I’m Sherlocked: Warum Sherlock als Manga das TV ersetzen kann

I’m Sherlocked: Warum Sherlock als Manga das TV ersetzen kann

Taucht Sherlock Holmes im Fernsehen auf oder gibt es einen neuen Buchtitel mit ihm als Hauptperson, ist das nicht unbedingt etwas Besonderes. Aber es gibt Ausnahmen. Eine davon hängt mit Benedict Cumberbatch zusammen.

Cumberbatch als Sherlock Holmes und Martin Freeman als Dr. Watson sorgen seit 2010 in der BBC-Serie „Sherlock“ für Begeisterungsstürme. Das Gesicht von Cumberbatch spielt fast die Hauptrolle: Optisch passt der Schauspieler schon ganz gut zu den Beschreibungen, die die Originalvorlage liefert. Dazu kommt als Pluspunkt seine Mimik: Die Arroganz der Figur bekommt Cumberbatch mit herrlicher Frechheit hin. Gerne mit einer süffisanten Note.

Im Januar 2017 ging die vierte Staffel in England auf Sendung, eine fünfte Staffel wurde zumindest schon entworfen. Die Drehbücher zur Erfolgsserie stammen von den Briten Steven Moffat und Mark Gatiss. Beide schrieben unter anderem für die Serie Dr. Who und während gemeinsamer Bahnfahrten zu den Produktionen entwickelten sie die Idee, Sherlock Holmes in die Neuzeit zu holen und aus den bisher ruhigen, viktorianischen Filmen eine rasantere, moderne Version zu machen. Irgendwie verwundert es mich also nicht, dass ein Verleger im Land der Manga auf die Idee kam, diese Serie in Buchform umzusetzen: Die Bildsprache der Manga lässt sich hervorragend auf Tempo bringen.

Sherlock; Manga von Jay. Carlsen-Verlag

Manga-Künstlerin und Sherlock-Fan

In Japan erschien 2013 die Manga-Version der BBC-Serie beim Verlag Kadokawa. Verantwortlich für den Zeichenstift ist eine Mangaka mit dem Künstlernamen Jay (Jay auf Twitter), die außer Sherlock auch einen Manga für die Anthologie Nein ~ 9th Story ~ zeichnete, ebenfalls beim Verlag Kadokawa. In einem Interview mit dem italienischen Portal Mangaforever erzählt sie von den Anfängen ihrer Arbeit. Speziell in Japan sei der Manga viel populärer als ausländische Filme und Fernsehserien, sodass dort die Mangaversion die bessere Fassung sei, um Leute mit der modernen Adaption in Kontakt zu bringen. Was also zunächst ausschließlich für den japanischen Markt gedacht war, kommt auf Grund der Popularität von Figur und Film in erneut veränderter Gestalt wieder zurück nach Europa.

Freilich erschien der Manga zunächst einmal in einem Manga-Magazin, dem Young Ace. Die Zeichnungen entstehen auf Basis der Serie und dem japanischen Drehbuch für die Texte. Am Ende gibt die BBC alles frei, um die genaue Wiedergabe der Serie sicherzustellen. Jay war nach eigenen Angaben bereits Fan der Serie, bevor sie mit der Arbeit begonnen hatte. Der Verlag wählte also in zweierlei Hinsicht die Richtige aus, denn Jay gelingt meiner Meinung nach mehr als nur die bildliche Umsetzung der Serie. Die eigentliche Herausforderung bestand Jay zufolge nicht darin, die Figuren oder Szenen grundsätzlich zu zeichnen, sondern vielmehr darin, den Rhythmus der Fernsehszenen in die Bildabfolge zu übertragen. Dank der engen Abstimmung zwischen Film- und Mangahandlung gibt es keine Differenzen für eingefleischte Manga-Fans, die sich die TV-Serie vielleicht gar nicht erst anschauen wollen.

Wer die Serie kennt oder sich zumindest Ausschnitte angeschaut hat, sieht sofort, wie gut Jay die Charakteristika der Schauspieler eingefangen hat. Speziell bei Sherlock verschärft ihr Stil die latente und spöttelnde Überheblichkeit der Figur sogar noch ein bisschen. Das tut dem Manga gut.

Sherlock; Manga von Jay. Carlsen-Verlag

„Es ist ein Serienmörder! Wie ich die liebe!!“

Die Adaption Sherlocks in die Moderne funktioniert fabelhaft, nicht nur bei den Fällen, auch bei den Figuren. Natürlich bleiben die Kernelemente dabei: Holmes wohnt in der Baker Street 221B und natürlich taucht ein Oberschurke namens Moriarty auf. Manche Parallelen bleiben erschreckend aktuell: Während der historische Watson aus dem Zweiten Anglo-Afghanischen Krieg (1878-80) nach London zurückkehrte, fand sich der moderne Watson auf demselben Schauplatz wieder (Afghanistan-Krieg, seit 2001). Inzwischen bloggt Watson über die Fälle und seinen WG-Genossen, sodass nicht nur die Fälle erzählerisch publik werden, sondern Holmes hin und wieder damit konfrontiert wird, dass die Leute mehr über ihn wissen als nur über seine detektivischen Fähigkeiten.

