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Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Intermezzo XVI

Intermezzo XVI

Simone Buchholz – Mexikoring

Simone Buchholz - Mexikoring

In Hamburg brennen in letzter Zeit nachts laufend irgendwo Autos. Für Chastity Riley wird ein Problem daraus, als in einem der Autos ein sterbender Mann gefunden wird. Jener entpuppt sich als Nouri, Mitglied des Saroukhan-Clans, der eigentlich in Bremen aktiv ist. Bedeutet das neuen Ärger für Hamburg mit organisierter Kriminalität?

Riley reist mit dem LKA-Kollegen Ivo Stepanovic und zwei weiteren Beamten nach Bremen und trifft auf eine Familie, die sich keinen Deut um den toten Sohn schert. Die Familie, die wie viele andere Mhallamiye-Clans keine offizielle Staatszugehörigkeit hat, mauert und führt ein Leben an den hiesigen Gepflogenheiten vorbei. Da hilft auch der einzige Bremer Kollege nichts, der hin und wieder mit den Saroukhans etwas Kontakt aufbauen kann. Ihren einzigen Anhaltspunkt verdanken sie der Tatsache, dass Nouri von der Familie verstoßen wurde und regulär bei einer Versicherung angestellt ist. Wirklich umgänglich sind die meisten der dortigen Mitarbeiter zwar auch nicht, aber wenn die Polizei aufkreuzt, reden sie eben doch.

Riley geht für die Ermittlungen in gesellschaftliche und familiäre Abgründe, wie das für ihre Fälle so typisch ist. Dabei schrammt sie selbst immer hart am Limit und manchmal weiß man als Leserin nicht, was Riley eigentlich über Wasser hält. Trotzdem sind ihre Urteile und Einschätzungen glasklar und trennscharf. So wenig sie weiß, was sie selbst will (den Ivo oder den Inceman oder gar keinen oder einen anderen?), so sehr durchschaut sie ihre Gegenüber. Was ich sehr schätze, ist die lapidare Art, mit der Riley ihr Denken und Empfinden beschreibt. Dafür findet Simone Buchholz ungewöhnliche, aber umso besser treffende Vergleiche und trockene Kommentare. Wie nach jedem Krimi von Simone Buchholz will ich einen nächsten lesen und ärgere mich meistens doch darüber, dass ich es selten so schnell schaffe wie vorgesehen.

Verlag: Suhrkamp Nova
ISBN: 978-3-518-46894-4
Erstveröffentlichung: 2018

Joachim B. Schmidt – Kalmann

Joachim B. Schmidt - Kalmann

Anfang Dreißig ist er, der „Sherriff von Raufarhöfn“. Ausgestattet mit Cowboyhut, Waffe und Sherriffstern lebt er in einem kleinen Flecken am Meer, wo er gelegentlich zur Jagd geht. Mal auf dem Land nach Füchsen. Am liebsten aber auf See nach Grönlandhai, den er geschickt zum „zweitbesten“ Gammelhai von ganz Island verarbeitet. Den besten macht eigentlich der Großvater, die engste Bezugsperson für Kalmann, doch der lebt inzwischen im Heim. Ansonsten bleibt Kalmann nicht viel: Die Mutter lebt ein gutes Stück weiter, weil es in Raufarhöfn keine Arbeit mehr für sie gibt, und den US-amerikanischen Vater hat er nur einmal gesehen, als er die Sheriff-Ausstattung geschenkt bekam.

Eines Tages findet Kalmann eine Blutlache im Schnee und in das gemächliche Leben in einer vergessenen Ecke Islands fällt ein Gewirr aus Polizei und Presse ein. Der reichste Mann im Dorf ist verschwunden. Feinde hatte er sich genug gemacht — ein wahrlich gefundenes Fressen. Und der Sonderling Kalmann mittendrin. Einer, der mit ein wenig Hilfe alleine in Raufarhöfn leben kann, gerade weil es dort so ruhig zugeht und weil er seine nötigen Routinen aufrecht erhalten kann. Plötzlich wird er von Reportern verfolgt, Hubschrauber filzen die Gegend und im Magen eines Gammelhais taucht eine menschliche Hand auf.

In der Polizistin Birna findet Kalmann allerdings eine Ansprechpartnerin, die ihm auf Augenhöhe begegnet. Sie versteht, dass Kalmann zwar naiv ist und langsam in ganz eigenen Bahnen denkt, aber auch, dass er mit seiner Ehrlichkeit eine zuverlässige Informationsquelle sein wird. Sie lässt ihn reden und ahnt, dass Kalmann alles, was er weiß, irgendwann in der richtigen Reihenfolge erzählen wird. Ein wirklich großartiger und herzenswarmer Roman.

Die Eissturmvögel flogen irgendwie gelangweilt den Klippen entlang, nutzten den Aufwind, ließen sich mühelos tragen, drehten Runde um Runde. Sie hätten uns sagen können, ob sie Róbert gesehen hatten. Wie einfach das Leben wäre, wenn wir uns mit Tieren unterhalten könnten. Aber vielleicht wäre das Leben dann komplizierter, weul sich die Tiere über uns Menschen beschweren würden.

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-86389-5
Erstveröffentlichung: 2020

Kate Atkinson – Deckname Flamingo

Kate Atkinson - Deckname Flamingo

Ein typischer Fall für „never judge a book by its cover“. Letztes Jahr als Hardcover mit einem Titelbild, das mit dem Inhalt zu tun hatte, als Taschenbuch nun mit einem Bild, das praktisch zu allem irgendwie passen würde, weil eine Frau die Hauptrolle spielt. Dabei ist der Roman über die MI5-Mitarbeiterin Julia Armstrong ziemlich witzig. Erzählt wird ihre Geschichte von ihr selbst, als nach einem Unfall ihr früheres Leben an ihr vorüberzieht.

Wie bei allen Spionageromanen strauchle ich, will ich alle Strippenzieher und Fäden richtig sortieren und Armstrong strauchelt da nicht minder. Gerade mal 18 Jahre alt, wird sie während des Zweiten Weltkriegs zum Abtippen von Gesprächsprotokollen angeheuert. Belangloses Zeug. Doch dann setzt der MI5 sie selbst als Lockvogel ein und das eine oder andere geht schief. Und auch nach dem Krieg erhält Armstrong kleine Aufgaben. Solange jedenfalls, bis sie ins Ausland geht, um etwas Ruhe zu haben und das ist keine schlechte Idee, denn der MI5 ist undurchsichtig geblieben und es ist nie so recht klar, wer eigentlich auf welcher Seite steht und potenzielle Doppelagenten ziehen sich über Jahre durch die Story.

An sich war der Roman für mich am Ende doch nicht der ganz große Wurf. Aber es war ganz sicher gut, dass ich mich vom Klappentext habe überzeugen lassen (das Cover alleine hätte mich verscheucht). Kate Atkinson lässt ihre Julia Armstrong mit großer Schlagfertigkeit durch die Tage ziehen und das hat mir an diesem Roman schlicht am besten gefallen. Sie ist sicher recht naiv in der einen oder anderen Hinsicht (wie gesagt, sie ist gerade mal 18), aber tatkräftig und letztlich wächst sie an ihren Herausforderungen.

Ich hätte vorsichtiger sein sollen, dachte sie. Das wäre die Inschrift auf ihrem Grabstein. Nicht „Geliebte Schwester“ oder „Zu Hause bei Gott“, sondern „Sie hätte vorsichtiger sein sollen“.

Verlag: Droemer
ISBN: 978-3-426-30460-0
Originaltitel: Transcription
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzung: Anette Grube

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