Close

Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Im Keller: Ein Besuch im Diogenes Verlag

Im Keller: Ein Besuch im Diogenes Verlag

Neulich durfte ich den Diogenes Verlag besuchen. Für einen Büchermenschen ist eine Gelegenheit, hinter die Kulissen eines Verlags schauen zu können, natürlich etwas Großartiges. Bei einem Kaffee höre ich vielleicht Neuigkeiten zu Autoren oder kommenden Titeln gleich aus erster Hand (ich werde in diesem Fall bei jedem Besuch nach Fuminori Nakamura fragen, versprochen!) und lerne die Leute kennen, die für meine Lektüren verantwortlich sind.

Ein sehr schöner Ort ist zum Beispiel die Lizenzabteilung, weil dort unzählige Bücher in unzähligen Sprachen stehen. Eine spanndende und bunte Entdeckungsreise zwischen Buchdeckeln, denen man nicht immer ansieht, welcher Titel aus dem Programm wirklich dahinter steckt. Umso schöner ist die „Besichtigung“, denn die Bücher dort stehen oft gezielt mit dem Cover nach vorne statt mit dem Buchrücken.

Der schönste Ort aber ist der Keller! Nicht nur, weil dort das Bücherlager ist. Sondern ganz besonders, weil der Diogenes Verlag in seinem Keller eine einzigartige Dekoration besitzt: Alle Autoren signieren die Wände!

Eine Verlagschronik für die Ewigkeit

Möglich ist die Tradition, weil der Verlag 1970 seine heutigen Räume bezog und seither Stück für Stück Herr über das Haus wurde. Aus zunächst drei Etagen wurde irgendwann das ganze Haus. Samt Keller natürlich. Später kam noch ein Stück vom Nachbarhaus dazu. Die großzügigen Lagerräume gegenüber, die einst einem Fischhändler dienten, stehen längst ebenfalls unter „Diogenes-Regie“ und folglich voller Bücherregale.

Die Wände ließ man allerdings erst einmal in Ruhe. Rund zwanzig Jahre, bevor der entscheidende Dialog fiel. Das genaue Jahr entfällt in der Verlagschronik, es wird Anfang der 1990er Jahre gewesen sein. Eines aber weiß man sicher: Den Anfang machte Tomi Ungerer. Womöglich brachte ihn der launige Spruch eines Mitarbeiters auf die Idee:

„Wenn du etwas auf die Wand zeichnest, bleibt das eine Ewigkeit bestehen. Dann weiß man noch, wenn wir alle mal tot sind, wer das war, Tomi Ungerer.“

Seither ist der Keller im Diogenes Verlag nur noch vor dem Maler und jeglichen Renovierungen sicher. Die Signatur an der Wand ist zu einem unumstößlichen Ritual geworden. Neue Autoren begleiten auf diese Weise meist ihre erste Veröffentlichung in der Zürcher Sprecherstraße mit (meist) schwarzem Marker in der Hand. Inzwischen ist besonders das Handlager zu einer kleinen Sensation geworden. Renovieren ist, wie gesagt, nicht mehr drin und der Verlag kann eigentlich auch kaum noch umziehen, ohne diesen Schatz aufzugeben.

Jedem ein passendes Eckchen

Die Signaturen umfassen mehrere Laufmeter, reichen einmal rundherum und machen auch vor Säulen, Heizungsrohren und Elektrokästen nicht halt. Viele Autoren ergänzen ihre Unterschrift mit Zeichnungen oder Sprüchen (der Spruch im Titelbild ist übrigens von Charles Lewinsky). Manch einen Autor findet man sogar mehrfach; Sempé hat sich zum Beispiel als Mann mit Hut und Mann auf dem Fahrrad verewigt. Ingrid Noll kann neben dem hier gezeigten Elefanten auch den Hahn zeichnen, der das Cover ihres ersten Titels bei Diogenes ziert. Jakob Arjouni entdeckt man ebenso zweifach wie Urs Widmer oder Tomi Ungerer. Das Signieren macht sichtlich auch einen Heidenspaß.

Es gibt viele schöne Details in diesem Verlagshaus — dass ausgerechnet der Keller der spannendste Ort ist, verdanken wir einer kleinen Laune. Eine Laune, aus der heraus ein ganz spezielles Verlagsarchiv entstanden ist.


Fotos: Bettina Schnerr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Close