Selten war ich nach einem Buch so unentschieden wie bei „Brüste und Eier“. Ist es nun gut oder ist es das nicht? Wohin ich auch schaute, darunter zum Beispiel in den Online-Lesekreis #brüsteclub von Malu Schrader, dann ging es zahlreichen Leser:innen ähnlich. Die einen völlig begeistert, die anderen eher ratlos. Dazwischen taucht wenig auf, doch je länger ich über das Buch grüble, umso mehr müsste es eigentlich in diese Mitte dazwischen. Wirklich das Eine oder das Andere ist es für mich nicht.
„Brüste und Eier“ dreht sich um Natsuko Natsume, eine junge Schriftstellerin und Autorin, die nach einem Überraschungserfolg ihren Lebensunterhalt mit Schreiben bestreiten kann. Geprägt wird die Geschichte im Wesentlichen aber über die Begegnungen mit ihrer Schwester Makiko, ihrer Nichte Midoriko sowie anderen Frauen, mit denen sie beruflich und privat zu tun hat.
Kawakami schrieb dafür ein zweigeteiltes Buch. Der erste Teil dreht sich ausschließlich um die Natsume-Schwestern und Midoriko. Die Hauptpersonen pickte sich Kawakami aus ihrer Novelle 乳と卵 (Chichi to ran, also „Brüste und Eier“, ausgezeichnet mit dem Akutagawa Preis), die schon vor einigen Jahren erschienen und auch preisgekrönt war. Makiko will sich die Brüste vergrößern lassen, Midoriko erlebt gerade ihre Pubertät und steckt voller Zweifel und die beiden fallen mit einer akuten kleinen Familienkrise für einen Kurzbesuch bei Natsuko in Tokyo ein. Der zweite und längere Teil spielt einige Jahre später, als sich die alleinstehende Natsuko mit ihrem Kinderwunsch beschäftigt. Beide Teile zusammen erschienen in Japan als Roman namens „Natsu monogatari“ (夏物語).
Der große Geschichteneintopf
Mieko Kawakami gelingt es tatsächlich, eine Vielzahl der Herausforderungen im Buch unterzubringen, denen Frauen ausgesetzt sind. Nicht nur gesellschaftliche Erwartungen wie jene, die Familie des Mannes bis ins hohe Alter zu betreuen, jene, sich stets präsentabel zeigen zu müssen oder jenes Märchen, dass Kinderlosigkeit grundsätzlich auf die Frau zurückgeht. Sondern vor allem jene, die ursächlich auf Männer zurückgehen durch Gewalt gegen die Familie und Fremde, durch Misogynie und Sexismus. In diesem Roman kommt (mit einer Ausnahme) keine Männerfigur gut weg — im ersten Teil kommt nicht einmal ein Mann vor. Bei Kawakami sind Männer schlicht dramaturgisch nötige Figuren, um Stück für Stück Probleme aufzeigen zu können.
„Und weißt du, wer die Schlimmsten sind?“, fragte sie und schüttelte den Kopf. „Solche Typen wie mein Ex. Typen, die glauben, dass sie anders sind. Die die Frauen verstehen, die Frauen respektieren, die wissen, wie schwer Frauen es haben, und sogar Abhandlungen darüber schreiben, die jede einzelne Tretmine kennen. ‘Oh, ich liebe die Romane von Woolfe.’ Interessiert mich nicht. Sag mir lieber, wie oft du im letzten Monat die Wäsche gemacht, eingekauft, geputzt oder gekocht hast, anstatt hier den großen Mann zu markieren!“
Es ist definitiv ein Pluspunkt des Buchs, dass es radikal aus einer Frauenperspektive heraus geschrieben ist, nichts ausspart. Dabei ist es beileibe keine Nabelschau. Andererseits ist der Anspruch, so viele Themen abzudecken, genau das, was dieses Buch so langatmig macht. Oft passiert seitenlang nichts, was eine Handlung voranbringen könnte. Es wird viel erzählt, viel nachgedacht und überlegt. Kawakami lässt ihre Figuren alles mögliche einordnen und reflektieren und da kommt bei diesem umfangreichen Themenspektrum wirklich eine ganze Menge Überlegung zusammen.
Hochinteressant, doch zerfasert
Was ich jetzt habe, ist ein Buch mit hochspannenden Aspekten, das aber zu langatmig geraten ist. Ein Buch, das sicher auf Japan konzentriert ist, doch mit einigen Anpassungen auch hier gültig ist. Ich treffe auf ein schlüssiges, offenes Ende, nachdem ich mich bis heute frage, wie Teil 1 und Teil 2 zusammen passen (ob überhaupt). „Brüste und Eier“ gäbe für mich drei oder vier Roman her, prägnant wie Die Ladenhüterin zum Beispiel.
Der Roman hinterlässt eine gewisse Ratlosigkeit, ja, aber eben auch die Faszination für seinen kompromisslosen Aufbau und den Respekt dafür, so viele Frauenthemen auf den Tisch zu bringen. Ein Entweder-Oder-Roman ist es nicht; das Buch gehört in die Mitte dazwischen.
Linktipp: Mieko Kawakami im Gespräch mit Tank Magazine
Bibliografische Angaben
Verlag: Dumont
ISBN: 978-3-8321-8373-8
Originaltitel: Natsu monogatari / 夏物語
Erstveröffentlichung: 2019
Deutsche Erstveröffentlichung: 2020
Übersetzung: Katja Busson
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