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Donna Leon – Flüchtiges Begehren

Donna Leon – Flüchtiges Begehren

Zu den Autor:innen, die mich schon lange begleiten, zählt Donna Leon definitiv dazu. „Death in a Strange Country“ und „Death at la Fenice“ waren die ersten Titel, die über einen Zufalll in meinen Händen landeten. Ich hatte nicht damit gerechnet, Donna Leon in der Folge weiterhin zu begegnen. Die Bücher gefielen mir, aber mangels Überblick über den englischsprachigen Buchmarkt hätte ich mich kaum bemüht, Commissario Brunetti auf den Fersen zu bleiben. Es dauerte also eine Weile, bis ich begriff, dass Donna Leon auf Deutsch bei Diogenes zu Hause war. Die genannten Titel sind die ersten der Serie, die auf Deutsch als „Endstation Venedig“ und „Venezianisches Finale“ auf den Buchmarkt kamen. In diesem Jahr erschien nun der Jubiläumsband, der dreißigste! „Flüchtiges Begehren“ heißt er und er bringt all das aufs Papier, was mich an der Serie anspricht (auch, wenn ich, zugegeben, beleibe nicht alle 29 Bücher davor kenne). Donna Leons Krimis berühren immer gesellschaftliche Schwächen, die viele Kriminalfälle erst möglich machen. Das Wegschauen, das Verharmlosen, das Vertuschen. Manchmal, weil es nicht interessiert, manchmal, weil Strippenzieher zu sehr profitieren. Da mag das traute Familienleben der Brunettis drüber hinwegtäuschen, aber Leon liefert immer mehr als einen Venedig-Ausflug.

Ich erinnere mich an ein Interview mit Donna Leon vor geraumer Zeit, als sie vom Austausch mit einem deutschen Taxifahrer über den erschreckenden Ablauf deutscher Großbauprojekte erzählte. Leon fragte, ob man auf Grund der Pannen je die Beteiligung der Mafia in Betracht gezogen habe. Der Taxifahrer verneinte vehement, aber Leon weiß es in diesem Fall wahrscheinlich wirklich besser. Wegschauen und Probleme ignorieren ist nicht ihr Ding. Als Autorin nicht und ich nehme an, als ehemalige Wahlvenezianerin hat sie da einen viel geschulteren Blick als viele ihrer deutschsprachigen Leser:innen, für die krumme Geschäfte und mafiöse Strukturen ein Phänomen anderer Länder sind.

Anfangs hatte Brunetti befürchtet, das Buch werde sie zu endlosen politischen Moralpredigten anstacheln — all diese niederträchtigen Söhne, schwachsinnigen Vettern und haarsträubend arbeitsscheuen Gestalten, deren Karriere allein durch Verwandte in hohen Regierungsämtern, Schwiegereltern mit guten Beziehungen oder schlicht durch Erpressung befördert wurde. Doch dazu ließ Paola sich nicht hinreißen, nur hin und wieder blickte sie von der Lektüre auf und bemerkte: „Ah, genau wie mein Onkel Luca!“ — „Ja, genauso ist Luigino an seinen Job gekommen!“ Oder: „Exakt wie der, der seinen Botschafterposten verloren hat, weil er eine Affäre mit der Frau des Landwirtschaftsministers hatte.“

Raum schaffen für das leise Grauen

Gewalt kommt bei ihr nie direkt vor. Sie selbst sagt, ihr sei die „Aura des Grauens“ wichtiger und die Stimmung, die das beim Lesen erzeuge. Mag sein, dass auch das ein Faktor ist, der ergänzend zur venezianischen Kulisse dafür sorgt, dass Leons Krimis manchmal ein bisschen unterschätzt werden. Aber dieses Grauen funktioniert; als Beweis reicht schon der dreißigste Fall. Beginnen wird er mit einem Bootsunfall. Zwei Touristinnen, die sich auf eine nächtliche Spritztour eingelassen haben, landen bewusstlos auf dem Bootssteg des Krankenhauses; ihre Begleiter verschwinden schnellstens wieder. Bei den Nachforschungen tauchen Gerüchte auf und Ungereimtheiten und Commissario Brunetti kommt auf diese Weise indirekt einem weitaus größeren Grauen auf die Schliche. Dass die jungen Männer so schnell wieder verschwanden, hatte handfeste Gründe.

In einigen Fällen lassen sich Brunettis Ermittlungen nicht immer sauber abschließen. Wenn hochrangige Personen profitieren, kommt man in den Krimis nicht immer an sie ran, so sehr man sich das wünschen würde. Happy Ends muss ich also nicht unbedingt haben und es würde auch nicht immer passen. Wer sich mit „Flüchtigem Begehren“ befasst aber, wird am Ende schon stutzen. Die Wahl für den Abschluss des Kriminalfalls ist das Eine. Die Frage, wie das Leben der Protagonisten weitergeht, eine Andere. Und da frage ich mich schon, warum Leon da um Himmels Willen kein Happy End zulassen wollte. Ich hätte es mir sehr gewünscht. Es wäre möglich gewesen und, wenn ihr mich fragt, nötig gewesen.

Bibliografische Daten

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07120-7
Originaltitel: Transient Desires
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Übersetzung: Werner Schmitz

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