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Nigel Barley – Auf den Spuren von Mr. Spock

Nigel Barley – Auf den Spuren von Mr. Spock

Nigel Barley - Auf der Suche nach Mr. SpockNigel Barley ist Abenteurer und ein durch und durch neugieriger Mensch. Für so jemanden gibt es eigentlich keine andere Lösung, als Ethnologe zu werden. Sein Reisebericht auf den Spuren der Toraja in Indonesien beweist mit viel Humor, dass diese Berufswahl absolut richtig war. Als er hört, dass die Kinder der Toraja so spitze Ohren haben wie Mister Spock auf dem Raumschiff Enterprise, lässt er alles stehen und liegen und reist nach Indonesien. Dort begegnet er nicht nur einer beeindruckenden Kultur, sondern findet auch Freunde fürs Leben. Um das auch seinen britischen Landsleuten zu demonstrieren, überredet er einige Toraja, für ihn eines ihrer wundervollen Holzhäuser zu bauen. Und zwar mitten in einem Londoner Museum. Wie die Fremden Europa wahrnehmen, lässt mit viel Humor die Grenzen von Beobachter und Beobachtetem verschwimmen.

Rezension

Den Ethnologen Nigel Barley zieht es regelmäßig in die Ferne. Nach ausgiebiger Erforschung Westafrikas wird Indonesien sein neues Ziel. Ein Experte gibt ihm den Rat, nach Sulawesi zu gehen. Er solle einfach erzählen, die Kinder dort hätten spitze Ohren wie Mr. Spock. Auf das so beschriebene Volk der Toraja bereitet er sich so gut wie möglich vor, scheitert aber früh an gutem Material. Nützliche Landkarten sind nicht zu bekommen und die Reiseführer widersprechen sich innigst. Selber hinfahren und schauen ist da noch das probateste Mittel. Barley reist über Singapur nach Jakarta, um sich von dort aus stückchenweise seinem Ziel zu nähern. Er sucht nach Verbindungen, versucht sich im Kauf von Schiffs- und Bustickets und schiebt mit allen anderen Passagieren Laster an, die im Schlamm stecken bleiben. So lange, bis er um die Stadt Rantepao herum endlich im Gebiet der Toraja angekommen ist.

Nigel Barleys Exkursion ist schon eine Weile her; sein Reisebericht erschien bereits 1994 in deutscher Übersetzung (damals unter dem Titel „Hallo Mister Puttymann“) und war irgendwann in den Jahren danach vergriffen. Da Indonesien anno 2015 allerdings Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, entschied sich der Verlag Klett-Cotta erfreulicherweise, das Werk neu zu veröffentlichen. Erfreulicherweise deshalb, weil Barley ein mit selbstkritischem Blick begabter und humorvoller Erzähler ist und seine Reise nach Indonesien eine vielversprechende Begegnung mit einer fremden Kultur wird. Keine Beschreibung aus der Distanz, keine Bewertung von außen, die den Anspruch der Allgemeingültigkeit erhebt, sondern ein Bericht über persönliche Begegnungen mit Menschen aus der Region. Dass Barley immer wieder die Grenzen der Ethnologie und einiges Unvermögen der Wissenschaftler aufzeigt, macht den Reisebericht natürlich sehr aufrichtig. Bei Barley selbst zum Beispiel hapert es mit der Sprache Indonesisch, sodass es mal zu kleinen, mal zu größeren Missverständnissen kommt. Als Ethnologe müsste er sich mit den Toraja streng genommen noch dazu in der Stammessprache unterhalten, wollte er eine hochwertige Studie abliefern; bei einem Land mit unzähligen Dialekten und Stammessprachen ein von vornherein kaum realisierbares Unterfangen.

Zum selbstkritischen Blick zählt auch, dass Barley offen über „falsche Fährten“ spricht. Dazu gehören die, die man ich selbst legt, indem man mit eigenen kulturellen Gepflogenheiten abgleicht und eine Situation am Ende falsch einschätzt. Dazu gehört beispielsweise, dass sich Einheimische mit Fremden einen Jux erlauben. Barley erzählt von einer köstlichen Begebenheit mit einer französischen Reisegruppe, die von ihrem Führer vergackeiert wird und es mit dem unbedingten Glauben an das Exotische entsetzt für bare Münze nimmt. Der Lacher ist garantiert – und vielleicht die Frage an sich selbst, wie viel traditioneller Klimbim in einem fremden Land erwartet wird, das vielleicht gar nicht mehr so sehr in der Tradition verhaftet ist, wie es in der Fantasie ausgemalt wird. Barley begegnet zum Beispiel Andareus, einem offenbar sehr traditionell lebenden Torajaner. Im Gespräch mit ihm stellt sich heraus, dass er es mit einem MIT-Absolventen der Satellitenkommunikation zu tun hat, der fließend US-amerikanisches Englisch spricht. „Seine Anhänglichkeit an die traditionelle Welt kam ebenso sehr von außen wie meine.“

Was das Buch zu etwas Besonderem macht, ist speziell das letzte Kapitel „Das Rückspiel“. Es beschränkt den Blick auf eine fremde Kultur nicht auf den Eindruck eines europäischen Ethnologen von Indonesien, sondern bereichert uns um den Blick einiger Torajaner auf England. Nigel Barley war es nach seiner Reise in den 1980er Jahren gelungen, vier Torajaner zum Bau einer traditionellen Reisscheune nach London einzufliegen, wo sie das Bauwerk im Museum of Mankind mit originalen Materialien aus der Heimat errichteten. So werden der Holzschnitzer Nenek und seine drei Mitstreiter selbst zu Ethnologen und wundern sich über die Stille in den Häusern, zwei weibliche Souveräne (zu diesem Zeitpunkt Margaret Thatcher als Premier und Queen Elizabeth II als Königin), den schier unüberwindlichen Straßenverkehr und die fehlende Möglichkeit, dass alle einfach zusammen in einem Raum schlafen.

Diese Begegnung zweier Kulturen auf zwei Ebenen macht den Reiz und die Anziehungskraft des Buches aus. Die (im Rückblick) komischen Momente unterhalten; die oft unfreiwillige Komik sorgt ebenso gut aber für ein bisschen Reflektion, denn Barleys Buch ist ganz bewusst nicht das, was ethnologische Berichte sonst sind: „Die Verfasser dieser … Elaborate sind allwissend und betrachten ihr Objekt aus olympischer Höhe. Nicht nur verfügen sie über einen kulturellen Scharfblick, der den Durchblick der Eingeborenen selbst übertrifft, sie irren sich auch niemals …“ Nigel Barley beweist viel (Selbst)Ironie, aber auch viel Sensibilität mit seinem Reisebericht und müsste man eine Liste mit ausgezeichneten Reisebüchern zusammenstellen, wäre dieses in meiner Liste mit dabei.

Bibliografische Angaben

Verlag: Klett Cotta
ISBN: 978-3-60894-897-4
Originaltitel: Not a hazardous spot
Erstveröffentlichung: 1988
Deutsche Erstveröffentlichung: 1994
Übersetzung: Ulrich Enderwitz

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