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Volker Kutscher – Die Akte Vaterland

Volker Kutscher – Die Akte Vaterland

Volker Kutscher - Die Akte VaterlandJuli 1932, die Berliner Polizei steht vor einem Rätsel: Ein Mann liegt tot im Lastenaufzug von »Haus Vaterland«, dem legendären Vergnügungstempel am Potsdamer Platz, und alles deutet darauf hin, dass er dort ertrunken ist. Kommissar Gereon Rath ist wenig erfreut über den neuen Fall, denn er hat schon genug Ärger. Seine Ermittlungen gegen einen mysteriösen Auftragsmörder, der die Stadt in Atem hält, treten seit Wochen auf der Stelle, seine große Liebe Charlotte Ritter kehrt von einem Studienjahr in Paris zurück und fängt als Kommissaranwärterin am Alex an – ausgerechnet in der Mordkommission, was die Dinge nicht einfacher macht.

Der Tote vom Potsdamer Platz scheint Teil einer Mordserie zu sein, deren Spur weit nach Osten führt. Während Charly als Küchenhilfe ins Haus Vaterland eingeschleust wird, ermittelt Rath in einer masurischen Kleinstadt nahe der polnischen Grenze und gerät in eine fremde Welt. Er macht Bekanntschaft mit wortkargen Ostpreußen, schwarzgebranntem Schnaps und den Tücken der Natur. Die Widerstände gegen den Ermittler aus Berlin wachsen, als er ein lang gehütetes Geheimnis aufzudecken droht. Während Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten immer mehr Todesopfer fordern, putscht Reichskanzler von Papen die demokratische Regierung Preußens aus dem Amt und mit ihr die Spitze der Berliner Polizei. Damit verschärft sich die Lage auch für Gereon Rath, der sich bisher der Protektion durch Polizeivizepräsident Bernhard Weiß sicher sein konnte.</p>

Rezension

Gereon Rath legt einen ungünstigen Start hin: Statt seinen Bereitschaftsdienst ernst zu nehmen, holt er lieber seine Freundin Charly vom Bahnhof ab. Sein Mitarbeiter Gräf übernimmt also übellaunig und alleine die ersten Untersuchungen an einer Leiche, die im Vergnügungstempel „Haus Vaterland“ gefunden wurde. Ein Todesfall mit Rätseln, denn wie kann man bloß in einem Fahrstuhl ertrinken? Erst ein zweiter Todesfall bringt langsam aber sicher Licht ins Dunkel und leuchtet geradewegs Richtung Masuren. Dort muss es einen Grund für die Morde geben, denn die gemeinsame Herkunft der Opfer ist das einzige Verbindungsstück, dass die Polizei finden kann.

Um einen Kutscher-Krimi genießen zu können, muss man sich ein wenig Zeit lassen. Das war bei den drei vorangegangenen Bänden schon so und auch beim vierten bleibt sich Volker Kutscher treu: Er baut mehrere Handlungsstränge sauber auf, gewährt Einblick in das Leben und Arbeiten in den 1930er Jahren und daher dauert es immer ein paar Kapitel, bis man in der Geschichte drin ist. Bis man ahnt, wo es Zusammenhänge geben könnte und wo nicht. Bis die Geschichte Gas gibt und man an der Stelle angelangt ist, ab der man nicht mehr aufhören kann zu lesen. Es gibt nicht nur Ertrinkende auf dem Trockenen. Es gibt einen Scharfschützen, der schon seit geraumer Zeit Peronen unter Beschuss nimmt. Es gibt Charly, die wieder in der Burg zu arbeiten beginnt und wegen Personalmangel ausgerechnet in der Mordkommission aushelfen wird. Es gibt Machos, die Charly das Leben schwer machen und politische Umwälzungen, die die Polizisten verunsichern.

Alles in allem verpackt das Buch ein sehr breites Spektrum an zeitgenössischem Leben, das neben der eigentlichen Krimihandlung abläuft. Wie vielschichtig alleine bereits der Buchtitel ist, begreift man schon nach wenigen Seiten. Nationalismus ist im Buch nicht nur eine politische Strömung, die aus historischen Gründen eben dabei sein muss, Kutscher bringt uns auch nahe, welche Hintergründe es gibt, wie das Wirkprinzip funktioniert und warum Menschen unterschiedlich empfänglich sind.

Gerade die Komposition über mehrere Ebenen macht das Besondere an den Büchern um Gereon Rath aus. Dessen Ermittlungen werden zu einem der lebendigsten Geschichtsbücher, die über die 1930er Jahre erschienen sind. Das Urteil der SZ, das vor einigen Bänden bereits geschrieben wurde, wird immer deutlicher: „Kutschers Projekt, den Untergang der Weimarer Republik im Medium des Kriminalromans darzustellen, ist ganz und gar schlüssig.“ Und das auf einem Niveau, das seit vier Bänden unverändert hoch ist.

Bibliografische Angaben

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04466-9
Erstveröffentlichung: 2012

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