Was benötigt man, um einen Buchumschlag zu gestalten? Wann ist er gelungen? Vielleicht sollte er dem Autor gefallen, viel mehr aber dem Leser. Auffallen ist angesagt, in einer Menge von Tausenden von Bücher jedes Jahr.
Im Idealfall kennt die Grafikabteilung im Verlag zumindest grob die Handlung, Personen oder spezielle Einzelheiten. Im Fall von Jhumpa Lahiri bekommt sie gelegentlich noch viel weniger:
Für einige Verlag reicht mein Name und mein Foto, um auf der Stelle einen Umschlag in Auftrag zu geben, in dem es nur so wimmelt von stereotypen Verweisen auf Indien. … Niemanden kümmert es, dass ein Großteil meiner Geschichten tatsächlich in Amerika angesiedelt ist.
Jhumpa Lahiri macht sich in ihrem kleinen Büchlein „Die Kleider der Bücher“ ausführlich Gedanken darüber, was der Buchumschlag bedeutet. Für Lahiri stecken zwei Wertungen dahinter, die offensichtliche für das Buch und seinen Inhalt, aber auch die verborgene für die Autorin. Basis dieses Buchs ist eine Rede, die Lahiri 2015 auf dem Festival degli Scrittori in Florenz gehalten hatte.
Eine Frage umgehen, um eine Antwort zu finden
Lahiri wurde in London geboren und wuchs in den USA auf. Mit Indien verbinden sie ihre Eltern und die bengalische Familie, die sie von Besuchen kennt. Sie selbst hat nie in Indien gelebt.
Um zu verstehen, warum Cover ein so großes persönliches Gewicht haben, erzählt Jhumpa Lahiri zunächst von i hrer Kindheit. Da sind zum Einen die Bücher, die sie las. Die meisten waren sehr schlicht und verrieten auf dem Cover nicht mehr als Autor und Titel. Das ist eine Erfahrung, die sie in der Wahrnehmung von Literatur sehr geprägt hat. Zum Anderen berichtet von sie von ihren frühen Erfahrungen damit, durch Kleidung anders zu sein, in endlosen Diskussionen mit der Mutter zwischen Sari und Jeans. Sie begriff, dass Kleidung eine Identität herstellt.
Wenn Verlage ihre Cover nun sehr indisch gestalten, stellt sich nicht nur eine ästhetische Frage. Die Kleider der Bücher, vor allem ihrer eigenen Bücher, sind für die Autorin auch eine Frage nach ihrer Identität. Allerdings einer, die sie im Gegensatz zu ihrer Kleidung nicht selbst in der Hand hat. Jedes Manuskript, so Lahiri, bedeute ab einem bestimmten Zeitpunkt Kontrollverlust. Nichts kann mehr geändert werden.
Ein Bild als Übersetzung
Ich finde es sehr erhellend, Buchcover aus der Perspektive einer Autorin kennen zu lernen. Jhumpa Lahiri ist der verkaufsfördernde Effekt sehr wohl bewusst. Parallel dazu erfährt sie eine Resonanz auf ganz persönlicher Ebene. Und da spielt nicht nur die Frage nach Identität und Klischee eine Rolle. Was da verpackt wird, ist schließlich ihr Text und das Cover eine Interpretation davon.
Die Buchumschläge eines jeden Landes stellen eine bestimmte Geographie, eine unverwechselbare Landschaft dar.
So schön ist es, von ihrem Staunen zu lesen, dass ein und dasselbe Buch von ihr so unterschiedlich aussehen kann. Fast könnten es ganz andere Bücher sein. Aber Lahiri weiß, dass unter einem Dutzen Cover jeweils ein und derselbe Text versteckt ist.
Für ihr Debut, Interpreter of Maladies, eine Kurzgeschichtensammlung (Pulitzer Preis und Hemingway Foundation/PEN Award im Jahr 2000) habe ich selbst den Versuch gemacht und Cover aus verschiedenen Ländern herausgesucht. Das Witzigste stammt aus Italien und zeigt eine Lotusblüte als Belag für einen Sandwich. Andere Cover zeigen einen Teil einer reich verzierten Tür, den Ausschnitt eines Sari-Saums, eine Kerze im Kerzenständer, eine schwimmmende Kerze auf dem Wasser, Schatten von Frauen am Teetisch, einen Schnappschuss laufender nackter Füße, einen aus einer indischen Gasse, sogar die tanzende Göttin Shiva oder einen Baum voller Lichter. Dass jeweils ein und dasselbe Buch dahintersteckt, scheint tatsächlich seltsam. Viele „Kleider“ dieser Bücher haben aber eines gemeinsam: ihre Anspielung auf Indien. In meiner Stichprobe aus 14 Motiven kommen nur etwa fünf Titel ohne eine deutliche Konnotation aus.
Denke ich zurück zu Lahiris Anfängen als Leserin, als alle Bücher einheitlich aussahen, denke ich an ihre große Begeisterung für Buch-Serien in einheitlichem Gewand, dann dürfte Jhumpa Lahiri das Cover dieser Ausgabe auf alle Fälle zusagen.
Bibliografische Angaben
Verlag: rororo
ISBN: 978-3-499-27563-0
Originaltitel: The Clothing of Books
Erstveröffentlichung: 2015
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Margit Knapp
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