Was ebenfalls bleibt und ohne das ein Holmes undenkbar wäre, sind auch seine starke Merkfähigkeit und seine rasend schnelle Auffassungsgabe: Er erkennt einen vorgetäuschten Selbstmord unter anderem daran, auf welcher Seite des Messers die Butter ist. Bei Linkshändern ist die rechts der Schneide und wenn der Tote ein Linkshänder ist, kann er sich nicht rechts in die Schläfe schießen. Die zugehörige Bildfolge feuert auf eineinhalb Seiten in wenigen Szenen Detective Inspector Dimmock sämtliche Beobachtungen um die Ohren und lässt Sherlock gelassen schließen mit einem „Das ist die einzige Erklärung für alle Fakten!“

Die Serie startet mit Ein Fall von Pink (englisch: A Study in Pink), ganz in der Tradition von A Study in Scarlet, dem ersten Holmes-Fall von Arthur Conan Doyle. Namensgebend ist eine junge Frau, deren Vorliebe für Pink den Mörder einen Fehler begehen lässt. Eine Übertragung der zweiten Staffel ist offiziell noch nicht angekündigt, aber in einem ausführlichen Interview mit Animania verriet Jay vor etwa einem Jahr, dass sie tatsächlich an Szenen von A Scandal in Belgravia arbeite. Das ist jetzt ein klassischer Cliffhanger, fürchte ich, aber mit dem muss ich euch zunächst sitzen lassen.

Sherlock; Manga von Jay. Carlsen-Verlag

Update: Im Magazin Young Ace werden offenbar gerade neue Folgen von Sherlock als Fortsetzungsgeschichte veröffentlicht. Das spricht dafür, dass früher oder später die Sammlung der Folgen als Buch erscheinen wird.

Bibliografische Angaben

Verlag: Carlsen
Übersetzung: Gandalf Bartholomäus

Sherlock. 1: Ein Fall von Pink
Originaltitel: Sherlock ピンク色の研究
ISBN 978-3-551-72884-5
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2017

Sherlock. 2: Der blinde Banker
Originaltitel: Sherlock 死を呼ぶ暗
ISBN 978-3-551-72885-2
Erstveröffentlichung: 2014
Deutsche Erstveröffentlichung: 2017

Sherlock. 3: Das große Spiel
Originaltitel: Sherlock 大いなるゲーム
ISBN 978-3-551-72886-9
Erstveröffentlichung: 2015
Deutsche Erstveröffentlichung: 2017

8 comments

  1. Manga gut und schön, deine Argumente sind gut, aber ich gucke doch lieber. Was mich an der Adaption so fasziniert, ist die Entwicklung der Figuren … ganz großartig. LG, Bri

    1. Bettina Schnerr says:

      Dann sind die Argumente vielleicht doch noch nicht ausreichend 😉
      (ich bin, zugegeben, keine große TV-Guckerin …)

      Was mich bei den Recherchen am meisten fasziniert hat, war die Idee hinter dem Manga: Ausländische TV-Serien funktionieren in Japan nicht so gut. Aus dieser Perspektive heraus musste der Manga natürlich auch sehr eng an der Serie hängen.

      Liebe Grüße, Bettina

  2. Als klassischer Holmes-Fan und natürlich auch Sherlock-Liebhaber überlege ich schon länger, mir die Mangas dazu mal zuzulegen. Was du hier darüber schreibst, ist ein weiteres Argument dafürhalten. Wären meine ersten Mangas überhaupt. Ich bin ein absoluter Buchstaben- und Textmensch. Zu Zeichnungen und Illustrationen habe ich kein so „natürliches“ Verhältnis. Aber seit ich mich an Comics (Neil Gaiman! Sandman!) rantaste, denke ich, dass Mangas bei mir auch mal eine Chance verdienen. Und „Sherlock“ senkt die Hemmschwelle erheblich.

    1. Bettina Schnerr says:

      Vielleicht hilft es ja, in der Bibliotheksausleihe zu suchen. Bei Büchern, bei denen ich mir gar nicht so sicher bin oder wo ich Autoren oder Genres ausprobieren will, mache ich das öfter.
      Eigentlich bin ich auch als Textmensch groß geworden. Inzwischen habe ich aber begriffen, wie eigentständig das Genre Graphic Novel / Manga funktioniert. Seither gehe ich da immer wieder rein.

      Dieser Manga geht nach der BBC-Serie. Wenn du die kennst, wirst du die Handlung wiedererkennen; wenn nicht, sind es gut erzählte, eigenständige Stories. Bin gespannt, wie es auf dich wirkt.

      1. Die BBC Serie liebe ich und kenne sie quasi auswendig. Ich denke, ich gönne mir „Ein Fall von Pink“ einfach mal. Wird sich so oder so gut neben meinen altmodischen Sherlock Holmes Bänden, den Sachbüchern zu Conan Doyle und meinen Sherlock DVDs machen.

      2. Bettina Schnerr says:

        👍 Ausprobieren. Immer eine gute Idee 😉

  3. Ok … jetzt muss ich also doch endlich die Sherlocks lesen, die ich hier habe. Sind nicht viele – ich glaube, ich habe ein Heft vom Gratis Comic Tag und ein älteres Hardcover. Aber jetzt kann ich nicht mehr anders. Danke dir für diesen Schubs 😀

    Liebe Grüße,
    Sandra

    1. Bettina Schnerr says:

      Immer gerne! Mehr als diese drei gibt es nur leider nicht. Ich hoffe, dass sich die Fortsetzung tatsächlich irgendwann materialisiert 😉 Auch beim japanischen Verlag war nämlich noch nichts zu finden.

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