Ariela Sarbacher – Der Sommer im Garten meiner Mutter
In jenem besagten Sommer verabschiedet sich Francesca von ihrer Mutter, die unheilbar krank ist. In losen Rückblenden erinnert sie sich an das, was ihre Mutter ausmacht und setzt Stück für Stück, in kleinen Episoden ein Bild von ihr zusammen: Eine energische und willensstarke Frau, die sich zwischen ihrer italienischen Familie und dem eleganten Zürich ausbalanciert — hier das pralle Leben, dort unterkühlter Status. Eine Frau, die sich mit Bildung und Geschmack einen gewissen Status geschaffen hat, eine, das reißt der Roman auch an, die sich dadurch ein wenig von Zuhause lösen wollte und eine, die sich in der nüchternen Schweiz einen Platz erarbeiten musste. Das prägte über die Jahre natürlich auch Francesca. Mit der ihr eigenen Energie sucht die Mutter jetzt einen selbstbestimmten Tod. Francesca muss diese unnachgiebige Haltung verdauen und den kommenden Tod verkraften — aber auch erkennen, dass die Entscheidung typisch Mutter ist.
Der Roman kommt ein bisschen durch die Hintertür. Die Wirkung setzte nämlich erst ein, nachdem die letzte Seite zugeklappt war. Szenen und Impressionen trage ich immer noch mit mir, grüble von links drauf herum, beleuchte sie von rechts und drehe sie manchmal ein bisschen. Es sind im Buch vier Wochen Sommer mit dem Eindruck, dass Francesca da erst in Gänze begreift, was ihre Mutter ausgemacht hat. Ein Mensch, mit dem sie eigentlich zahlreiche Jahre verbrachte. Bei mir kommt der Effekt eben auch ein wenig später. Das verstehe ich als literarische Qualität, denn das soll Literatur doch machen, oder? Nicht nur ein paar Stunden nett sein, sondern haltbare Eindrücke hinterlassen und mich zum Nachdenken anregen.
Ariela Sarbacher hat mit ihrem teilweise autobiografisch inspiriertem Debut mit einer klaren und direkten Sprache ein eindrückliches Buch geschaffen über eine Frau, die ihre Mutter erst kurz vor deren Tod in ihrer Gänze begreift.
Verlag: Bilgerverlag
ISBN: 978-3-03762-083-0
Erstveröffentlichung: 2020
Milena Michiko Flašar – Ich nannte ihn Krawatte
Der junge Mann ist ein Hikikomori, ein Mensch, der sich von heute auf morgen zu Hause isoliert und kaum noch das Zimmer verlässt. Eines Tages traut er sich nach langem in den Park und verbringt seine Zeit auf einer Bank. Bald bekommt er Gesellschaft von einem älteren Mann. Auch er wird jeden Tag kommen, sein Bento essen und erst abends wieder gehen. Der kleine Rahmen wird den Männern zu einem Rückzugsort, an dem sie sich austauschen. Über alles, was sie beschäftigt. Von Momenten der Trauer, der Furcht und Ohnmacht, die sie mit Freunden oder Familie nicht teilen können. Erst diese spezielle Mischung aus Zusammengehörigkeit und Fremde in diesem Park ermöglicht es ihnen, sich zu öffnen.
Ich hatte den Roman direkt nach Marianengraben gelesen und deshalb den Eindruck eines kleinen Paralleluniversums: Zwei Menschen, die einander nicht kennen, aber beide unter emotionalem Druck, helfen einander auf gewisse Weise auf ihrem Weg. Die Rahmenbedingungen unterscheiden sich freilich: Tod und Krankheit auf der einen Seite, Leistungsdruck und Jobverlust auf der anderen. Doch allen gelingt die Öffnung erst, als sie unverhofft auf Fremde stoßen, mit denen sie eine Last teilen können. In einem Fall humorvoll, in diesem Fall mit sanften Tönen erzählt.
Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-03762-083-0
Erstveröffentlichung: 2020
Ulrike Ulrich – Während wir feiern
Die Sängerin Alexa feiert jedes Jahr ihren Geburtstag mit einer Dachparty mitten in Zürich. Immer am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag. Ulrike Ulrich begleitet in ihrem Buch diesen einen Tag: Vom Aufstehen über die ersten Vorbereitungen bis hin zum Feuerwerk am Abend.
Verstehen wir uns nicht falsch, das ist eine großartige Idee. Sie bildet die Vielfalt eines Tages ab, filtert nicht (zumindest nicht allzu offensichtlich), was passiert, welche Gedanken den Charakteren durch die Köpfe schwirren. Doch Alexas Feier empfand ich als zu sprunghaft, manchmal zu konstruiert, oft als so unzusammenhängend, dass ich mehr verwirrt war als unterhalten oder zum Nachdenken angeregt. Als hätte jemand mit einem Sahnebeutel dagestanden und noch ein paar Extratupfer aufs Essen gedrückt, noch üppiger, noch mehr. Nur, dass es der Hauptgang war, keine Torte.
Alexa schlägt sich mit den Standards herum. Regnet es oder nicht? Kommt dieser Gast oder jener oder kommen sie nicht? Was schüttet man nochmal in die Bowle? Davon passt sehr viel in einen Tag. Am Nationalfeiertag grübelt sie, eine Deutsche, freilich auch darüber, ob sie die Einbürgerung geschafft hat oder nicht. Der Bescheid steht noch aus. Zugleich macht sich ihr Bekannter Zoltan Sorgen um Kamal, der gerade den Abschiebungsbescheid bekommen hat. Kamal und Alexa bilden damit zwei wesentliche Pole, zwischen denen der Roman ausschlägt.
Warum sich aber Zoltan dann noch in Kamal verlieben muss und seine Ehe auf der Kippe steht? Warum Alexa ausgerechnet ihren Ex-Lover Brad noch schnell zum Kaffee einlädt, sich den lieben langen Tag den Kopf über ihn zerbricht, obwohl sie einen Traummann an der Seite hat, mit Brad ohnehin nichts mehr läuft und Brad sowieso auf der Party aufkreuzen wird und das mit einer guten Bekannten? Warum Adrian plötzlich von einem Teenager-Sohn erfährt, der sich auch noch extra angepisst benimmt? Das ist diese extra Sahne, die ich meine, zusammenhanglos draufgeträufelt. Es hinterlässt bei mir das Gefühl von „viel zu viel auf den Teller geladen.“
Verlag: Berlin Verlag
ISBN: 978-3-8270-1408-5
Erstveröffentlichung: 2020
Bestellen bei genialokal.de* / buchhaus.ch* / osiander.de* / orellfuessli.ch* (*Affiliate-Links)