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Lucinda Hawksley – Gefährlich schön

Lucinda Hawksley – Gefährlich schön

Lucinda Hawsley - Gefährlich schön. Giftige Tapeten im 19. Jahrhundert.

Sie sind, glaubt man den Trends aus dem Interior Design, wieder schwer im Kommen: Üppig gemusterte und farbenfrohe Tapeten für einzelne Wände, für kleine Badezimmer oder für Dekoflächen wie Alkoven und hinter dem Schreibtisch. Ganz so wie früher, als solche Tapeten die repräsentativen Räume von Adelssitzen und wohlhabenden Familien zierten. Lucinda Hawksley verrät in ihrem Buch „Gefährlich schön“ jedoch, dass die prunkvolle Dekoration jahrzehntelang ein großes Gesundheitsrisiko in die Häuser brachten: Zahlreiche der verwendeten Farben wurden mit Arsenverbindungen hergestellt.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Fabriken und Tapetendesigner auf solche Farben zurückgriffen und sich trotz einer schnell einsetzenden Diskussion jahrzehntelang einfach nicht von ihnen abbringen lassen wollten? Denn das Arsen giftig war, wusste man zweifelsfrei. In jedem Haushalt stand Rattengift herum und für Morde wurde es ebensogerne eingesetzt. Die Symptome ließen sich kaum von Krankheiten unterscheiden, die damals grassierten, schreibt Hawksley.

Doch Arsen galt auch als Heilmittel. Es verleihe Frauen „strahlende Blässe“ und sollte angeblich Ausdauer und Körperkraft steigern. Zugleich kam es immer wieder zu Todesfällen. Mal streckte ein Bonbonmacher den teuren Zucker mit zu viel güngstigem Arsenikpuler, andere verwechselten das Pulver mit Backnatron. Kurz: Das Zeug war überall und die schiere Gewöhnung ließ viele wohl etwas abstumpfen.

Eine giftgrüne Laufbahn

Der Begriff „Giftgrün“ beschreibt also sehr präzise die Qualität jenes Farbtons, der den vorübergehenden Siegeszug arsenhaltiger Farben eingeläutete: Scheeles Grün, benannt nach seinem Erfinder Carl Wilhelm Scheele. Die neue Farbmischung war leuchtend und lichtecht und somit unter den damals verfügbaren Farbstoffen eine echte Sensation. All diese wurden in einer bis dahin nie gekannten Intensität erst durch Scheeles Arbeit möglich und reichten von Rubinrot über Zitronengelb und Pfirsich bis hin zu Oliv, Azur oder Aquamarin.

Lucinda Hawksley zeigt, wie „gefährlich schön“ nicht nur das Leben mit den Tapeten auf der Wand war. Die Liste möglicher Krankheiten in einem tapezierten Haushalt aus viktorianischer Zeit war dementsprechend lang und Hawksley schreibt, dass sogar Kinder starben, die ihre bunte Tapete abgeschleckt hatten.

Viel schlimmer aber litten die Menschen, die die Tapeten in den Fabriken herstellten. Moderne Produktionsmethoden hatten die Tapeten zwar erschwinglicher gemacht. Die Arbeitsbedingungen waren wegen der Farbstoffe aber sehr schlecht. Interesse an einer Verbesserung hatten die Firmenbesitzer wenig – sie verdienten einfach gut daran (man kommt wirklich nicht umhin, die Parallelen zur globalen, modernen Arbeitswelt zu ziehen). Arsen war zur damaligen Zeit so verbreitet, dass selbst von den Trachten von Kinderpflegerinnen bis hin zu Spielkarten zahlreiche weitere Dinge gesundheitliche Probleme auslösen konnten. Der Autor James C. Whorton nennt die viktorianische Zeit gar das „Arsenic Century“.

Aufschlussreiche Designgeschichte

Schlussendlich gab es wenig politische Maßnahmen in Großbritannien, obwohl viele andere Länder dem Einsatz von Arsen strikte Grenzen setzten. Viele Probleme lösten sich nur deshalb, weil sich Alternativen boten und die Menschen am Ende doch lieber auf arsenfreie Tapeten setzten.

Lucinda Hawksley bietet mit ihrem Buch eine besondere Zeitreise an: Sie fokussiert sich mit der Tapete auf einen konkreten Baustein seiner Zeit. Zahlreichen Farbtafeln mit originalen Mustern zeigen zeitgenössische Tapeten aus dem Fundus des britischen Nationalarchivs, sortiert nach Farbtönen. Sie zeigt ein Stück Kulturgeschichte sowie den Einfluss der einsetzenden Industrialisierung auf die Verfügbarkeit von Wohnraumgestaltung. Sie schildert den teils widerwilligen Aufbau von Arbeiterschutz in den Unternehmen und den Umgang mit der Gesundheitsgefahr in anderen Ländern. Kurz und gut: „Schön“ und „gefährlich“ auf faszinierende Art miteinander verbunden.

Hörtipp Deutschlandfunk Nova
Eine giftige Farbe erobert die Welt

Bibliografische Angaben

Verlag: Gerstenberg
ISBN: 978-3-8369-2138-1
Originaltitel: Bitten By Witch Fever. Wallpaper & Arsenic in the Victorian Home
Erstveröffentlichung: 2016
Deutsche Veröffentlichung: 2018
Übersetzung: Anke Albrecht

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