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Alfred Komarek – Polt muss weinen

Alfred Komarek – Polt muss weinen

Alfred Komarek - Polt muss weinenDas Wirkungsfeld des Gendarmerieinspektors Simon Polt ist ein niederösterreichisches Weinbauerndorf. Er gehört dazu. Umso unangenehmer ist es ihm, als Albert Hahn in seinem Weinkeller tot aufgefunden wird und sich der Verdacht aufdrängt, es könnte ein Mord gewesen sein, was zuerst wie ein Unfalltod durch Gärgas aussah. Jetzt muß Polt ermitteln. Er, der fast jeden im Dorf seit Jahren persönlich kennt. Einer von ihnen könnte, ja muß es gewesen sein. Viele hatten einen Grund, das Scheusal umzubringen, dessen Tod niemand bedauert.

Rezension

Im Weinkeller kann es nach der Lese gefährlich werden, wenn sich Gärgase im Most bilden und zu wenig Sauerstoff in der Atemluft ist. Auch Albert Hahn aus Brunndorf weiß Bescheid – und dennoch finden ihn seine Kellernachbarn eines Tages tot im Presshaus. Es ist also kein ungewöhnlicher Tod, aber der Gendarm Simon Polt stellt gewohnheitsmäßig ein paar Fragen. Verwunderlich wäre ohnehin nicht gewesen, hätte jemand nachgeholfen, denn Hahn war mit Abstand der unbeliebteste Mensch im Dorf, über dessen Tod sogar die Ehefrau froh ist. Aber Polt findet nichts und könnte eigentlich alles auf sich beruhen lassen – bis ein anonymer Brief seine ungute Ahnung bestätigt und er offiziell ermitteln muss. Die Ermittler aus der Stadt kommen über das Fakten sammeln nicht hinaus; die Brunndorfer machen ihnen gegenüber dicht. Die Aufklärung wird zu Polts Aufgabe, der seinen Nachbarn und Freunden spürbar unangenehm auf die Pelle rücken muss.

Polts Ermittlungen bestehen im Wesentlichen aus reden, zuhören und beim Wein beisammen hocken. So ruhig, wie es im niederösterreichischen Weinviertel zugeht, so ruhig erledigt Polt seine Arbeit. Da scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Aber anders kann Polt seine Arbeit ohnehin nicht tun – angesichts des Mordes und der Ermittlungen rücken die Brunndorfer eher von ihm ab als dass sie ihn offen informieren, geschweige denn mit ihm zusammenarbeiten. Sie würden am liebsten weiter schweigen, um ihre alte Dorfruhe schnell wiederzubekommen.

Dabei ist die Hassfigur Hahn ein solcher Fiesling, dass man selbst als Leser schon gerne eingegriffen hätte und es richtig weh tut, wenn man Seite um Seite immer Neues darüber erfährt, wie Hahn mit den Dorfbewohnern umgesprungen ist. Ein Mensch, der gerade wegen seiner unberechenbaren Bosheit kaum Gegner findet, die ihn in die Schranken weisen, hat nach und nach die Dorfatmosphäre vergiftet und Brunndorf als Spielplatz für seine Launen benutzt. Seine lähmende Wirkung auf Brunndorf hält nach dem Tod weiter an. Zwar kommt immer mehr ans Licht, aber greifbarer wird der Täter dadurch nicht und weniger werden die Verdächtigen erst recht nicht.

Die äußerliche Dorfruhe ist trügerisch. Nicht nur, wenn man an die Geheimnisse unter der adretten Oberfläche denkt. Wer kann, zieht aus dem langweilig ruhigen Dorf an der tschechischen Grenze eher weg und sucht sein Heil in der Stadt. Nur Auswärtige kommen auf die Idee, sich in diesem ländlichen Idyll eine Wochenendherberge zu beschaffen oder stillgelegte Presshäuser umzubauen. Wer am Rand des niederösterreichischen Weinviertels lebt, muss das aushalten können. Was Komarek schildert, ist ein Dorf mit einem Menschenschlag, von dem die, die dort gewesen sind, sagen, ja, genau so ist es. Genau das ist auch die Stärke des Buches, die eindrückliche Schilderung des Ortes, der Menschen, ihrer Persönlichkeiten. Es ist viel mehr ein Stilleben als Krimi, viel mehr Heimatroman als Ermittlergeschichte. Ein anderer als der melancholische Junggeselle Polt passt denn auch nicht in die Geschichte, denn er muss so sein wie die anderen – das wird stillschweigend erwartet: Mit Augenmaß den aufsässigen Jugendlichen zur Ordnung rufen oder gelassen bleiben, wenn sich ein Weinbauer mal wieder mit einem Glaserl zuviel ans Steuer setzt. Freundliche, aber bestimmte Hartnäckigkeit hilft da mehr als alles andere.

Der einfühlsame Stil von Komarek beherrscht das Buch und leitet es beharrlich und leicht fließend zu einem schwermütigen Ende. Auf ihre Art ist die Geschichte fast Tourismuswerbung für ein unbekanntes Eck in Österreich, jetzt, wo der Hahn Albert nicht mehr da ist. Man denkt an Herbstwanderungen, Wein und blumengeschmückte Häuschen. An Dorfbewohner, die bei Festen zusammen feiern und am Sonntag in der Beiz beieinander sitzen. Und irgendwann sitzt Polt wieder mit am Tisch, der vorher wegen seiner vielen Fragen besser an einem anderen Tisch gesessen hat.

Bibliografische Angaben

Verlag: Haymon
ISBN: 978-3-70997-409-4
Erstveröffentlichung: 1998

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