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Miroslav Nemec – Die Toten von der Falkneralm

Miroslav Nemec – Die Toten von der Falkneralm

Die Toten von der Falkneralm - Miroslav Nemec

Miroslav Nemec, den viele als Ivo Batic aus dem Münchner „Tatort“ kennen, soll bei einem „Mörderischen Wochenende“ aus einem Krimi lesen und über „Mord in Fiktion und Wirklichkeit“ diskutieren. Und so fährt er an einem Freitag im August in das Berghotel „Falkneralm“, zu dem nur eine einsame Steilbahn führt. Doch das Wochenende wird alles andere als erfreulich: Nicht nur kommt ein gewaltiger Gewittersturm auf, plötzlich kommen nacheinander auch drei Gäste zu Tode. Unfall oder Mord? Eine Verkettung unglücklicher Umstände, wie die Berchtesgadener Polizei meint. Doch Nemec und ein anderer Gast, die Polizeimeisterin Bergending aus Augsburg, beginnen zu zweifeln, ob wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und so muss der Kommissardarsteller Nemec selbst zum Ermittler werden und der Gefahr ins Auge blicken, sich so richtig lächerlich zu machen.

Rezension

Der Schauspieler Miroslav Nemec spielt nicht nur den Tatort-Kommissar Ivo Batic; er spielt Theater, spricht Hörbücher ein (zum Beispiel Kurzkrimis von Andrea Camilleri), spricht auf Lesungen oder wird zu Literatur-Events eingeladen. Zu letzterem zählt ein so genanntes „Mörderisches Wochenende“ auf der Falkneralm. Nemec soll vorlesen und auch mit Kriminalhauptkommissar a.D. Mees und dem Journalisten Siebert von der Süddeutschen in einer Gesprächsrunde über „Mord in Fiktion und Wirklichkeit“ diskutieren. Doch das Wochenende startet anders als geplant. Erst verhindert ein Sturm, dass alle Gäste rechtzeitig mit der Seilbahn zum entlegenen Hotel kommen, dann findet man im Hotel einen Toten im Pool.

Alles spricht für einen Unfall. Der Tote hatte dem Whisky gut zugesprochen und sich offenbar am Beckenrand gestoßen. Der Sturm macht zwar eine ordnungsgemäße Abholung und Versorgung durch Polizei und Notarzt unmöglich, aber man arrangiert sich und versucht, den Hotelbetrieb weiterlaufen zu lassen. Zu später Stunde stoßen noch zwei Wanderinnen zu der kleinen Gruppe im Hotel, die vor dem Sturm Sicherheit suchen und selbstverständlich untergebracht werden. Wie sich herausstellt, ist eine Polizistin aus Augsburg dabei, die sich mit dem Kommissar-Darsteller und dem Kommisar a.D. schnell und gut bekannt macht. Die drei werden am Ende grübeln und beraten, denn letztlich drei Tote an einem Tag sind für einen dummen Zufall zwei zuviel.

Der Krimi findet sich in einer klassischen Locked-Room-Situation wieder. Die Personenzahl ist bestens überschaubar und das erweist sich als praktisch für den Privatmann Miroslav Nemec, der in so einer Situation nicht ermitteln und herumfragen muss, sodern seinem Instinkt und seinen Beobachtungen folgen kann. Gleich drei Personen befassen sich mit der Idee, dass es drei Morde gewesen sein können. Das Hinderliche daran ist nur, dass einer der drei eben Miroslav Nemec ist. Er vermischt in diesem Buch geschickt seine Rollen als Privatmann, Entertainer und Schauspieler. Er spielt bewusst damit, dass ihm viele Zuschauer ein gewisses Knowhow auf Grund der Rolle zusprechen. Siebert fragt ihn und Mees zum Beispiel nach dem ersten Unfall gleichermaßen ernsthaft aus, ob sie einen Mord ausschließen können. Manchmal hilft die Rolle aber auch, denn Nemec erinnert sich noch an die Ersthelfermaßnahmen aus Tatort-Folge 72. Er beobachtet Menschen und kann viel aus ihnen herauslesen, weil das eine Konsequenz aus seiner Zeit an der Schauspielschule ist. Für die Ausbildung, so erinnert er sich, musste er lange an Haltestellen herumstehen und einfach Leute beobachten.

Die Rolle als TV-Kommissar aber führt auch dazu, dass die echte Polizei ihn nicht für voll nimmt. Die Idee, dass auf der Veranstaltung drei Morde passiert sein könnten, passt vielleicht zum Tatort, aber sicher nicht zur Falkneralm. Seinen Ideen gegenüber positiv eingestellt sind nur Polizeimeisterin Bergending sowie Mees, schließlich waren sie selbst vor Ort; doch die Augsburgerin ist natürlich nicht zuständig, Mees ist in Rente. Nach dem Ende des Krimiwochenendes auf der Falkneralm helfen ihm die beiden aber so gut es geht, Details zu überprüfen und auf Umwegen weitere Untersuchungen einzuleiten.

Der Krimipart ist in mancher Hinsicht vielleicht etwas offensichtlich für routinierte Krimileser, die zügig die eine oder andere Idee haben dürften – aber überführt ist damit erstens noch niemand und zweitens ist der Clou am Roman die Figur Nemec selbst. Nemec pendelt zwischen Realität und Fiktion, er wird mit Batic angesprochen und mit Leitmayr verwechselt. Er lächelt routiniert über Anspielungen hinweg, die er schon dutzendfach gehört hat und versucht, verschiedene Erwartungshaltungen zu balancieren. Als Leser weiß man natürlich auch nie, inwieweit die Person Miroslav Nemec im Roman literarisch notwendige Erfindungen lebt und an welchen Stellen sie biografisch angelegt ist. Nemec fühlt sich angesichts seines Mordverdachts nicht nur als Privatmann verpflichtet (wer von uns sähe einen Mörder schon gerne grinsend davonlaufen?), sondern vielleicht auch wegen seiner TV-Rolle. Erwartet manch einer von einem TV-Kommissar nicht auch, dass er nachforscht? Nicht wenige Passanten sprechen schließlich auch TV-Ärzte auf Zipperlein und Gebrechen an. Das Spiel vor der Kamera macht Spaß, bringt aber hinter den Kulissen auch Bürden mit sich. Darunter auch die, dass man ihm bei einem realen Mordfall in seinem Umfeld automatisch ein ganz anderes Gewicht in der Berichterstattung geben würde. Was Nemec im Roman dann auch punktgenau passieren lässt.

Den Untertitel „Mein erster Fall“ kann man unterschiedlich lesen. Während Ivo Batic eine gewisse Routine im Ermitteln hat, muss Miroslav Nemec sich zum ersten Mal mit einer Leiche herumschlagen – und im Gegensatz zu seinem Alter Ego sogar mit einer echten. In satten 25 Jahren „Kommissar-Dasein“ ist es also in der Tat der erste Fall. Mag auch sein, dass sich Nemec nochmal an einen Krimi mit sich selbst in der Hauptrolle setzt. Auf der Falkneralm jedenfalls funktioniert das Rollenspielchen sehr gut. Ob so ein originelles Setting ein zweites Mal funktionieren kann, müsste sich zeigen.

Bibliografische Angaben

Verlag: Knaus
ISBN: 978-3-81350-702-7
Erstveröffentlichung: 2016

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