Liwa Ekimakingaï findet sich auf dem Friedhof von Pointe-Noire wieder. Ein merkwürdiger Wirbelsturm hat ihn aus dem Grab gehoben und Liwa hockt nun darauf und versucht, sich in seiner neuen Situation zu orientieren. Wer kann ihn sehen, könnte er sich durch die Stadt bewegen und wer kann mit ihm sprechen? Ziemlich schnell hat er Gesellschaft: Die neuen „Nachbarn“ hocken sich zu ihm. Offenbar haben die Toten regen Kontakt untereinander, erzählen einander gerne Geschichten und manchmal treffen sich gar die Toten vom „ärmeren“ Friedhof der Stadt mit denen vom „wohlhabenderen“.
Legenden und Geschichten
Liwa lernt auf diese Weise den „Sprecher“ des Friedhofs ebenso kennen wie einen ehemaligen Angestellten in jenem gehobenen Hotel, in dem er selbst als Küchengehilfe gearbeitet hatte. Er begegnet der Mutter eines ermordeten Zwillingspärchens, die ihn grüßt – und Liwa versteht nicht recht, ob sie das kann, weil sie den Tod so grausam erfahren hat oder weil sie selbst bereits zum Friedhof gehört.
Der junge Mann, nach wie vor gekleidet wie am Abend seines Todes, hat bislang offenbar gut behütet bei seiner Großmutter Mâ Lembé gelebt. Die Geschichten, die er nun über Pointe-Noir hört, erzählen von einem Kongo, dessen Geschicke von Gier und Aberglauben bestimmt sind. Minister lassen Zauberer kommen, um die politischen Gegenspieler zu durchleuchten und Hexen geben Empfehlungen für Todesurteile. Wer im Land zu Ruhm gekommen ist, egal, mit welchem Beruf, ist wortwörtlich „über Leichen gegangen“.
Liwa findet seinen Platz
Allerdings reden die Toten ein gewichtiges Wörtchen mit und für viele, die einen Pakt geschlossen haben, rächt sich eines Tages die Gier — jenes titelgebende „Geschäft der Toten“. Diese können wiederkommen oder andere zur Rache anstiften. Wer so weit gegangen ist, seiner Karriere andere Menschen zu opfern, stürzt umso tiefer. Im Lauf des Buchs enthüllt Mabanckou, dass auch Liwas Tod mit einem Pakt zusammenhängt.
Du kannst nichts Edleres tun, als in die Welt der Lebenden zurückzukehren, um eine Tat zu vollbringen, die dir für alle Ewigkeit Größe verleiht, das heißt, allen Leben und Liebe einzuflößen, denen man diese ungerecherweise vorenthalten hat.
Alain Mabackou entführt in ein Land, das nicht so häufig auf unserem Leseatlas autaucht und das macht den Roman umso interessanter. So vieles scheint anders zu sein und die merkwürdigen Gepflogenheiten für Karrieren, beginnend bei einfachen Polizisten, wirken vor dem Hintergrund der bunten Legenden und Erzählweisen so fremd.
Doch ein zweiter Blick offenbart universelle Probleme. Geistliche und Wirtschaftsbosse, die ihre Position für Missbrauch ausutzen, und Politiker, die ihrem Aufstiegswillen jeden Gegner opfern würden? Das kennt man letztlich überall. Und wie auch anderswo ist es manchmal das Schicksal einer einzigen Person, die etwas in Bewegung setzen kann. Auf welche Art sie ihr Werk vollendet, ist dann wieder Teil der speziellen Erzähltradition. Nichts weiter.
Bibliografische Angaben
Verlag: Liebeskind
ISBN: 978-3-95438-166-1
Originaltitel: Le commerce des Allongés
Erstveröffentlichung: 2022
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Hilger Fock, Sabine Müller
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