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Barry Lancet – Japantown

Barry Lancet – Japantown

Barry Lancet - Japantown

Mein Name ist Jim Brodie. Ich bin in Tokio aufgewachsen, lebe in San Francisco und verbringe meine Zeit vor allem damit, antike Vasen zu reparieren. Ab und zu helfe ich der Polizei. Heute Nacht haben sie mich nach Japantown gerufen. Eine japanische Familie wurde auf brutale Weise hingerichtet. Doch das ist nicht alles. Am Ort des Verbrechens fand ich ein japanisches Schriftzeichen – dasselbe Zeichen, das vor drei Jahren bei meiner ermordeten Frau entdeckt wurde. Dies wird der Fall meines Lebens, der Fall, den ich lösen muss, koste es, was es wolle.

Rezension

Jim Brodie wird mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt und zu einem Mordschauplatz in Japantown gerufen. Das ist etwas untypisch: Der Antiquitätenhändler Brodie hilft der Polizei in San Francisco zwar hin und wieder, seine Aufträge aber hatten bisher in der Regel verständlicherweise mehr mit Kunst zu tun. In dieser Nacht allerdings wurde eine ganze japanische Familie Opfer eines kaltblütigen Anschlags. Vor Ort liegt ein kalligraphiertes Kanji, ein japanisches Schriftzeichen, mit dem die Polizei nichts anfangen kann. Brodie jedoch kennt es nur zu gut: Als seine Frau starb, fand er seinerzeit genau dasselbe Zeichen vor der Haustür. Und das Besondere daran ist, dass er es trotz langer Recherchen nicht entschlüsseln konnte; es war in keinem Verzeichnis zu finden und scheint offenbar nicht zu existieren.

In den kommenden neun Tagen wird Brodie keinen Schritt mehr tun, der nicht mit dem Mord in Japantown zu tun hat. Der Vater der ermordeten Frau beauftragt Brodie mit Nachforschungen und nicht zuletzt wird Brodie selbst wieder neugierig. Er hofft auf Grund der Verbindung zum Kanji erneut, den Tod seiner Frau aufklären zu können. Zunächst beginnt es vergleichsweise ruhig: Brodie kontaktiert die Tokyoter Detektei, bei der er seit dem Tod seines Vaters Mitinhaber ist. Sein bester Ermittler Noda findet -im Gegensatz zu Brodie damals- bei einem Sprachwissenschaftler sehr schnell einen Hinweis auf das Kanji. Es hat mit einem entlegenen Dorf namens Soga-jujo zu tun. Dass dieses Dorf eine ganz heiße Spur ist, wird klar, als der begeisterte und naive Sprachwissenschaftler dort aufkreuzt und spurlos verschwindet. Brodie reist selbst nach Tokyo und muss ab sofort höllisch aufpassen, dass er das Abenteuer heil übersteht.

Es gibt Thriller wie „Dreizehn Stunden“ von Deon Meyer, die über die gesamte Länge sehr glaubwürdig bleiben. Es gibt solche wie Jamie Frevelettis „Lauf“, denen jegliche Glaubwürdigkeit fehlt. Japantown bewegt sich so gekonnt zwischen diesen beiden Polen, dass die genretypischen Übertreibungen verkraftbar bleiben. Denn der Rahmen ist durchaus stimmig. Brodie ist ein gut ausgebildeter Kampfsportler, der seine Fähigkeiten schon früher nicht nur auf der Matte im Dojo verbessert hat. Das wird ihm im Buch bei heimtückischen Angriffen sehr helfen und macht ihn als reaktionsschnelle und sportliche Figur glaubhaft. Ganz alleine arbeitet er zum Glück auch nicht und sein Partner Noda aus der Detektei weiß aus eigener Erfahrung, dass alles, was mit Soga-jujo zusammenhängt, tödlich ausgehen kann. Nur warum, erzählt er leider nicht sofort:

„Allein, was ich denke, könnte uns unter die Erde bringen. Kommen Sie nach Tokio. Falls sie in einem Stück eintreffen, reden wir.“

Auf japanischer Seite folgen viele Personen realen Vorbildern. Die bestens geschulten und gut ausgerüsteten Gegner sind wohl übertrieben, finden ihr historisches Original aber in Kämpfergruppen, die früher tatsächlich von Herrschern für Spionageaufgaben, Sabotage oder Mord engagiert wurden und die vielfach wirklich aus entlegenen Dörfern kamen. Genau dieses Muster findet sich im Buch wieder. Und wie damals ergibt sich der Name dieser Gruppen oft aus dem Ort oder der Region, aus der sie kamen. Heute würde man solche Kämpfer gerade außerhalb Japans als Ninja bezeichnen; getreu der historischen Realität aber fällt dieser Begriff konsequenterweise nicht im Buch.

Es gibt auch die großen Tycoone wie Hara oder Kozawa; es gibt die mächtigen und reichen Männer im Hintergrund, die die Geschicke von Unternehmen und Politik steuern durch „unsichtbare Machenschaften. Typisch japanisch.“ Und dass so ein Tycoon den ohnehin ermittelnden Brodie benutzt, um seine eigenen Interessen mit dessen Hilfe durchzusetzen, erscheint da keineswegs mehr so weit hergeholt.

Japantown ist ein wahrhaft rasanter Thriller und Pageturner. Fast 600 Seiten lesen sich in Windeseile, weil man mit Brodie mitfiebert und das Geheimnis um Soga-jujo entschlüsseln möchte. Dass die geheimnisvollen Angreifer trotz ihrer Zahl und ihrer Ausbildung gegen Jim Brodie keine Chance haben und seltsame Fehler machen, macht den „Thrill“ im Thriller aus. Barry Lancet schreibt so flüssig und spannend, dass man Lust auf mehr Unterhaltung dieser Art bekommt.

Übrigens: Ein Portrait des Autoren und mehr über seine Arbeit in Tokyo findet ihr im Blogbeitrag Ein Abend mit Barry Lancet.

Bibliografische Angaben

Verlag: Heyne
ISBN: 978-3-45343-780-7
Originaltitel: Japan Town
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2014
Übersetzung: Joannis Stefanidis
Autorenwebsite

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