Kalmann, den jungen Isländer mit Down-Syndrom, hat es in die USA verschlagen. Nach dem Tod des Großvaters lädt ihn ganz unerwartet sein Vater nach Virginia ein, ein Mann, den er nie richtig kennengelernt hat. Klar, Kalmann freut sich über das Familientreffen und noch mehr darüber, dass ihm seine Mutter die Reise ermöglicht hat. Er darf Schießübungen machen und am 6. Januar sogar mit nach Washington reisen. Doch damit ist die aufregende Reise schneller zu Ende als gedacht, denn jener Januartag entpuppt sich als der düstere Angriff auf das Kapitol und die US-Demokratie: Kalmanns Vater Quentin politisiert in der äußerst rechten Ecke und so wird Kalmann, dem in den Menschenmassen gar nicht wohl ist, vom FBI verhaftet. In langen Verhören erzählt er von seinem bisherigen Leben auf Island und seinen Erkenntnissen zur neuen Familie in den USA. Eine verständnisvolle Mitarbeiterin des FBI merkt bald, dass Kalmann sonst wenig mit dem Geschehen zu tun hat, es wahrscheinlich noch nicht einmal begriffen hat, und setzt ihn so bald es geht zurück ins Flugzeug nach Hause.
„Kalmann, dein Großvater!“ Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und schaute wieder auf den Bildschirm. „Dein Großvater ist eine ganz schöne Nummer. Wir haben ihn im System!“
Doch auch auf Island hat er keine Ruhe. Möglicherweise ist sein Opa gar nicht gestorben, weil er alt war. Sondern weil er ermordet wurde. Das sagt jedenfalls sein Freund Nói. Dessen Verdacht: Der Opa habe im Kalten Krieg für die Sowjets spioniert – immerhin hat er Kalmann noch etwas auf russisch erzählt.
Kalmann lüftet Geheimnisse
Der „Sheriff von Raufarhöfn“ wird also wieder aktiv. Statt wie bisher für Ordnung auf dem Parkplatz des Supermarkts zu sorgen, muss nun posthum die Ordnung für Opa wiederhergestellt werden. Ein paar Leute gibt es noch, die Auskunft über ihn und sein Leben geben können. Aber es ist nicht so leicht, an Informationen zu kommen. Und wie in jedem Krimi gibt es Menschen, die gar nicht wollen, dass sich Informationen verbreiten.
Während Kalmann im ersten Roman ausschließlich auf Island unterwegs war, baute Joachim B. Schmidt im zweiten Aufeinandertreffen eine USA-Episode ein. Dazu kommt eine überraschende Themenfülle, die dem ersten Band fremd war: die Corona-Pandemie, die Spionage im kalten Krieg, Umweltverschmutzung und eben der Sturm auf das Kapitol. Damit wagt sich der Roman deutlich weiter in das klassische Spannungsgenre als der Vorgänger.
Ob das dem Roman gut oder weniger gut getan hat? Darüber gehen die Meinungen teils sehr auseinander. Auf Anhieb hat es auch mich etwas irritiert. Doch stelle ich auch fest, dass die US-Stationierung auf Island unschöne Spuren hinterlassen hat – und die müssen in ihrer Tragweite nicht unterkomplex dargestellt werden, um einen Wohlfühlsound zu hinterlassen. Wo Schmidt sicher untypisch tief in die Trickkiste gegriffen hat, ist das Finale. Die Art, wie Kalmann den schlafenden Berg zum Leben erweckt, erlässt den Beteiligten allerdings auf geschickte Weise Frage, wie man die Affäre sonst hätte sauber zu Ende bringen können.
Insgesamt dominieren aber auch in diesem Roman die Offenherzigkeit und die treffsichere Logik Kalmanns, die gelegentlich dafür sorgt, dass man sich fragt: Warum müssen wir uns das eigentlich immer so kompliziert machen?
Bibliografische Angaben
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-30096-3
Erstveröffentlichung: 2022
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