Jón Gnarr – Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
Jón Gnarr - Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!

Jón Gnarr - Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!Jón Gnarr: Künstler, Komiker, Anarchist – und Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt. In seiner unterhaltsamen Streitschrift beschreibt er seinen Weg vom selbsternannten Anarcho und Gründer einer Spaßpartei in die Niederungen des kommunalpolitischen Alltags. Hören Sie gut zu und schärfen Sie ihr politisches Bewusstsein!

Ein Satz im Deutschunterricht hat sich Jón Gnarr besonders eingeprägt: »Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!« Zuhören ist eine Kunst, auch wenn sie in der Politik oft nicht sehr ausgeprägt ist. Gnarr lehrt sie uns und sich. Was als künstlerisches Projekt begann, die Gründung der »Besten Partei«, entwickelte sich für den Allround-Künstler spätestens nach seiner Wahl zum Bürgermeister von Reykjavík zur Lebensaufgabe: Wie kann man in einer Gesellschaft etwas verändern, ohne sich selbst zu verändern? Mit bewundernswerter Offenheit beschreibt Jón Gnarr seinen Werdegang, seine Visionen – und die Fehler, die er bislang gemacht hat.

Rezension

Am 15. Juni 2010 kippt Islands Establishment aus den Schuhen: Bei den Kommunalwahlen in Reykjavík siegt eine Partei, die es erst ein halbes Jahr lang gibt und deren Spitzenkandidat im Wahlkampf mehr durch komische Forderungen und merkwürdige Interviewführung von sich reden machte: Besti Flokkurinn, die „Beste Partei“. Der Spitzenkandidat: Jón Gunnar Kristinsson, genannt Jón Gnarr, bekannt als Comedian und Schauspieler. Mit seinem Wahlkampf erzielt er 34,7 Prozent der Stimmen und steht plötzlich vor der Erkenntnis, dass die wohl platzierten und bewusst gewählten Albernheiten dafür gesorgt haben, dass Reykjavík den etablierten Parteien tatsächlich eine Absage erteilt hat. Was tun?

Jón Gnarr tritt an. Schließlich war er seinerzeit wirklich ausgezogen, um sich zu engagieren und mitzugestalten. Denn der Frust über die Unbeweglichkeit der Regierung saß in Island tief, nachdem das Land durch den Finanzcrash fast den Staatsbankrott erleben musste. Was dann kam, was Planlosigkeit:

„Was fehlte, waren neue Wörter, neue Begriffe, neue Werte und junge, unverbrauchte Gesichter. Es war höchste Zeit, dass die Politiker sich von ihren vorgefertigten Phrasen trennten und das starre, überkommene Rechts-links-Denkschema aufgaben. Und was machst du, wenn du zwischen zwei Möglichkeiten wählen sollst, von denen beide gleich schlecht sind? Du erfindest eine dritte.“

Besti flokkurinn als Alternative zur Stagnation. Denn nach dem Rausschmiss einiger führender Köpfe hatte sich ansonsten nichts verändert. Gnarr fragt sich, wie man ein Problem lösen soll, wenn es nicht nur diejenigen lösen sollen, die es mit verursacht haben, sondern wenn sie es auch mit alten Methoden tun wollen, die das Problem ermöglicht haben.

Als bühnenerfahrener Mensch fallen ihm der Aufbau der Partei und der Wahlkampf vergleichsweise leicht:

„Jeder, der schon mal versucht hat, Comedy zu machen, weiß, dass er sich dabei auf einen Kampf gegen Ablehnung, Engstirnigkeit und Menschenverachtung einlässt.“

Gnarr kann einstecken, Pointen setzen und lässig kontern. Er lenkt geschickt von den Mitstreitern ab, damit die effizienter arbeiten können. Erst kurz vor der Abstimmung kommen Zweifel und seine Stimmung kippt. Die Offenheit, mit der Gnarr diese zermürbende Phase beschreibt, kennzeichnet insgesamt das Buch. Spätestens an dieser Stelle wird klar, wie sehr Politiker zu allmächtigen Kunstfiguren stilisiert werden, die alles schaffen, alles wissen und immer perfekt rüberkommen. Quatsch, sagt Gnarr, es sind alles Menschen wie Du und ich. Demokratie muss, so sagt er, ein viel breiteres Spektrum von Leuten anlocken, als nur telegene Experten (die noch nicht einmal zwingend Experten sind). Es seien Berufstätige, sie sich wie Bäcker in gute, schlechte und viele durchschnittliche Bäcker unterteilen.

Wer Gnarr folgt und zur letzten Seite kommt, hat vermutlich mehrere Dinge erkannt: Dass Politiker keine Wunderwesen sind, dass Politik auch kein Wunderding ist, dass ein bisschen Engagement viel bewirken kann und -zu guter Letzt- dass kreatives Denken ein wertvolles Gut ist. Verfolgt man die Berichterstattung über Gnarr, dann ist es ihm offensichtlich gelungen, nicht nur solide Bürgermeisterarbeit zu leisten, sondern mit kreativem Umdenken auch den einen oder anderen Knoten zu lösen. In starren und eingefahrenen Abläufen bringt ein wenig frischer Wind wirklich Gutes.

Summa summarum gewährt Jón Gnarrs Bestandsaufnahme nicht nur Einblick in den politischen Alltag und die Erfahrungen eines politischen Neueinsteigers und Außenseiters. Es ist auch ein Buch, das Mut macht, sich selbst an der einen oder anderen Stelle etwas mehr einzubringen. Demokratie hängt von allen ab – und man kann sogar Spaß dabei haben.

Bibliografische Angaben

Verlag: Tropen
ISBN: 978-3608105667
Erstveröffentlichung: 2014
Übersetzung: Betty Wahl

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